Kakerlaken-WettessenIch bin ein Star, holt mich jetzt rein!
Eigentlich hasse ich Realityshows. Aber beim «Dschungelcamp» ist das anders. Ich bin bereit.
![Gülsha Adilji, Autorin und Moderatorin, lächelt vor dem Rothaus in Zürich. Foto aufgenommen von Thomas Egli am 23. Januar 2019.](https://cdn.unitycms.io/images/77Udm-NaqEl8CSgxUGXhNs.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=sEtgoHsEq4o)
Wann ist es endlich so weit? Wann klingelt die «Dschungelcamp»-Redaktion bei mir durch und lädt mich zum Kakerlaken-Wettessen ein? Meine beiden Luxusartikel, dich ich mitnehmen würde, habe ich bereits evaluiert, mir einen workaround überlegt, falls ich als Veganerin in der Dschungelprüfung etwas Tierisches essen müsste, und natürlich googelte ich Atemtechniken, die das Nervensystem in eine wohlig warme Kuscheldecke wickeln, falls man wegen Spinnen auf der Dschungel-Toilette seine Nerven verliert. Ich bin mehr als ready!
In den letzten zwei Wochen wurde absolut alles, was im Dschungel Australiens mit den 12 Promis passierte, bei mir zu Hause auf der WG-Couch diskutiert. Wenn jemand von uns auf Klo musste, wurde auf Pause geklickt, die Wikipedia-Artikel der Kandidat:innen sowie Schlagzeilen der letzten paar Jahre wurden laut vorgelesen und analysiert, ausserdem erstellen Lya und Isa, die tief im Realityshow-Geschehen drinstecken, Persönlichkeitsprofile über alle Kandidaten, die man schon aus vorhergehenden Formaten kennt. Wir haben das nicht nur einfach geschaut, wir haben es mit Haut und Haaren aufgefressen. Aber wie ist das passiert?
Voyeurismus ist tief in unseren Genen verankert
Ich hasse Realityshows, bzw. hatte ich meinen fair share dieser Formate Anfang der 2000er und bin eigentlich over it. Mehr als over it, ich kann es nicht mehr sehen: die aufgebauschten Dramen, die inszenierten Streitereien, und am schlimmsten fand ich immer das Chaos in den Sommerhäusern oder auf den Love Islands. Wie viel Zeug da immer rumliegt. Und wie ungesund da auch immer gegessen wird, man würde ihnen am liebsten heimlich Blattspinat ins Essen mischen und die Zigaretten verstecken.
Aber Realityshows sind wohl noch lange nicht auserzählt, laut stern.de schauen dieses Jahr über 4 Millionen Menschen täglich zu, wenn Edith sich wieder beim Reiskochen einmischt oder Sam die achte Dschungelprüfung in Folge mit den Worten «ich bin ein Star, holt mich raus» abbricht.
Voyeurismus ist tief in unseren Genen verankert, und dank RTL und Co. bleibt dieser Teil der DNA auch weiterhin schön im Lichtkegel des Mikroskops und wird bis zum letzten Molekül zum Tanzen gebracht. Paart man Voyeurismus dann mit Konflikten und Stresssituationen, schafft man zusätzlich einen psychologischen Reiz für solche Formate. Drama und Ausnahmesituationen faszinieren unsere Psyche, weil sie tief in unseren evolutionären, emotionalen und kognitiven Mechanismen verankert sind, das zumindest erklärte mir Chat-GPT, als ich reinfragte, weshalb wir nicht aufhören können, immer und immer wieder solche Sendungen zu schauen (oder sogar mitmachen wollen).
Realityshows werden immer irrer, nicht so beim «Dschungelcamp»!
Unser Gehirn liebt unvorhersehbare Plottwists, Dramen und Emotionen. Wir sind evolutionsbiologisch darauf gepolt, uns für unsere Mitmenschen zu interessieren. Natürlich bauen Sender ein heimeliges Iglu um diese Urinstinkte und verdienen Unsummen damit. Ich sehe ehrlich gesagt auch kein Riesen-Problem darin, ab und zu beim Streit von Fremden zuzuschauen, wenn sie sich z. B. gegenseitig beschuldigen, die Klobrille vollgepinkelt zu haben.
Die einzige Herausforderung ist in meinen Augen die Dosierung. Denn egal, was unsere Neurotransmitoren in Wallung bringt, at some point muss die Dosis erhöht werden. Realityshows werden immer irrer, die Plots immer absurder. Aber nicht so beim «Dschungelcamp»! Seit 18 Staffeln kriegen wir dieselben Dschungelprüfungen und schlechten Zwischenmoderationen wie eh und je. Daher möchte ich hier ein zweites Mal erwähnen: Ich bin ein Star, holt mich jetzt rein!
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