Kolumne von Gülsha AdiljiIn der Grossstadt meiner Emotionen
Seit ich jeden Morgen ein Medikament nehme, muss ich wegen jeder Kleinigkeit weinen. Aber, hey: Was ich dabei über den Körper lerne, ist krass.
Meine Hormone gehen loco banana. Nicht die, die man vermuten würde, sondern meine Schilddrüsen-Hormone. Vor ein paar Monaten wurde bei mir eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt, und jetzt versucht meine Hausärztin wacker, so viele Schilddrüsenhormone in Tablettenform in mein System zu pumpen, dass der Laden sauber weiterlaufen kann.
Was eine Schilddrüse genau macht, weiss ich auch nach 13-mal Chat-GPT fragen nicht wirklich. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sind Schilddrüsenhormone dafür verantwortlich, dass die Energie im Körper richtig verteilt wird, sie regulieren den Stoffwechsel und entscheiden, wo man etwas auf- oder abbauen muss in den Knochen, Muskeln, Sehnen etc. Ausserdem sind sie unser Thermostat und regulieren die Körpertemperatur und noch tausend andere Sachen, die ich aber wirklich nicht gecheckt habe.
Schilddrüse? Eher Queen-Drüse
At some point wurden die Schilddrüsen-Erklärvideos so kompliziert, es fühlte sich an, als würde jemand über Bitcoins und Blockchains reden. Aber, was ich sehr wohl verstanden habe: Jede Zelle ist auf irgendeine Weise angewiesen auf ihren Daumen nach oben oder Daumen nach unten. Dieses geschwulstartige Ding am unteren Hals hat echt brutal viel Verantwortung. Grad auch in der Entwicklungs- und Wachstumsphase muss da alles reibungslos laufen, sonst hat man wirklich grössere Probleme. Daher wird auch bei allen Neugeborenen sofort die Schilddrüse getestet, um sicherzugehen, dass dä Charre lauft.
Und wenn man das jetzt alles weiss, dann wird doch klar, dass der Name Schilddrüse diesem Organ nicht gerecht wird! Es ist, als hätte man ein dreijähriges Kind gefragt, wie man dieses Ding, das mit viel Fantasie wie ein Schild aussieht, denn nennen soll. Ich würde sie daher gerne umbenennen in Queen-Drüse.
Ich freue mich, hat man schnell herausgefunden, dass ich Schilddrüsen-Hormone brauche. Ich freue mich aber gar nicht, dass ich seither jeden Tag 13-mal wegen irgendeinem Scheiss weinen muss. Seit ich mir jeden Morgen 30 Minuten vor meinem Kaffee das Euthyrox reinhaue, schiessen bei mir die Tränen quasi in den Hafermilch-Cappuccino, vermutlich, weil ich die korrekte Dosierung der Hormone noch nicht gefunden habe und mein System grad überfordert ist.
Allein heute weinte ich, weil «Born This Way» von Lady Gaga im Gym lief, der Mann neben mir im Cycling laut beim Taylor-Swift-Song mitsang und ich eine Leuchttafel mit der Aufschrift «All We Have Is Now» sah. Dann weinte ich auch noch, weil ich ein altes Video von den ESC-Proben von Nemo anklickte, eine Frau sich dabei filmte, wie sie nach einem 100-Kilometer-Lauf ins Ziel torkelte, und weil Christa Rigozzi in einem «G&G»-Beitrag über Karina Berger sagte: «Sie ist für mich wie die Schwester, die ich nicht habe.»
Wie krass ist eigentlich der Körper?
Meine Schilddrüsen-Sitschuäischen ist aktuell ein bumpy Road-Trip in mein Inneres, ein kleiner Ausflug in die Grossstadt meiner Emotionen. Es ist beeindruckend, wie viel Einfluss dieses kleine Organ auf mein gesamtes Wohlbefinden hat. Auch frage ich mich, ob das ständige Weinen vor Rührung mehr meiner eigentlichen Persönlichkeit entspricht und die Gülsha vor der Diagnose und vor den Hormontabletten die «falsche» Version war. Das kann ich jetzt noch nicht abschliessend beantworten, denn bei mir hittet grad die Ehrfurcht (aka Träneneinschuss), weil: Wie krass ist eigentlich der Körper?
Was da alles perfekt aufeinander abgestimmt ist und immer reibungslos läuft!? Hab meiner Schilddrüse direkt als kleines Dankeschön noch eine Multivitamin-Tablette gegönnt.
Gülsha Adilji ist Moderatorin und Journalistin. Sie lebt in Berlin und Zürich.
Fehler gefunden?Jetzt melden.