Traditionspartei in der KriseDrohender Rechtsruck bei den Tories – kommt die Spaltung?
Die britischen Konservativen wählen einen neuen Vorsitz. Im Rennen übrig: zwei Provokateure vom rechten Flügel. «Es sieht ganz schön düster aus», sagt ein Ex-Minister.
- Die Konservativen in Grossbritannien fürchten eine Parteispaltung.
- Für den Vorsitz sind die Partei-rechten Kemi Badenoch und Robert Jenrick im Gespräch.
- Moderate Tory-Abgeordnete halten beide Kandidaten für inakzeptabel.
Bei den britischen Konservativen wächst die Angst, dass sich die Partei in naher Zukunft spaltet. Tory-«Zentristen», die seit der katastrophalen Wahlniederlage ihrer Partei im Juli eine Rückkehr ins Mittelfeld der britischen Politik verlangten, wollen keinen weiteren Rechtsruck mitverantworten, wie er sich jetzt abzeichnet für die Partei.
Zu den neuen Warnungen geführt hat die Vorauswahl der Kandidaten für die Nachfolge von Ex-Premierminister Rishi Sunak, in deren Verlauf diese Woche alle Bewerber des moderaten Tory-Flügels unerwartet auf der Strecke blieben. In der Endrunde der Entscheidung über den Vorsitz hat die Parteimitgliedschaft nun die Wahl zwischen zwei Repräsentanten der Parteirechten, die in vielem schon den populistischen Positionen der Reform-Partei Nigel Farages nahestehen.
Badenoch steht für harte Positionen in Sachen «Kulturkampf»
Die Führung der Konservativen Partei übernehmen wird im November entweder Ex-Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch oder der frühere Einwanderungs-Staatssekretär Robert Jenrick. Badenoch ist bekannt als Verfechterin harter Positionen im «Kulturkampf», wie in Sachen Verteidigung der Kolonial-Ära oder Geschlechteridentität. Sie neigt zur Reduktion von Sozialleistungen und zu schärferem Vorgehen gegen Proteste. Viele ihrer Landsleute hat sie mit illiberalen Ansichten aller Art provoziert.
Jenrick wiederum hat die Einwanderungsfrage zur Schicksalsfrage erhoben. Für ihn ist unabdingbar, dass Grossbritannien aussteigt aus der (einst von London mitverfassten) Europäischen Menschenrechts-Charta, um sich freie Hand im Kampf gegen unerwünschte Flüchtlinge und Migranten zu verschaffen. Das Ganze, hat er erklärt, sei «eine Frage von Ausstieg oder Tod» für die Briten. Wenn er Parteichef werde, würden alle von ihm ernannten Schatten-Minister auf diese Linie verpflichtet werden.
Die Wahl zwischen Jenrick und Badenoch führt so, nach Überzeugung des Cambridger Politik-Professors und Parteien-Experten Tim Bale, «die Konservative Partei noch weiter in eine Richtung, in der sie eine vollwertig populistische, radikale Rechtspartei wird, statt die auf Breite bedachte Partei der rechten Mitte zu sein, die sie jahrhundertelang war».
Ortsverbände erwarten bereits Austritte
Unter diesen Umständen sehen moderate Tory-Abgeordnete, die beide Kandidaten für unakzeptabel halten, keinen Sinn darin, bei einem weiteren Rechtsruck stillschweigend mitzuziehen. Die «Tory Reform Group» der gemässigten Konservativen hat so bereits erklärt, sie unterstütze weder Badenoch noch Jenrick. Ortsverbände erwarten, dass es bald schon zu Austritten kommt.
Zweifellos könne «die Partei sich spalten», und das schon allein im Streit um die Kündigung der Europäischen Menschenrechts-Charta, hat der ehemalige Brexit-Staatssekretär Steve Baker gewarnt. «Die Zukunft unserer Partei steht auf der Kippe», meinte am Freitag Paul Scully, ein Ex-Staatssekretär für Technologie. Auch andere prominente Tories fürchten, dass es zu einer Spaltung kommen könnte, wenn ihre Partei noch mehr in die Nähe Farages rückt.
«Wir haben nicht die Zahlen, um uns zu spalten»
Ein Mitglied des gegenwärtigen Schattenkabinetts, das anonym bleiben wollte, erklärte Reportern, mit nur noch 121 der insgesamt 650 Unterhaus-Abgeordneten könne sich die Partei eine offene Konfrontation in der Richtungsfrage gar nicht leisten: «Wir haben nicht mehr die Zahlen, um uns in Fraktionen zu spalten.» Ein anderer Ex-Minister sagte: «Es sieht ganz schön düster aus.»
Neu ist für die Tories, dass sie sich am rechten Flügel von einer neuen, stetig wachsenden populistischen Bewegung bedroht sehen und auf der Linken mehr und mehr von den Liberaldemokraten. Dabei waren Grossbritanniens Konservative das 20. Jahrhundert über die erfolgreichste Partei der demokratischen Welt, mit der längsten Zeit an der Regierung, gewesen. Nun fürchten viele Tories, dass ihre Wählerbasis und ihre Bedeutung rapide schwinden.
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