Schutzimpfung im LändervergleichDie Schweiz hat eine der tiefsten Grippe-Impfquoten in Westeuropa
Nur in Österreich und osteuropäischen Ländern lassen sich noch weniger über 65-Jährige gegen Grippe impfen als in der Schweiz. Noch schwerer hat es eine andere Empfehlung.
Eine heftige Grippewelle rollt über die Schweiz, wöchentlich suchen Zehntausende deswegen eine Arztpraxis auf, wie unser laufend aktualisierter Viren-Dashboard zeigt. Insbesondere für ältere Menschen besteht ein erhöhtes Risiko für schwere Komplikationen bis hin zu einem tödlichen Verlauf. Eine jährlich aufgefrischte Grippeimpfung hilft, das Risiko einer schweren Erkrankung zu verringern.
«Wir sehen derzeit sehr viele Menschen, die wegen Grippe hospitalisiert werden müssen», sagt Urs Karrer, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Winterthur. «Die Situation ist in etwa vergleichbar mit Ende 2023, damals war es aber eine starke Covid-Welle, die zu einer hohen Krankheitslast führte.» Die aktuelle Saison sei möglicherweise besonders heftig, weil gleichzeitig Influenza-A- und Influenza-B-Viren zirkulierten, was eher atypisch sei.
Die Melderate für Influenza im obligatorischen Meldesystem des Bundesamts für Gesundheit (BAG) liegt diese Saison weiterhin höher als während einer grösseren Grippewelle noch vor der Corona-Pandemie. Gemäss BAG sind die Gründe dafür nicht geklärt. Die Zunahme der gemeldeten Fälle könne sowohl mit einer verstärkten Zirkulation von Grippeviren zusammenhängen als auch mit einer vermehrten Testung für Influenza im Vergleich zu früher.
Impffreudiger Norden
Trotz der wiederkehrend hohen Krankheitslast im Winter sind mit Ausnahme von Österreich in keinem anderen Land in Süd- und Westeuropa weniger über 65-jährige Personen durch Vakzine gegen Influenza immunisiert als in der Schweiz. Hier lassen sich im Herbst jeweils nur rund 38 Prozent dieser vulnerablen Gruppe impfen. Bei Personen mit chronischen Krankheiten liegt der Anteil der Grippegeimpften sogar noch tiefer bei 29 Prozent.
Impffreudig zeigen sich hingegen nordeuropäische Länder, wie Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat zeigen. Beim Spitzenreiter Dänemark sind 78 Prozent der über 65-Jährigen geimpft, in Schweden 70, in Norwegen 63 und in Finnland rund 60 Prozent. Hohe Impfquoten erreichen aber auch Länder wie Spanien (70%), Portugal (76%), Irland (75%) oder die Niederlande (68%).
EU-weit lässt sich im Schnitt fast die Hälfte (48%) der über 65-jährigen Bevölkerung jährlich gegen Grippe impfen, die Schweiz liegt also weit unter dem europäischen Mittel. Am tiefsten ist die Impfbereitschaft in Österreich (18%) sowie in ost- und südosteuropäischen Ländern. Die grosse Skepsis wird im Osten mit einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt in den ehemals sozialistischen Staaten in Verbindung gebracht.
Das BAG hat das Ziel, einen guten Grippeimpfschutz der Gesamtbevölkerung und besonders vulnerabler Gruppen zu erreichen. Dazu gehören primär Personen mit einer chronischen Erkrankung, aber auch alle 65-Jährigen in der Schweiz, denen die jährliche Impfung empfohlen wird. Doch die meisten wollen diesem behördlichen Plan nicht folgen. Woher kommt diese Skepsis?
In repräsentativen Umfragen im Auftrag des BAG bei über 65-Jährigen wurde als Hauptgrund angegeben, dass sie die Impfung nicht als notwendig erachteten, da sie selten krank seien und sich selbst – irrtümlicherweise – nicht als Risikoperson sehen würden.
Impfkritische Kreise auf dem Vormarsch
Ein Bericht der Europäischen Kommission deutet darauf hin, dass die generelle Skepsis gegenüber Vakzinen seit 2020 in Teilen Europas sogar leicht zugenommen hat. Obwohl beispielsweise allein durch die Covid-Impfung in der Schweiz rund 10’000 Todesfälle verhindert werden konnten, hätten es gemäss Chefarzt Karrer «impfkritische Kreise verstanden, Impfungen im Verlauf der Pandemie propagandistisch zu diskreditieren«. Und dies sei «oft mit tatkräftiger medialer Unterstützung» geschehen.
In der Schweiz blieb die Grippeimpfquote zwischen 2017 und heute auf tiefem Niveau stabil. Wohingegen sich in den meisten anderen westeuropäischen Ländern jährlich deutlich mehr ältere Personen gegen Influenza impfen lassen als noch vor der Corona-Pandemie. In Ländern im östlichen Europa sank hingegen die ohnehin schon tiefe Impfbereitschaft vereinzelt sogar noch weiter.
Wie steht es um die Covid-Impfung?
Neben der Grippeimpfung empfiehlt das BAG auch weiterhin die jährliche Covid-19-Impfung für Personen über 65 Jahre und Personen mit einer chronischen Erkrankung. Doch diesem Rat folgten zuletzt mit 23 Prozent der über 65-Jährigen noch weniger als bei der Grippeimpfung, wie eine repräsentative Stichprobe der Schweizer Bevölkerung durch das Befragungsinstitut YouGov im Auftrag des BAG im Frühling 2024 ergab.
Dies erstaunt vor dem Hintergrund, dass Sars-CoV-2 nach wie vor gefährlicher ist als Influenza. Das unterstreicht auch eine aktuelle Studie aus Dänemark, für die Daten der gesamten Bevölkerung des Landes ausgewertet wurden. Covid ging mit einer grösseren Krankheitslast einher als die Grippe – mit mehr Spitalaufnahmen, schwereren Krankheitsverläufen und auch mehr Todesfällen.
Sars-CoV-2 zeigt zudem bis heute keine klare Saisonalität. Die Wellen folgen in einem Abstand von fünf bis neun Monaten und sind unabhängig von der klassischen Grippesaison im Winter. Kein respiratorisches Virus zirkulierte in den vergangenen zwei Jahren verbreiteter in der Schweizer Bevölkerung als Sars-CoV-2.
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