Spitzenspiel der BundesligaWie ein schlampiger Xhaka doch noch zum Chef wird
Das 1:1 zwischen Stuttgart und Bayer Leverkusen bietet beste Unterhaltung – mittendrin ist Granit Xhaka, der nachlässig beginnt und dann doch zeigt, wieso er der Leader seines Teams ist.
Es ist das Spiel am Tag nach dem 1:5-Debakel von Bayern München in Frankfurt. Spitzenspiel steht auf der Verpackung. «Spassmachergipfel» hat das unter der Woche «SportBild» genannt.
Der VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen sind die beiden Mannschaften, die an der Spitze der Bundesliga für besondere Unterhaltung sorgen. Im Fall des VfB ist das noch überraschender als in jenem von Bayer, aber Spass machen sie beide, weil sie zwei Trainer haben, die so gerne an die Offensive denken.
Dass es am Ende 1:1 steht, mag auf den ersten Blick langweilig daherkommen. Aber was die beiden an diesem Sonntag zeigen, der Tabellendritte VfB in der ersten und der Leader Leverkusen in der zweiten Halbzeit, das ist grossartig, von immer wieder überschäumender Spielfreude und eindrucksvoller Intensität. Es könnte auch 3:3 stehen.
Mittendrin an diesem aufregenden Nachmittag ist Granit Xhaka, natürlich. Seine Darbietung steht für die beiden Hälften, die so unterschiedlich sind: zuerst viel Schatten für ihn und Bayer, dann umso mehr Licht. In der 4. Minute sendet er ein schlechtes Zeichen aus, als er im eigenen Strafraum einen schlampigen Fehlpass spielt. Er hat Glück, dass das ohne Folgen bleibt.
Zwei Minuten später wird er, noch in der eigenen Platzhälfte, gleich von drei Stuttgartern unter Druck gesetzt und verliert den Ball. Odilon Kossounou bannt mit einem Foul die erste Gefahr für Leverkusen. Nach dem folgenden Freistoss braucht es die Brust von Edmond Tapsoba, um auf der Torlinie zu klären.
Der Mut von Stuttgart
Xhaka ist in der ersten Halbzeit so gar nicht der «Häuptling», als den ihn Rudi Völler, das frühere Gesicht von Bayer, jüngst geadelt hat. Vielmehr stellt sich die Frage, ob er nicht gut ist, weil die Mannschaft grundsätzlich nicht gut ist – so wie das in der Nationalmannschaft schon öfters der Fall gewesen ist.
In der ersten halben Stunde hat er gerade einmal 24 Ballkontakte. Das sagt alles über seinen minimalen Einfluss aufs Spiel. Er kann nicht ordnen, die Kollegen nicht von dem Druck befreien, den der Gegner unablässig hoch hält. Dieser VfB begeistert mit seinem mutigen, seinem von Pressing und Gegenpressing geprägten Fussball. Es ist genau der Fussball, der Bayer in dieser Saison bislang so ausgezeichnet hat.
Im April taumelte der VfB noch Richtung Abstieg, als Sebastian Hoeness zum Nothelfer erklärt wurde. Hoeness hielt ihn dank eines energischen Schlussspurts und zwei Siegen in der Barrage in der Liga. Jetzt ist der 41-Jährige der Chef von Spielern, deren Namen fett in den Zeitungen stehen. Von Alexander Nübel, dem tadellosen Torhüter, von Abwehrchef Waldemar Anton, von Chris Führich, der Entdeckung im Mittelfeld, und natürlich von Serhou Guirassy und Deniz Undav.
Guirassy ist der Stürmer, der allein in den ersten acht Runden 14 seiner 16 Tore erzielte, und Undav ist der Stürmer, der einst mit 15 in Bremen aussortiert wurde, weil er für zu klein und pummelig befunden wurde, aber jetzt auch schon achtmal getroffen hat. Guirassy hat gegen Leverkusen einmal eine grosse Chance, Undav ebenso. Beide scheitern an Goalie Lukas Hradecky.
Anfang der Rückrunde wird Guirassy beim Afrika-Cup für Guinea stürmen und dem VfB fehlen. In seinem Fall ist die Frage, wie lange er überhaupt noch im Schwabenland bleiben wird. Eine vertraglich fixierte Ablöse von 17,5 Millionen Euro macht ihn für grosse Clubs zum Schnäppchen. Undav wiederum, der gebürtiger Kurde ist, könnte für die Türkei spielen, aber er möchte mit Deutschland an die EM, und Bundestrainer Julian Nagelsmann hat ihn schon mal angerufen. Den Text der Hymne kennt er immerhin bereits.
Das Werk von Alonso
Weil Guirassy und Undav ihre Chancen vergeben, steht es zur Pause nur 1:0 für den VfB. Führich schliesst kurz davor einen überragenden Angriff erfolgreich ab. «Das Beste an der ersten Halbzeit ist für uns das Ergebnis», wird Xabi Alonso später sagen.
Alonso ist der erst 42-jährige Trainer, der Leverkusen derart prägt, dass er bereits als möglicher Nachfolger von Carlo Ancelotti bei Real Madrid gehandelt wird. Im Oktober vergangenen Jahres übernahm er von Gerardo Seoane Spieler, die tief verunsichert waren und auf dem zweitletzten Platz lagen. Seine Verpflichtung schien ein Risiko zu sein, weil er bis dahin erst die U-14 von Real und die B-Mannschaft von Real Sociedad betreut hatte. Aber er wirkte Wunder, führte die Mannschaft bis zum Saisonende noch auf Rang 6 und in die Europa League.
Im Sommer erhielt er für 68 Millionen Euro acht neue Spieler. Sie heissen unter anderem Victor Boniface, Alejandro Grimaldo und eben Granit Xhaka. Auch dank ihnen hat er eine Mannschaft geformt, die an diesem Sonntag ungeschlagen nach Stuttgart reist. Und dass sie ungeschlagen wieder abreist, liegt auch an ihm und seiner energischen Ansprache in der Pause.
Die Ansprache beeinflusst offensichtlich auch Xhaka. Auf einmal ist er präsent, ist er wieder dieser Spieler, den der frühere Meistertrainer Christoph Daum als «Garanten» dafür bezeichnet hat, dass Leverkusen diese Saison endlich die erste Meisterschaft gewinnt. In der 47. Minute öffnet er mit seinem wunderbaren Pass in die Tiefe den Raum für Boniface, damit der den Ball so zur Mitte spielen kann, um Florian Wirtz den Ausgleich zu ermöglichen. Das 20-jährige Ausnahmetalent setzt damit sein kräftiges Ausrufezeichen hinter eine Leistung, die in der zweiten Halbzeit voll davon ist.
Mit dem Biss von «Pocho»
Sekunden später schlägt «Pocho» selbst fast zu. Sein Schuss aus 22 Metern prallt vom Innenpfosten ab. «Pocho» ist der Übername, den Xhaka von seiner Mutter erhalten hat. Nur sie sage ihm so, erzählt er auf der Website seines Clubs. Den Namen hat er von einem Krokodil, das einst in Costa Rica berühmt wurde, weil es zwanzig Jahre bei einem Fischer lebte. «Attraktiv und hübsch» sei das Krokodil gewesen, sagt Xhaka noch. Den Namen, der «stark» bedeutet, hat er auf einem Arm tätowiert.
Unter der Regie von Xhaka belagern die Leverkusener das gegnerische Tor. Sie lassen den VfB leiden, wie Hoeness zugibt. Ein paar Mal fehlt ihnen nicht viel zum Siegtor. Was für sie nun trotz des 1:1 als Erkenntnis bleibt: Sie sind nicht aus Zufall auch nach 22 Spielen, inklusive Cup und Europa League, weiter unbesiegt.
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