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US-Notenbank vor Zinserhöhung 
«Godot-Rezession» – Was hinter Jerome Powells Warnung steckt 

«Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind stärker als erwartet, was darauf hindeutet, dass das endgültige Zinsniveau wahrscheinlich höher sein wird als angenommen»: Notenbankchef Jerome Powell. 
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Der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, steht mit dem Rücken zur Wand. Er hatte gehofft, mit rasanten Zinserhöhungen die heiss laufende Wirtschaft zu kühlen und die hohe Teuerung zu senken. Doch der Abschwung will und will nicht kommen.

Das vor kurzem für unwahrscheinlich gehaltene Szenario einer «Godot-Rezession» wurde Tatsache: eine Anspielung auf den erwarteten, aber nie eintreffenden Landstreicher im Theaterstück von Samuel Beckett.

Beim ersten Auftritt vor dem US-Kongress seit letztem Sommer gestand Powell, dass er seinen noch vor einem Monat skizzierten Plan der Zinserhöhung in kleineren Schritten ändern muss. «Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind stärker als erwartet, was darauf hindeutet, dass das endgültige Zinsniveau wahrscheinlich höher sein wird als angenommen», sagte Powell dem Bankenausschuss des Senats.

Er sei bereit, das Zinstempo zu beschleunigen und höher zu gehen als geplant. «Wir stehen vor einer Umkehrung dessen, was wir bis zu einem gewissen Grad zu sehen glaubten.»

Auf Kritik reagiert Powell ungehalten

Im Februar richteten sich die Zinsterminmärkte darauf ein, dass die Notenbanker den Leitzins von 4,5 Prozent auf nur noch 5 Prozent anheben müssten und im Herbst beginnen könnten, ihn zu senken. Diese Perspektive gilt nicht mehr.

Noch während Powell am Dienstag sprach, wurden die Zinsprognosen auf 5,5 bis 5,75 Prozent nach oben korrigiert; und einige Analysten wollten auch einen Zins von über 6 Prozent nicht mehr ausschliessen. Verstimmt reagierten die Anleger, die Aktienkurse fielen als Reaktion auf den verschärften Druck auf die Wirtschaft deutlich.

Als die demokratische Senatorin Elizabeth Warren ihm vorwarf, die Stellen von zwei Millionen Arbeitnehmenden zu gefährden, reagierte Powell ungehalten. «Geht es den arbeitenden Menschen denn besser, wenn wir unseren Auftrag aufgeben und die Inflation bei 5 bis 6 Prozent stehen lassen?»

Ziel der Fed ist, die Inflation von 6,4 Prozent auf 2 Prozent zu drücken. (Lesen Sie ein Interview mit Wallstreet-Kritikerin Nomi Prins: «Jerome Powell versteht die reale Wirtschaft nicht».)

Ob und wann die Rezession kommt, so Farris, dürfte auch in sechs Monaten noch diskutiert werden.

Die Kurskorrektur von Powell ist Beweis dafür, dass die Pandemie und die beispiellosen Investitionsprogramme die Eindämmung der Inflation behindern. Wallstreet-Ökonomen hatten noch Anfang Jahr geglaubt, dass die Notenbank bis Mitte Jahr die Lage unter Kontrolle bringt und mit einer milden Rezession davonkommt.

Doch die Rezession sei erneut verschoben, meint Ray Farris, Chefökonom der Credit Suisse. «Es ist eine ‹Godot-Rezession›», sagt er. Ob und wann die Rezession kommt, so Farris, dürfte auch in sechs Monaten noch diskutiert werden.

Drei Hindernisse stehen der Notenbank im Weg.

Viel Geld bei Privaten, Firmen und Staat

Die Finanzen der Haushalte, Unternehmen und öffentlichen Hand sind in einer ungewöhnlich starken Verfassung, da sie von der Regierung nach dem Schock der Covid-Pandemie mit Investitionsprogrammen und Subventionen von Hunderten Milliarden Dollar versorgt wurden.

Schätzungen der Notenbank zufolge verfügten US-Haushalte Mitte 2021 über 1,7 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Ersparnissen, die erst jetzt in die Wirtschaft fliessen und sie auf hohen Touren halten. Zugleich konnten sich Unternehmen ungewöhnlich tiefe Kreditkosten sichern, als die Zinssätze 2020 und 2021 Tiefststände erreichten.

Starker Markt für Immobilien und Autos

Der Material- und Arbeitskräftemangel haben die zinssensitiven Immobilien- und Automärkte widerstandsfähiger gemacht. Viele Eigentümer zögern, ihr Haus zu verkaufen, weil sie einen viel günstigeren Zinssatz aufgeben müssten. Der Immobilienmarkt verharrt entsprechend auf historisch niedrigem Niveau.

Trotzdem ist die Beschäftigung im Baugewerbe nicht gesunken. Unterbrechungen in der Lieferkette haben die Bauzeiten verlängert und die Kosten nach oben getrieben. Auch im Automarkt hat sich die Nachfrage aufgestaut. Hersteller wie Ford liegen um Monate hinter den Bestellungen zurück. Dies erklärt, weshalb die steigenden Zinsen die Nachfrage nach Autos und Immobilien nicht markant gebremst hat.

Konsumdaten ziehen an

Die Konsumenten haben sich aus ihrer Pandemie-Depression gelöst. Sie wollen leben. Mit beiden Händen geben sie Geld für Dienstleistungen aus, die viele Arbeitskräfte erfordern, sei es Essen, Reisen oder Unterhaltung.

Diese aufgestaute Nachfrage halte länger an, als er geglaubt habe, so Powell. Der starke Arbeitsmarkt mit einer faktischen Vollbeschäftigung macht es ihm unmöglich, den Leitzins zu stabilisieren. Ökonomen hatten im Januar mit einer Verlangsamung gerechnet, aber die Wirtschaft schuf erneut über 500’000 neue Stellen und drückte die Arbeitslosenquote mit 3,4 Prozent auf ein 53-Jahres-Tief.

Ökonomen von Morgan Stanley schätzen gemäss dem «Wall Street Journal», dass die Beschäftigtenzahl noch leicht unter dem Stand von vor der Pandemie liegt, die Lücke aber in diesem Jahr geschlossen werden dürfte. Das wäre exakt, was Powell erreichen will. 

Die Unsicherheit darüber, wie gut die Fed die Wirtschaft bisher bremsen konnte, hängt mit der ungewöhnlichen Zinspolitik zusammen. In der Vergangenheit wurden die Zinsen behutsam und in kleinen Schritten angepasst. Powell versuchte es mit einer Schocktherapie der rasanten, heftigen Zinserhöhungen, weil er eine destruktive Preisspirale verhindern wollte. (Lesen Sie unsere Einschätzung zur Weltwirtschaft: China droht die «Japanisierung» – Warum sich die Welt davor fürchtet.)

Die Strategie schien zunächst zu funktionieren, sagt Kristin Forbes, Professorin am Massachusetts Institute of Technology und ehemaliges Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank of England.

Doch nun geraten die Schattenseiten ins Blickfeld. «Wenn Zinserhöhungen auf einen Schlag stark erhöht werden, ist deren Wirkung schwieriger zu beurteilen.» Es könnte also sein, dass der bisherige Zinskurs durchaus ausreichend wäre und Powell lediglich mehr Geduld haben sollte, um zu sehen, ob die Wirtschaft wirklich so schwer abzukühlen ist, wie es scheint.

Eine erste Antwort ist am 22. März zu erwarten, wenn die Notenbank den nächsten Zinsentscheid fällt.