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Schweizer Studie verblüfft
Der Welthandel begünstigt Frieden in Konfliktregionen

Marinesoldaten einer portugiesischen Sondereinheit nehmen vor der Küste Somalias Personen in Gewahrsam, die der Piraterie verdächtigt werden.

Die Frage ist so alt, wie der Mensch grenzüberschreitenden Handel treibt: Sind Handelswege ein Ursprung für Kriege, weil sie geostrategisch wichtige Punkte sind und deshalb begehrt? Oder führt Welthandel – heute Globalisierung genannt – vielmehr zu Frieden, weil die Handelspartner gegenseitig von Wohlstand und Fortschritt profitieren?

Weil es zu diesem Thema nur wenige wissenschaftliche Arbeiten gibt, wollten es Forscher der Universitäten Zürich und Lausanne genau wissen. Mit einer spieltheoretischen Simulation anhand von Seewegen und Meerengen wollten Ökonomen beider Hochschulen herausfinden, ob Handelsrouten eher Kriege verursachen oder vermeiden.

Die Ergebnisse wurden soeben in der renommierten Fachzeitschrift der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA veröffentlicht. Diese Zeitung erhielt vorab Einblick in den Artikel.

Ergebnisse verblüffen Forscher

Die Befunde haben selbst die Wirtschaftswissenschaftler verblüfft. «Bislang wurde immer nur vermutet, dass an neuralgischen Punkten des Welthandels ein höheres Konfliktrisiko herrscht», sagt Wirtschaftsprofessor Dominic Rohner von der Universität Lausanne, einer der Autoren der Studie. «Jetzt konnten wir statistisch belegen und messen, dass dem so ist.»

Doch es gibt einen Widerspruch, jedenfalls auf den ersten Blick: «Gleichzeitig zeigt unsere Analyse, dass die Globalisierung die Gefahr verringert, dass um solche Handelsrouten bewaffnete Konflikte entbrennen», sagt Rohner.

Die Erklärung ist einfach: Nationen haben wenig Interesse daran, Unterbrüche von wichtigen Handelsrouten hinzunehmen. Sonst leiden ihre Volkswirtschaften darunter. «Insbesondere während eines Booms haben internationale Akteure einen grösseren Anreiz, lokale Friedensbemühungen zu unterstützen, um wichtige Wasserwege offen zu halten», sagt Rohner.

Wie wichtig maritime Handelswege etwa für die Energieversorgung für uns alle geworden sind, zeigt exemplarisch die Strasse von Hormuz im Nahen Osten. Die Meerenge verbindet den Persischen Golf mit dem Golf von Oman; sie verläuft zwischen Staatsgebieten des Iran und von Oman.

Täglich passieren dort Tanker, die Öl im Wert von 1,2 Milliarden Franken mitführen. Ein Drittel des Öls, das über die Weltmeere transportiert wird, geht durch die Strasse von Hormuz. Wegen ihrer geografischen und strategischen Bedeutung ist die Handelsroute immer wieder zum Schauplatz von Konflikten geworden.

Aktuell gibt es wegen der Strasse von Hormuz Spannungen zwischen den USA und ihren Verbündeten sowie dem Iran. Im Juni 2019 kam es auf zwei Frachtschiffen, welche diesen Seeweg passierten, zu unerklärlichen Explosionen. Augenzeugen berichteten von fliegenden Objekten, welche in die Frachter einschlugen. Die USA beschuldigten den Iran, für den Zwischenfall verantwortlich zu sein.

Frankreich sandte im Jahr 2020 zusammen mit anderen europäischen Nationen Militärschiffe und Armeeflugzeuge in die Region, um den Seehandel zu überwachen und wenn nötig einzugreifen.

Militärübung des Iran in der Strasse von Hormuz: Schnellboote der Revolutionsgarde umkreisen eine Attrappe, die einem US-Flugzeugträger nachempfunden ist.

Auslöser der Spannungen ist die Krise am Persischen Golf vor dem Hintergrund des Atomstreits. Die USA verstärkten dort im Frühling 2019 die Präsenz ihrer Marine. Die Vereinigten Staaten begründeten diesen Schritt mit geheimdienstlichen Hinweisen auf eine Gefährdung von in der Region stationierten US-Truppen sowie von der Strasse von Hormuz durch den Iran. Seither kam es immer wieder zu Scharmützeln und Provokationen zwischen dem Iran und westlichen Ländern.

Beide Seiten bemühen sich jedoch darum, eine gross angelegte militärische Konfrontation zu verhindern. Zu wichtig ist die Strasse von Hormuz als Handelsroute: Der Iran kann auf diesem Weg sein Öl nach Asien, Europa und Nordamerika transportieren und dort verkaufen. Der Westen und Asien wiederum sind auf den begehrten Rohstoff angewiesen, um daraus Benzin, Heizöl sowie Kunststoff zu gewinnen.

Aus gemeinsamen Interessen von potenziellen Konfliktparteien leiten die Schweizer Ökonomen denn auch mögliche Lehren aus ihren Forschungsergebnissen ab. «Freie und sichere Transportrouten sind ein wichtiges öffentliches Gut, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten», sagt Rohner. «Internationale Organisationen müssen sich dafür einsetzen, weltweit und ständig Friedensbemühungen zu unterstützen.» Er sieht vor allem die Vereinten Nationen berufen, um globale Friedensbemühungen zu koordinieren.

UNO soll Schutzeinsätze koordinieren

Rohner hält selbst bewaffnete Friedenseinsätze von internationalen Organisationen für einen gangbaren Weg. Solche Massnahmen müssten aber «gut aufgegleist und von der UNO koordiniert sein». Unter diesen Voraussetzungen könnten bewaffnete friedenserhaltende Aktionen «durchaus erfolgreich sein und die Sicherheit der Zivilbevölkerung verbessern». Das zeigten neue wissenschaftliche Ergebnisse der schwedischen Konfliktforscherin und Politologieprofessorin Lisa Hultman.

Die UNO hat bereits gezeigt, dass sie willens ist, bewaffnete Einsätze zum Schutz von Handelsrouten zu koordinieren und zu genehmigen. Im Juni 2008 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, welche den militärischen Schutz von Handelsschiffen gegen somalische Piraten erlaubte. Die USA, das westliche Sicherheitsbündnis Nato und die Europäische Union führten daraufhin am Horn von Afrika Militäroperationen durch.

Dominic Rohner ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne.