Machtspiele von rechtsAussenpolitisch punktet Meloni – aber hilft ihr das auch daheim in Italien?
Der Durchmarsch der Rechten in Europa ist nach der Wahl in Frankreich erst einmal gestoppt. Damit richten sich wieder alle Augen auf Italiens Regierungschefin. Fraglich ist, ob sie ihren Erfolgskurs halten kann.
Giorgia Meloni ist Anfang Woche nach Washington geflogen, und das ist das Beste, was die italienische Ministerpräsidentin gerade tun kann. Sie trifft dort auf die Staats- und Regierungschefs des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato, und es begegnet ihr wieder viel Wohlwollen für ihre verlässliche Aussenpolitik und namentlich die bisher kompromisslose Pro-Ukraine-Politik.
In der US-Hauptstadt darf Meloni sich unter Freunden fühlen, auch wenn es beim letzten grossen internationalen Event, dem G-7-Gipfel in Apulien Mitte Juni, mit der Eintracht nicht so gut geklappt hat, weil der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz sie dort rechts ausgegrenzt haben.
Le Pens Niederlage kommt Meloni in die Quere
Das hing massgeblich mit den gerade beginnenden Koalitionsverhandlungen im Europäischen Parlament zusammen, bei denen die Sozialdemokraten und die Liberalen Meloni nicht mit am Tisch haben wollten. Schliesslich hatte Meloni sich im Wahlkampf rechtsnational positioniert, wie man sie aus ihrer Oppositionszeit kannte, und eine völlige Neuorientierung der Europapolitik gefordert – klar, dass das jenen nicht gefallen konnte, die für den bisherigen europäischen Kurs von Integration und Solidarität stehen.
Meloni hatte damals erklärtermassen den Eindruck, dass die Rechte europaweit im Aufschwung sei, und glaubte, sich entsprechend aus der Deckung wagen zu können. Die jetzige Niederlage der ultrarechten Kollegin Marine Le Pen in Frankreich hat sie auf dem falschen Fuss erwischt. Mühsam versucht Meloni nun, in Brüssel Einfluss zurückzugewinnen.
In den kommenden Tagen wird es darum gehen, ob sie im EU-Parlament dabei hilft, die Christdemokratin Ursula von der Leyen wieder zur Kommissionspräsidentin zu machen. Im Rat der Staats- und Regierungschefs hatte sie alle Personalentscheidungen abgelehnt, sich bei von der Leyen immerhin zunächst enthalten. (Lesen Sie hier, wie sich nun die Rechten im EU-Parlament neu formiert haben.)
Italien hofft auf einflussreichen Posten in Brüssel
Im Umkehrschluss hofft Italien, in Brüssel mit einem einflussreichen Kommissarsposten und vielleicht auch einem prestigeträchtigen Vizepräsidentenposten belohnt zu werden. Die spannenden Ämter haben Scholz, Macron und die anderen allerdings schon anderweitig verplant, weder der einflussreiche Wettbewerbs- noch der nicht minder einflussreiche Binnenmarktkommissar stehen wohl noch zur Disposition.
Im Gespräch sind jetzt der Haushaltskommissar oder jener für die Kohäsionsfonds, der immerhin verantwortlich ist für die Milliardenzahlungen aus Brüssel an die Mitgliedsstaaten. Dafür genannt wird Melonis Gefolgsmann Raffaele Fitto, derzeit Europaminister in Rom.
Ob ihr in Brüssel ein Verhandlungserfolg gelingt, wird in Italien aufmerksam beobachtet werden, besonders von ihrem ultrarechten Koalitionspartner, der Lega. Deren Chef und Vizekanzler Matteo Salvini, bekennender Le-Pen- und Putin-Freund, lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass er der einzig wahre Vertreter italienischer Interessen sei. Mit dieser Methode ist er allerdings in den Europawahlen bei 8,8 Prozent Stimmenanteil hängen geblieben, während Meloni das Rekordergebnis von 28,1 Prozent eingefahren hat.
Offensichtlich haben ihre gemässigten Wählerinnen und Wähler anerkannt, dass Meloni aussenpolitisch im westlichen Sinne zuverlässig ist. Dass es auch anders geht, führt gerade ihr persönlicher Freund Viktor Orban vor, der sich als frischer Inhaber der EU-Rats-Präsidentschaft mit unabgesprochenen Reisen nach Moskau und Peking selbst isoliert.
Die Aussenpolitik ist also ein Pfund, mit dem Meloni wuchern kann. In diesem Sinne ist der Nato-Gipfel eine gute Gelegenheit, Punkte zu sammeln. Immerhin hat der neue britische Premier Keir Starmer sie direkt nach seiner Wahl als dritte Gesprächspartnerin angerufen – nach dem in London immer gesetzten US-Präsidenten und dem Regierungschef Irlands.
Diese Vorzugsbehandlung gegenüber Scholz, Macron und den anderen ist nach Melonis Ansicht absolut angemessen für Italien, die drittstärkste Wirtschaftsmacht Europas, eines der Gründungsmitglieder der Europäischen Union – und das einzige Land dieses Rangs, das von einer ultrarechten Politikerin regiert wird.
Meloni hat sich noch zwei grosse Reformen aufgehalst
Allerdings darf sich angesichts der Launenhaftigkeit der italienischen Politik kein Regierungschef je sicher im Amt fühlen. Insbesondere Salvini ist in dieser Hinsicht unberechenbar. Zugleich muss Meloni aufpassen, dass sie mit ihrer rigiden Politik in Rechtsstaats- und Kulturfragen und der nicht aufgearbeiteten postfaschistischen Vergangenheit der von ihr gegründeten Partei Fratelli d’Italia nicht plötzlich Zustimmung ihrer gemässigten Unterstützer verliert.
Zusätzlich hat sie sich zwei Reformen aufgehalst: die Verfassungsreform, die die Macht des Ministerpräsidenten aufwerten und die bisherige Machtbalance zerstören würde, und die Regionalreform, mit der die Regionen des Landes mehr Kompetenzen bekommen, was die Gefahr birgt, dass der arme Süden weiter abgehängt wird.
Wie zufällig ist in der Debatte jetzt erstmals das Wort Neuwahlen aufgetaucht, von dem man sich in der bisher stabilen Ära Meloni eigentlich schon verabschiedet hatte. Angeblich ist das eine Option, die Meloni im allerengsten Kreis diskutiere: sich noch einmal ein klares Votum der Wähler besorgen und dann durchregieren. Nur kann so etwas, wie man anderswo lernen kann, schiefgehen.
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