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Meinung

Papablog: Überbewertete «Familienzeit»
Gemeinsame Mahlzeiten – muss das wirklich sein?

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… sondern Verständnis und Liebe.
Zoobesuch? Nein, danke! Eine Familie sollte das sein dürfen, was sie ist – mit all ihren seltsamen Eigenarten.
Frühaufsteher? Schön wärs: Ein Familienfrühstück sonntags um 9 Uhr anzusetzen, kann ganz schön fies sein.
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Am Anfang dieses Textes steht ein Geständnis, das zu einem Vater von vier Kindern womöglich nicht so recht passt und darum umso deutlicher ausfallen muss: Ich verstehe das Konzept «Familienzeit» nicht. Mir ist zwar klar, wofür es stehen soll, aber die sich wiederholende erzwungene Verklumpung einer Familie erschliesst sich mir nicht. Weil das doch eine eher steilere These ist, muss ich das präzisieren.

Was ich damit nicht meine, ist Zeit für die Familie. Davon gibt es zweifellos zu wenig. Gerade in der Rushhour des Lebens brennen Eltern an beiden Enden und bemühen sich verzweifelt darum, Zeiträume aufzutun, in denen sie mit ihren Kindern als Familie einfach mal stattfinden können, anstatt immer nur funktionieren zu müssen. Von dieser Zeit kann es gar nicht genug geben. Das ist aber nicht die Art «Familienzeit», die ich meine und von der ich immer wieder höre und lese. Was ich meine, sind Aktivitäten und Rituale, die Familien auf die Tagesordnung setzen oder zu setzen haben, um sich wie eine Familie zu fühlen. Einen Zoobesuch, Klettern, Wandern, Schwimmen, Kochen und natürlich die heilige Kuh der Familienzeit, um die es mir hier geht: das gemeinsame Essen.

Erzwungene Gemeinsamkeit – bitte nicht!

Wie gesagt: Es mag merkwürdig anmuten, dass gerade ich als Dauerkoch für meine vier Kinder und die Lebenskomplizin mich gegen gemeinsame Mahlzeiten ausspreche, aber im Grunde tue ich das auch nicht. Mich stört vielmehr der Zwang zu gemeinsamen Mahlzeiten. Die erzwungene Gemeinsamkeit. Mich irritiert das Ansetzen von «Familienzeit», bei der von vornherein überdeutlich ist, dass mindestens eine beteiligte Person aber auch wirklich alles daran offenbar unerträglich findet. Die Sehnsucht nach Familienzeit im Sinne von «Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit, um gemeinsam zu essen» oder auch «Unsere gemeinsamen Essen tun uns als Familie total gut, es wäre schön, wenn wir das häufiger hätten» kann ich sehr gut nachvollziehen. «Du setzt dich jetzt gefälligst an den Tisch – Abendessen ist Familienzeit» hingegen nicht. Ich nenne das Familienverklumpung: Kinder, die zu Ausflügen zwangsrekrutiert werden, weil man das als Familie eben gemeinsam macht.

Vielleicht gehört verschieden sein, sich aus dem Weg gehen und andere Prioritäten haben auch zu einer Familie dazu.

Sonntagsfrühstück um 9 Uhr morgens mit pubertierenden Kindern, die weder die Augen noch die Münder aufkriegen, aber das machen wir jetzt, weil «ist doch so nett». Ausflüge, Urlaube, Verwandtenbesuche, Geburtstagsfeiern – es gibt eine ganze Reihe familienspezifischer Rituale, die zu viel damit zu tun haben, wie Familie angeblich zu sein hat, und zu wenig, wie eine spezifische Familie tatsächlich ist. Vielleicht will eine Vierzehnjährige nicht um halb sieben mit ihrer achtjährigen Schwester essen, sondern später. Vielleicht gibt es nicht den einen Familienurlaub, der alle glücklich machen kann. Vielleicht dürfen Enkelkinder eigene Beziehungen zu ihren Grosseltern haben, die von «Ihr seid die Besten» bis zu «Ihr seid mir gerade eher egal» reichen können. Und vielleicht gehört verschieden sein, sich aus dem Weg gehen, unterschiedliche Dinge machen und andere Prioritäten haben auch zu einer Familie dazu.

Liebe, die sein darf – was und wie sie ist

Klar hat das alles auch Grenzen. Auf Unterschiede eingehen zu können, erfordert jede Menge Ressourcen und Privilegien. Und selbstverständlich gibt es auch Dinge, zu denen Familienmitglieder motiviert werden müssen, um hinterher zu sagen, dass es gut war, dabei gewesen zu sein. Aber wer seine Familie aus Angst davor verklumpt, nicht die Art Familie zu sein, die man angeblich zu sein hat, verpasst die Familie, die ist. Mit all ihren Fehlern, Marotten und seltsamen Eigenarten. Mit einem Gemeinsam, das von allen in Chaos und gegen Widerstände gestaltet wird, statt nur verordnet zu werden. Mit Liebe, die sein darf, was und wie sie ist.