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Behindertenorganisationen warnen
Gefährdet das neue Eisenbahngesetz das barrierefreie Zugfahren? 

Behindertenverbände sehen die Rechte von Menschen mit Behinderung durch das neue Eisenbahngesetz «akut gefährdet»: Ein SBB-Mitarbeiter begleitet eine Frau im Rollstuhl.

Es sind teils kleine Unterschiede, die für Menschen im Rollstuhl entscheidend sind. Ist der Neigungswinkel der Einstiegsrampe des Zugs etwas zu steil, braucht es nicht viel, und sie verlieren das Gleichgewicht, kippen nach hinten, schlagen sich im schlimmsten Fall den Kopf auf.

Genau darum stritten die SBB und der Dachverband der Schweizer Behindertenorganisationen Inclusion Handicap während mehrerer Jahre. Der Verband hatte die Bundesbahnen verklagt, weil deren damals neue FV-Dosto-Doppelstöcker Menschen mit Behinderung diskriminierten. Der Hauptvorwurf betraf die Einstiegsrampen, die mit einer Neigung von über 15 Prozent zu steil seien.

Der Streit endete mit einem Erfolg für Inclusion Handicap. Vergangenes Jahr bekräftigte das Bundesgericht, dass Menschen mit Behinderung das Recht dazu haben, den öffentlichen Verkehr autonom benützen zu können. 

Eine Frau im Rollstuhl kann am Hauptbahnhof Zürich nur mithilfe eines Lifts in den Zug steigen. Inclusion Handicap kämpft seit Jahren dafür, dass Menschen mit Behinderung selbstständig den ÖV nutzen können.

Doch dieses Recht ist gemäss den Behindertenorganisationen nun gefährdet, wie aus einem Brief an sämtliche Mitglieder des Ständerats hervorgeht. Am Dienstag berät die kleine Kammer über eine Änderung des Eisenbahngesetzes, die laut Inclusion Handicap zwei entscheidende Rechte «zugunsten Menschen mit Behinderung akut gefährdet». 

Diskriminierend aus Sicht des Schweizer Rechts

Anlass für die Gesetzesänderung ist eine Vereinbarung der Schweiz mit der europäischen Eisenbahnagentur (ERA). Die Vereinbarung erlaubt den Betrieb von in der Schweiz zugelassenen Zügen in der EU – und läuft Ende Jahr aus.

Um sie zu verlängern, will der Bundesrat die EU-Regeln des sogenannten vierten Eisenbahnpakets übernehmen. Die Verkehrskommission des Ständerats hat der Änderung bereits zugestimmt, «um den grenzüberschreitenden Bahnverkehr zukunftsfähig und im Bewilligungsprozess effizienter zu machen».

«Die Einhaltung der nationalen Vorschriften einschliesslich Behindertengleichstellungsgesetz ist gewährleistet.»

Bundesamt für Verkehr

Nur hat die EU laschere Regeln, was die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung angeht. Sie schützt keinen autonomen Zugang zum ÖV, stellte auch das Bundesgericht fest. «Man kann gemäss EU-Recht einen Zug bauen, in den man nur über Treppen einsteigen kann, solange gewährleistet ist, dass der Person im Rollstuhl geholfen wird», sagt Caroline Hess-Klein, Leiterin Gleichstellung bei Inclusion Handicap. Für Menschen mit Behinderung sei dies aus Sicht des Schweizer Rechts und auch der UNO-Behindertenrechtskonvention diskriminierend.  

Das für die Zulassungen zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) hält die Kritik der Behindertenverbände für «unbegründet». Denn: Prüft die europäische Eisenbahnagentur (ERA) einen Zug, der die Schweizer Grenze überschreitet, sollen sowohl die ERA als auch das BAV das Gesuch prüfen. Die Bewilligung erteilt letztlich die europäische Behörde. Das BAV beschwichtigt, dass so «die Einhaltung der nationalen Vorschriften einschliesslich Behindertengleichstellungsgesetz gewährleistet» sei.

Nur beinhalten diese Vorschriften nirgends, dass Züge vollständig autonom benützt werden können. Das BAV stützt sich auf das im Gesetz enthaltene Verhältnismässigkeitsprinzip. Es kann Ausnahmen genehmigen, wo Menschen mit Behinderung beispielsweise auf Hilfspersonal angewiesen sind.

Hürden für Beschwerden deutlich höher

Hinzu kommt, dass die EU kein Verbandsbeschwerderecht kennt, wie es die Schweiz hat. Dass Verbände das Recht haben, Beschwerden einreichen zu können, soll bei der Umsetzung des Behinderten­gleichstellungs­gesetzes sicherstellen, dass dieses auch eingehalten wird. Wie das Bundesgericht bestätigte, gilt das auch, wenn das Bundesamt für Verkehr neue Züge bewilligt. 

Dieses Recht werde tatsächlich beschnitten, gibt das BAV zu. Künftig könnten nur noch einzelne Betroffene eine Beschwerde einreichen, dabei aber von einem Verband unterstützt oder vertreten werden. Die Hürden sind damit um einiges höher. Zudem müsste eine Zulassung eines Zugs, der beispielsweise Menschen im Rollstuhl diskriminiert, vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten werden. Und dieses wiederum wendet das laschere EU-Recht an.

Für Hess-Klein heisst das: «Wäre der nächste Dosto-Zug von Menschen mit Behinderungen nicht autonom benutzbar, könnte er von Inclusion Handicap nicht mehr wie vom Behindertengleichstellungsgesetz vorgesehen angefochten werden.» 

Am Dienstag wird sich nun der Ständerat mit diesen Fragen befassen. Danach nimmt sich der Nationalrat der Änderungen des Eisenbahngesetzes an.