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Wegen Geburtenrückgang
Babybrei-Firmen und Spielzeughersteller nehmen Erwachsene ins Visier

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In Kürze:
  • Firmen passen Geschäftsmodelle an, um Umsatzverluste zu vermeiden.
  • Spielwarenhersteller wie Lego zielen zunehmend auf erwachsene Kundschaft, bekannt als «Kidults».
  • Der demografische Wandel dürfte den Druck auf die Staatsfinanzen erhöhen.

In der Schweiz kommen weniger Kinder zur Welt als früher. Die Frauen bekommen im Schnitt nur noch 1,33 Kinder – einer der tiefsten Werte weltweit. Das hat Folgen für die Wirtschaft. Firmen müssen ihr Geschäftsmodell verändern, um zu verhindern, dass ihr Umsatz schrumpft.

Hersteller von Produkten für Babys spüren den Einbruch bereits. «Die sinkenden Geburtenraten stellen uns zweifellos vor Herausforderungen, die sich in einem spürbaren Nachfragerückgang innerhalb der gesamten Branche zeigen», sagt Tina Kläntschi, Schweiz-Chefin von Mam Baby mit Sitz in Wollerau SZ. Die Firma vertreibt Säuglingstrinkflaschen und Nuggis.

Auch der Verkauf von Babynahrung geht deutlich zurück. Das Volumen des Gesamtmarktes schrumpfte von 91,4 Millionen Franken im Jahr 2022 auf noch 84 Millionen Franken, dies zeigen Zahlen für die Schweiz von der Marktforschungsfirma Nielsen.

Kinderschuhhändler verkauft inzwischen auch Kleider

Die Marktführerin bei Babynahrung, die Firma Hipp mit Hauptsitz in Sachseln OW, konnte den Schweiz-Umsatz trotzdem steigern, indem sie rechtzeitig Gegenmassnahmen ergriffen hat. Sie weitet das Snack-Angebot für Kleinkinder, zu dem Riegel und Reiswaffeln, Hirse-Stangen und Hafer-Ringe gehören, zunehmend aus.

Darüber hinaus setzt Hipp jetzt noch stärker auf Nahrung für Erwachsene. Für ältere Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen produziert sie seit Jahren Sondennahrung – auf Basis natürlicher Lebensmittel.

Sondenernährung ist so flüssig, dass sie über den Schlauch einer Ernährungssonde verabreicht werden kann. «Das Segment Spezialernährung wollen wir weiter ausbauen und international ausrollen», sagt Clemens Preysing, Sprecher von Hipp.

Die Firma Hipp setzt künftig stärker auf Nahrung für Erwachsene: Sondennahrung aus Milch und püriertem Gemüse für Betagte.

Auch Walder habe in den Jahren 2021 und 2022 die sinkende Nachfrage zu rückläufigen Umsätzen gespürt, sagt Sandra Furger-Walder, die beim schweizweit tätigen Schuhhändler den Kinderbereich verantwortet. Das Familienunternehmen ist seit 150 Jahren im Schuhhandel tätig und führend bei den Kinderschuhen.

Der Rückgang sei in der Zwischenzeit wieder aufgefangen, sagt Furger-Walder. Dazu habe Walder den Beratungsservice ausgebaut und das sogenannte Cross-Selling intensiviert. Das heisst, dass bestehenden Kundinnen und Kunden zusätzliche, komplementäre Produkte angeboten werden. So verkauft Walder nun auch Znüniboxen und Regenschirme sowie Pullover, Hosen, Strickjacken und Badekleider.

Geburtenrückgang hat sozioökonomische Gründe

Statt zusätzliche Produkte für die gleiche Zielgruppe anzubieten, zielen andere Firmen mit ihren Produkten auf ganz neue Kundinnen und Kunden. Lego zum Beispiel. Der Spielwaren-Riese aus Dänemark ist längst kein Kinderspielzeughersteller mehr, sondern lanciert laufend neue Linien, die sich an Erwachsene richten.

Mit gutem Grund, denn nicht nur in der Schweiz sinken die Geburtenraten, sondern in ganz Europa. Zum ersten Mal seit 1960 ist laut Zahlen von Eurostat, dem statistischen Amt der EU, im vergangenen Jahr die Zahl der Geburten in der EU auf unter 4 Millionen gesunken. Mit 1,46 Lebendgeburten pro Frau ist die aktuelle Fruchtbarkeitsrate im weltweiten Vergleich tief. Nur in der Region Ostasien und Pazifik ist die Rate geringer. 

Der Geburtenrückgang in diversen Ländern ist auf mehrere sozioökonomische Faktoren zurückzuführen. Dazu gehören steigende Lebenshaltungskosten, die es für viele Paare schwieriger machen, eine Familie zu gründen. Zudem entscheiden sich Frauen zunehmend für eine längere Ausbildung und den Karriereaufbau, bevor sie Kinder bekommen. Auch der Zugang zu verbesserten Verhütungsmethoden und eine veränderte gesellschaftliche Einstellung, in der individuelle Lebensziele mehr Gewicht als Familienplanung haben, tragen zu diesem Trend bei.

«Kidults» im Visier von Marketingstrategen

Als weltweit tätiges Unternehmen verdient Lego inzwischen nicht mehr mit der Lego-Feuerwehr oder dem Friends-Spital das grosse Geld. Wichtiger werden aufwendige Sets wie der Eiffelturm mit über 10’000 Teilchen für fast 700 Franken oder der Porsche 911 GT3 für über 900 Franken. Solche Sets für Erwachsene sind auch in der Schweiz sehr beliebt. Im diesjährigen Vorweihnachtsverkauf sei das Interesse speziell gross, schreibt der Spielwarenverband mit Bezug auf eine Umfrage bei den Händlern vom November. 

Mit den «Kidults» (Kofferwort aus den englischen Wörtern «Kids» und «Adults») hat die Spielwarenindustrie einen Begriff kreiert, um die Strategie zu benennen, bei der Erwachsene ins Visier kommen. Gemeint sind Erwachsene, die so tief in die Spielzeugwelt eintauchen, wie das sonst nur Kinder können. 

Die Branche hat mit verschiedenen Faktoren zu kämpfen, darunter vor allem der Konkurrenz durch Billiganbieter aus China. Deshalb ist der Umsatz mit Spielwaren in der Schweiz im vergangenen Jahr um 5 Prozent auf 515 Millionen Franken gesunken. «Dieser Trend könnte sich aufgrund der sinkenden Geburtenrate fortsetzen, da weniger Kinder auch weniger potenzielle Konsumenten für klassische Spielzeuge bedeuten», sagt Sandro Küng, Sprecher des Spielwarenverbands.

Die Händler stellen sich auf einen langfristigen Wandel ein. In den Läden gibt es deshalb zunehmend Spielzeuge, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene interessant sind, wie beispielsweise Sammlerstücke oder technisch anspruchsvolle Bausätze.

Nestlé setzt auf Produkte für Frühgeborene und Allergiker

Die Hersteller von Baby-Produkten hingegen setzen auf eine andere Strategie: Sie fokussieren aufs Premium-Segment oder lancieren speziell ökologische Produkte, von denen sie sich höhere Umsätze erhoffen als mit konventionellen.

Der Milchflaschen-Hersteller Mam etwa lancierte einen besonders leichten Nuggi und eine speziell entwickelte Anti-Koliken-Flasche für Neugeborene. Nestlé, Vertreiberin von Milchpulver, derweil will mehr Spezialnahrung für besondere Ernährungsbedürfnisse verkaufen, etwa bei Frühgeburten und Allergien.

«Wir tun dies etwa über unser Sortiment mit humanen Milch-Oligosacchariden», erklärt Serena Aboutboul, Chefin des Bereichs Säuglingsernährung bei Nestlé. Milch-Oligosaccharide sind unverdauliche Zuckermoleküle, die in hoher Konzentration nur in menschlicher Muttermilch vorkommen. In der Schweiz verkauft Nestlé ein entsprechendes Produkt unter der Marke Beba.

Danone, die Firma hinter der Marke Aptamil, setzt ebenfalls auf pädiatrische Ergänzungsmittel. Ausserdem sehe man Wachstumschancen darin, «Eltern länger in der Milchnahrungskategorie zu halten, auch über den ersten Geburtstag des Babys hinaus», sagt Sprecher Philippe Aeschlimann.

Bund aktualisiert Bevölkerungsszenarien nächstes Jahr

Der aktuelle Babymangel wird sich in wenigen Jahren zu einem Schülermangel entwickeln, und nach und nach werden weitere Branchen diese demografische Entwicklung zu spüren bekommen. Sie dürfte den Druck auf die Staatsfinanzen erhöhen, da die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter schrumpft und die Ausgaben im Gesundheitswesen sowie in der Altersvorsorge steigen – auch in der Schweiz. 

Bei der Planung ihrer Szenarien orientieren sich Firmen, aber auch Kantone und Gemeinden unter anderem massgeblich an den Zahlen des Bundes, der mit unterschiedlichen Parametern wie Zuwanderung, Geburten sowie Sterberate die Bevölkerungsentwicklung prognostiziert.

Die Bevölkerungsszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS) werden alle fünf Jahre erstellt, die aktuellen beziehen sich auf Daten von 2019 und berücksichtigen folglich den Geburtenrückgang nicht. Neue Daten, bei denen die gesunkene Fertilität berücksichtigt ist, wird das BFS im kommenden Jahr veröffentlichen.