Gang-Gewalt in SchwedenBloss keine «schwedischen Verhältnisse»
Die Bandenkriminalität nimmt im skandinavischen Land drastische Ausmasse an. So drastische, dass die besorgten Nachbarländer auf Distanz gehen.
Über kaum ein Land halten sich so hartnäckige Klischees wie über Schweden. Pippi Langstrumpf, Bullerbü, Abba, Lönneberga, Ikea, Nils Holgersson und rotes Holzhaus werden gern zu einem so pittoresken wie abgegriffenen Sprachpolaroid angeordnet. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass von manchen Schweden-Liebhabern angesichts der düsteren Weltlage ein umso idyllischeres Bild ihres Sehnsuchtsorts gepinselt wird, so als wollte man sich die letzten hellen Projektionsflächen nicht auch noch nehmen lassen.
Umso mehr fällt dann auf, wie komplett gegenläufig mittlerweile die Dänen, Norweger und Finnen auf den grossen Nachbarn in ihrer Mitte schauen, was dann auch wieder leicht verzerrt oder zumindest einseitig wirkt. «Schwedische Verhältnisse, der Ausdruck existiert auf Norwegisch, Finnisch und Dänisch – und er ist stehende Wendung, Menetekel, Warnung: bloss das nicht, wir müssen alles tun, um nicht so zu werden wie Schweden, das in einigen Beschreibungen einem failed state oder Mordor gleicht, dem Reich des Bösen in «Herr der Ringe».
Allein im September starben zwölf Menschen im Bandenkrieg
In Norwegen wurde der Begriff der «svenske tilstander», also der schwedischen Zustände, 2017 zum Dreh- und Angelpunkt der damaligen Wahldebatte. Schweden hatte 2015/2016 europaweit prozentual die meisten Migranten aufgenommen. Als die damalige norwegische Einwanderungs- und Integrationsministerin Sylvi Listhaug von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei den Stockholmer Stadtteil Rinkeby besuchte und danach erzählte, leichtgläubige und gescheiterte Integration sei schuld daran, dass schwedische Stadtviertel brennen, warf ihr der damalige sozialdemokratische Oppositionsführer Jonas Gahr Støre vor, sie wolle «Angst schüren». Listhaug echauffierte sich daraufhin auf Facebook: «Was wollen Sie? Schwedische Verhältnisse in Norwegen? Jeder, der kommt, soll bleiben dürfen? Offene Grenzen?»
Der Begriff verfestigte sich derart zur Angst-Chiffre, dass eine eigene linguistische Untersuchung zum Schluss kam: «‹Schwedische Verhältnisse› ist ein Bild von etwas, das an einem anderen Ort passiert, etwas, wovon man sich distanzieren kann, eine Art Albtraumzustand.» Gerade deshalb berge der Begriff «die Gefahr, ein reduktionistisches Verständnis von Schweden und dem, was ‹schwedisch› ist, zu schaffen».
Momentan tauchen die «schwedischen Verhältnisse» wieder verstärkt in den norwegischen Medien auf. Diesmal geht es um die ausufernde Bandenkriminalität, der allein im September in Schweden zwölf Menschen zum Opfer fielen. Nun ist die Angst gross, dass die Gewalt in die Nachbarländer überschwappt. Ende September meldete die Polizei, dass ein Entführungsfall in Trondheim der schwedischen Foxtrot-Bande angelastet werde.
Auch in Finnland operieren schwedische Banden
Trond Bruen Olsen, Leiter der Abteilung für Organisierte Kriminalität bei der Kriminalpolizei in Oslo, bestätigte, dass man länger schon «kriminelle Aktivitäten des Foxtrot-Netzwerks in Norwegen» registriere. Die Zeitung «Morgenbladet» schrieb daraufhin, die Zeit, Sorgen über «schwedische Verhältnisse» ins Lächerliche zu ziehen, sei endgültig vorbei. Man habe festgestellt, dass die Grenze zwischen Norwegen und Schweden praktisch unbewacht sei, weshalb die Banden leichtes Spiel hätten.
Auch in Finnland hat man Angst davor, auf den «ruotsin tiellä», also den schwedischen Weg abzugleiten. Die finnische Polizei hat kürzlich bekannt gegeben, dass die aus Stockholm operierende Gang Dödspatrullen (Todespatrouille) Drogen im grossen Massstab nach Finnland geschmuggelt hat. Das Innenministerium warnte, andere schwedische Banden würden ebenfalls versuchen, in Helsinki Fuss zu fassen. Die Zeitung «Helsingin Sanomat» zitierte einen schwedischen Terrorexperten, der sagte, die Foxtrot-Bande habe sich längst in Finnland breitgemacht.
Seppo Kolehmainen, der oberste Polizeikommissar des Landes, sagte daraufhin auf einer Pressekonferenz, sein schwedischer Kollege Anders Thornberg warne ihn kontinuierlich, Finnland müsse Massnahmen ergreifen, «damit die Situation nicht wie in Schweden aus dem Ruder läuft».
Norwegische Polizei als Verstärkung in Schweden?
Die Innenministerin Mari Rantanen von den rechtspopulistischen Wahren Finnen will das Alter für Strafmündigkeit nun herabsetzen, momentan liegt es bei 15 Jahren. Die neue Regierung unter dem rechtskonservativen Petteri Orpo hat angekündigt, das Polizeibudget im kommenden Jahr zu erhöhen, insbesondere um Jugend- und Bandenkriminalität besser angehen zu können. In Schweden sollen 30’000 Menschen in Strassenbanden organisiert sein, in Finnland, so der finnische Radiosender Yle, sind es 150.
Zuletzt noch mal zurück nach Norwegen und von dort aus nach Dänemark: Als Per-Willy Amundsen von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei im norwegischen Parlament vorschlug, norwegische Polizei zur Verstärkung nach Schweden zu schicken, schliesslich habe der schwedische Staat «sein Gewaltmonopol verloren», da kam das der dänischen Zeitung «Politiken» dann doch etwas übertrieben vor.
Sie schrieb daraufhin in einer satirischen Kolumne, die dänischen Polizeibehörden würden ihr Augenmerk jetzt auf den wichtigsten schwedischen Kulturexport, die neu eröffnete Ikea am Fisketorvet in Kopenhagen, richten. Man habe einen eisernen Ring um den Laden gelegt, wird eine fiktive Polizistin zitiert. «Es handelt sich um einen Eisenring von Ikea, Modell Malm. Wir rechnen mit einer leichten Verzögerung bei der Konstruktion, weil ein Teil fehlt, aber wir werden ihn anbringen, sobald wir den mitgelieferten Inbusschlüssel gefunden haben.»
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