Interview zu historischen Gärten «Ganze Baumarten drohen aus Schweizer Pärken zu verschwinden»
Der Schutz von historisch wertvollen Gärten und Pärken ist schwierig. Judith Rohrer, die erste vollamtliche Gartendenkmalpflegerin des Landes, erklärt, weshalb.

Frau Rohrer, wann konnten Sie zuletzt ein Gartendenkmal retten?
Diesen Frühling mit der Instandstellung eines Kleinods am Zürichsee. An der ersten Schweizer Gartenbauausstellung G59, die 1959 in Zürich stattfand, gab es beim Zürichhorn einen Platten- und Staudengarten. Im Laufe der Zeit wurde er mit Erde zugeschüttet, weil seine Bedeutung in Vergessenheit geraten war. Die grossen Sandsteinplatten und das Brücklein waren noch sichtbar, sonst war der Garten verschwunden.
Weshalb war es so wichtig, diesen Garten wieder hervorzuholen?
Er war sozusagen die Keimzelle des Seeuferweges in Zürich, der ab 1963 von hier weg gebaut wurde. Dieser gilt als Ikone einer gartenkulturellen Leistung von Zürich. Umso mehr hat es geschmerzt, dass dieser Ursprungsgarten einfach weg war. Aber jetzt ist er wieder da und sieht aus, als wäre er nie weg gewesen.
Wie geht man vor, wenn man einen Garten ausgräbt?
Wir suchten nach Quellen zur ursprünglichen Gestaltung – fanden jedoch bloss eine Skizze und ein paar Fotos. Doch es ging auch nicht um eine museale Rekonstruktion, sondern darum, die noch existierenden Elemente zu erhalten und die Atmosphäre von damals wieder erlebbar zu machen.
Sie wurden 1990 die erste offizielle Gartendenkmalpflegerin in der Schweiz. Ein Traumjob?
Es ist ein Privileg, an dieser Stelle zu arbeiten, auch wenn es oft herausfordernd ist. Es gibt manchmal Fälle, die mich Tag und Nacht beschäftigen, weil auch viele Emotionen und Aggressionen im Spiel sind. Man kann es nie allen recht machen und muss trotz grossen Bemühungen für den Erhalt von Gärten auch immer wieder Verluste hinnehmen. Manchmal ist es auch schwierig, mitzuerleben, wie die Natur kämpft. Als Folge des Klimawandels drohen ganze Baumarten aus unseren Pärken zu verschwinden, etwa die Buche, aber auch die Rottanne. Man muss also schon gut geerdet sein für den Job.
In Sachen Denkmalpflege sind die Gebäude den Gärten fast 100 Jahre voraus. Weshalb ist das so?
Ein Gebäude ist am Tag seiner Einweihung fertig – ein Garten fängt dann erst an zu wachsen. Er entwickelt sich, verändert seine Atmosphäre, und wenn er dann am schönsten ist, bricht irgendein wichtiges Element zusammen. Weil wir im Garten mit lebendem Baumaterial arbeiten, ist der Schutz recht komplex. Trotzdem: Menschen haben sich immer schon für Gärten eingesetzt.
Zum Beispiel?
An der heutigen Kreuzung Bahnhofstrasse/Börsenstrasse, also vom Paradeplatz Richtung See, gab es im 19. Jahrhundert ein Ausflugsrestaurant mit einer riesigen Terrasse. Man konnte im Schatten grosser Bäume sitzen und auf die Berge und den See schauen. Als 1858 dieser Garten der Verlängerung der Bahnhofsstrasse weichen sollte, führte dies zu einer riesigen Auseinandersetzung um diesen Ort, an dem die Bevölkerung sehr hing.

Heute ist die Stadt Zürich in Sachen Gartendenkmalpflege anderen Städten weit voraus. Wie kam es zu dieser Pionierrolle?
Mitte der 1980er-Jahre konnte die Stadt verschiedene Liegenschaften kaufen, etwa die Villa Bleuler. Engagierte Personen realisierten damals, dass nicht nur die Gebäude wichtig sind, sondern auch deren wertvolle Gärten, die schnell unter Druck geraten. Sie drängten auf die Erarbeitung eines Zürcher Garteninventars, wurden politisch unterstützt, und die Mittel konnten bereitgestellt werden. So bekamen zwei Gartenhistorikerinnen den Auftrag, ein Inventar der schützenswerten Gärten in der Stadt zu erarbeiten. Damit hat sich die Stadt 1989 ein wichtiges Instrument für den Erhalt der Gärten gegeben.
Weshalb ist dieses Inventar so wichtig?
Weil wir einen gesetzlich verankerten Auftrag haben, historisch wertvolle Gärten zu inventarisieren und nach Möglichkeit zu schützen. Folglich wurde mit dem Inventar auch eine Stelle für Gartendenkmalpflege geschaffen, die ich 1990 antreten durfte. Der Begriff Gartendenkmalpflege war bis dahin in der Schweiz kaum bekannt und auch während meiner ganzen Ausbildung zur Landschaftsarchitektin nie ein Thema.
Welchen Zeitraum umfasst das Inventar?
Das 1989 festgesetzte Inventar reichte von den Anfängen bis ins Jahr 1960. 2013 haben wir die Jahre bis 1980 nacherfasst. Bereits wäre die nächste Ergänzung um 20 Jahre fällig, weil die jüngsten Gärten häufig am meisten gefährdet sind.
Wieso denn?
Weil wir als Gesellschaft diese modernen Gärten oft als nicht so wertvoll erachten. Ein Zeugnis aus dem 19. Jahrhundert wird viel eher als wichtig und wertvoll eingestuft, eines näher an unserer Zeit hat es da viel schwerer. Wir haben dies auch bei uns selber festgestellt, als wir Gärten bis in die 1980er-Jahre nacherfassten. Plötzlich mussten wir uns für Verbundsteinflächen und Cotoneaster-Rabatten einsetzen.
Weshalb sind auch solche Gärten schützenswert?
Weil auch sie Zeugen ihrer Epoche sind und nachkommenden Generationen die zeittypischen Gartenideale vermitteln. Mit stark reduzierten Pflanzensortimenten und grosszügigen Rasen- und Belagsflächen entstanden damals Raumkonzepte zu den Siedlungsbauten der Hochkonjunktur. Jeder Garten legt Zeugnis ab, häufig für eine Gestaltungsepoche oder eine namhafte Gestalter- oder Besitzerpersönlichkeit.
Viele dieser Gärten sind in privater Hand. Wie können Sie sie schützen?
Gärten beanspruchen unser teuerstes Gut, nämlich Boden. Kommt es bei Liegenschaften zu Erbteilungen, können die Erben den Umschwung als Ganzes aus finanziellen Gründen oft nicht tragen. Herausfordernd ist aber auch, dass ein Garten dynamisch ist, sich stetig entwickelt. Er braucht lebenslange Pflege, was für viele Leute eine grosse Belastung ist. So geht es letztlich häufig darum, mit Privatgartenbesitzern gute Kompromisslösungen zu finden. In den öffentlichen Gärten und Parkanlagen kann die Gartendenkmalpflege wesentlich mehr bewirken.

Der Schulthess-Gartenpreis des Schweizer Heimatschutzes ging 2023 an die Erfasserinnen und Erfasser der historischen Gärten und 2024 an die restaurierten Englischen Anlagen in Bern. Was bringt ein solcher Preis?
Er bringt wichtige Impulse. In der Öffentlichkeit weckt man dadurch die Faszination für die Geschichte einer solchen Anlage. Für Politiker sind die Preisverleihungen eine Gelegenheit, sich für dieses Thema einzusetzen. Nicht zuletzt können solche Preise helfen, Gärten zu retten.
Ist das schon einmal passiert?
2004 ging der Preis an den Zürcher Fred Eicher, ein bis dahin zu wenig beachteter, wegweisender Landschaftsarchitekt. Dank dem Preis und der damit generierten Aufmerksamkeit ist es gelungen, einem von Eichers Hauptwerken in Zürich, dem Friedhof Eichbühl, seine klare Grosszügigkeit zurückzugeben und es damit als Gartenkulturgut zu bewahren.
Gibt es auch historische Gärten, die Sie nicht retten konnten?
Ja, immer wieder, zum Beispiel als der Platzspitz teilweise überbaut wurde, das tat weh. Es sind aber alte Geschichten, und irgendwann muss man sie abschliessen. Trotzdem gehe ich noch immer gern in diesen Park, speziell zu den Platanen, die bereits auf einem Plan von 1786 eingezeichnet sind.
Sie waren oder sind in allen wichtigen Gremien in Sachen Gartendenkmalpflege in der Schweiz – welche Fortschritte wurden erzielt?
Es gibt einige Erfolge zu verbuchen, aber es läuft noch immer peu à peu. Seit der schweizweiten Erfassung der Gärten durch die Icomos-Arbeitsgruppe existiert jetzt flächendeckend eine Übersicht über die potenziell schützenswerten Gärten. In einigen Kantonen sowie in grossen Städten wurden diese Listen überarbeitet, digitalisiert und bestenfalls zu einem Inventar weiterentwickelt. Etwa in Bern, Genf, Winterthur, Basel. Ich stelle fest, dass es stark mit den Personen zusammenhängt, die auf den entsprechenden Ämtern arbeiten. Zudem: Der Schutz allein reicht nicht, um einen Garten zu erhalten. Es braucht auch eine denkmalgerechte und kontinuierliche Pflege. Das ist heute nicht immer einfach. Es gibt auch bei den Gärtnerinnen und Gärtnern einen akuten Fachkräftemangel, und es ist schwierig, die richtigen Leute zu finden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.