Abschluss des G-7-GipfelsG-7 mit neuem Elan und ein paar bitteren Gefühlen
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen endete mit etlichen konkreten Ergebnissen. Nur der Brexit trübte die gute Stimmung.
An hochfliegenden Plänen hat es nicht gefehlt bei diesem Gipfel in der äussersten Südwestecke Englands. Erst wurde eine neue «Atlantische Charta» enthüllt. Dann gab es das «Build Back Better for the World»-Programm, eine Art Marshallplan zur Post-Corona-Unterstützung von Entwicklungsländern. Und zuletzt folgte der «Blue Planet Fund», ein Hilfsfonds zur Rettung der Ozeane in aller Welt.
Einen Mangel an Ehrgeiz konnte man den in Cornwall zusammengekommenen Staats- und Regierungschefs führender Industrienationen nicht vorwerfen. Allein schon der Gastgeber des G-7-Treffens, der britische Premierminister Boris Johnson, hatte sich viel vorgenommen für «seine» Konferenz.
«Historische Ergebnisse» sollte der Gipfel bringen, hatte Johnson vorab erklärt. Für den Chef-Brexiteer war dies schliesslich die ideale Gelegenheit, sein «neues Britannien» und dessen «globale Rolle als unabhängige Nation» ins Scheinwerferlicht zu rücken. Es war der erste G-7-Gipfel seit dem vollständigen Austritt der Briten aus der EU.
Für die anderen Teilnehmer und die sonst geladenen Gäste war es vor allem der erste G-7-Gipfel nach den Strapazen der Trump-Ära. Die Zeit der Grobheiten, Wutanfälle und vorzeitigen Abreisen ist, zur allgemeinen Erleichterung, vorbei.
Man verständigte sich darauf, dass «die Demokratien» der Welt zusammenstehen müssten in den Krisen der Gegenwart.
Für Joe Biden war es sein erster Auftritt als Präsident fernab der amerikanischen Küsten. Und für Johnson die erste Chance, Bidens Bekanntschaft zu machen – und Unstimmigkeiten aus einer Zeit auszuräumen, in der Boris noch «der Briten-Trump» und, in Bidens Worten, der «reinste Trump-Klon» war.
Äusserst geschmeichelt fühlte sich die britische Seite, dass ihr «wichtigster Verbündeter» dem Vereinigten Königreich und seinen Repräsentanten den Tag vor der Gipfel-Eröffnung eingeräumt hatte. Pflichtschuldigst trottete der Gast aus Washington mit Ehefrau Jill, Premier Johnson und dessen frisch Angetrauter Carrie zu mehreren Fototerminen an den Strand von Carbis Bay, zur Gipfel-Bühne unterhalb des Konferenzhotels.
Johnson sagte bei dieser Gelegenheit, dass die britisch-amerikanische Beziehung nicht nur «eine ganz besondere Beziehung», sondern total «unverwüstlich» sei. Die Zusammenkunft mit Biden ermöglichte es ihm, sein altes Idol Winston Churchill neu zu beschwören. An Churchills und Franklin D. Roosevelts «Atlantische Charta» von 1941 sollte eine neue Charta erinnern, die Johnson zusammen mit Biden nun aus der Taufe hob.
Inmitten der Pandemie und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme, konfrontiert mit neuen Sicherheitsfragen und bedroht von einer globalen Klimakatastrophe verständigte man sich darauf, dass «die Demokratien» der Welt zusammenstehen müssten in den Krisen der Gegenwart.
Pandemien schneller bekämpfen
Kaum waren auch die anderen Teilnehmer in Carbis Bay eingetroffen, um sich vor der Kulisse der Bucht um Biden zu scharen und ihren Anteil am Barbecue zu fordern, war mit der «Carbis-Bay-Deklaration» schon die nächste grosse Ankündigung fällig. Die G-7-Repräsentanten verpflichteten sich darauf, durch eine Reihe neuer Massnahmen künftige Pandemien wesentlich schneller zu bekämpfen als bisher.
Um die gegenwärtige Notlage der ärmsten Länder der Welt zu mindern, kristallisierte sich auf dem Gipfel ausserdem nach einigem Gerangel das Versprechen heraus, diesen Staaten bis Ende nächsten Jahres eine Milliarde Impfdosen extra zu verschaffen. Viel zu wenig sei das und nicht schnell genug komme dieser Beistand, klagten allerdings die Generalsekretäre der UNO und der Weltgesundheitsorganisation.
Immerhin kam das Thema Ungleichgewicht zur Sprache bei der Debatte über den globalen Wiederaufbau aus den «Covid-Ruinen». Boris Johnson gelang es, seinen alten Tory-Slogan «Build Back Better» in ein globales Programm «Build Back Better for the World» auszuweiten. Gemeint war damit die Idee, dass die führenden Industrienationen zusammen mit internationalem Grosskapital Milliardenbeträge in die Infrastruktur ärmerer Länder investieren sollten. Feste Zusagen dafür gab es zum Ende des Gipfels aber nicht.
Drei Generationen der Royals waren aufgeboten für die Charme-Offensive, die Johnson am Herzen lag.
Ein Schwerpunkt des letzten G-7-Tags am Sonntag war der Kampf gegen den Klimawandel. Die Staats- und Regierungschefs äusserten neue Gelöbnisse zum drastischen Herunterschrauben der Schadstoffemissionen. Um den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken und um naturbelassene Flächen wurde bis zuletzt gerungen. Zum Schutz der Ozeane ist ein «Blue Planet Fund» geplant, aus dem Entwicklungsländern finanzielle Hilfe zufliessen soll. Ob die Gelöbnisse weit genug gehen und ob ihnen Taten folgen werden, bleibt fraglich.
Zum Ende des Gipfeltreffens warnte eine Tafelrunde von Sir David Attenborough, dem TV-Veteranen und prominentesten Naturschützer der Insel, dass sich die Politiker der Welt «vor den wohl wichtigsten Entscheidungen der ganzen Menschheitsgeschichte» fänden – weil man «an der Schwelle zur Destabilisierung des gesamten Planeten» stehe.
Dieselbe Botschaft hatte auch Prinz Charles an alle Welt gerichtet. Ihm war die Aufgabe zugefallen, am Rande des Gipfels willige Geschäftsleute in die Klimakampagne einzubinden. Königin Elizabeth II. half derweil, unter den Glaskuppeln des berühmten botanischen Gartens «Project Eden» die Gipfel-Gäste zu bewirten – bevor sie Joe und Jill Biden in Windsor Castle noch ein Tässchen Tee kredenzte. Auch William, Kate und Camilla wirkten beim Gipfel mit: Drei Generationen der Royals waren aufgeboten für die Charme-Offensive, die Johnson am Herzen lag.
Heftiger Streit um Nordirland
Nicht zu bezirzen vermochte Premier Johnson – an einer anderen Front – seine Gäste aus Paris, Berlin, Rom und Brüssel. Wie ein schwerer Schatten hing der Post-Brexit-Streit um Nordirland über dem Gipfeltreffen. Begonnen hatte es mit einer diplomatischen Ohrfeige, die ausgerechnet der grosse Verbündete USA seinem «besonderen» Partner versetzte, als US-Diplomaten Johnson mahnten, die Situation in Nordirland nicht weiter «anzuheizen» mit seiner Rhetorik und Konfrontationsstrategie.
Als dann auch sämtliche EU-Vertreter auf dem Gipfel dem «Brexit-Premier» bei bilateralen Gesprächen erklärten, er müsse sich gefälligst an eingegangene Verpflichtungen halten oder er werde vollends unglaubwürdig, platzte dem Briten der Kragen. In aller Öffentlichkeit verkündete Johnson, er werde «nicht zögern», den Brexit-Vertrag ausser Kraft zu setzen – schon in den nächsten Tagen, wenn er das für nötig halte.
Am Ende lagen sich die Gipfel-Gastgeber und ihre kontinentalen Gäste regelrecht in den Haaren. Frankreichs Emmanuel Macron habe «unverschämterweise» erklärt, Nordirland gehöre gar nicht zum Vereinigten Königreich, empörte sich die britische Regierung – während die Gegenseite Johnson eine üble Verdrehung des Inhalts privater Unterredungen vorhielt.
Klar war, dass der schöne Anspruch auf Einheit sich nicht lange gehalten hatte, bei allen gemeinsamen Ambitionen. Und dass die Brexit-Folgen ungut weiter schwelen und sich neu entzünden können jederzeit.
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