Max Küng schaltet das Radio ausFür SRF 3 gibts keine Liebe mehr
Unser Kolumnist macht endgültig Schluss mit der Radiostation. Was hat das mit singenden Kindern und Knonau zu tun?
Ein Kind, das bei sich singt, am Frühstückstisch, während draussen der Tag eben erst ins Licht gerückt wurde; ein Kind, das ohne Hast seinen zimtzuckerbestäubten Milchreis löffelt und seinen frisch aufgebackenen, noch ofenwarmen Gedanken nachhängt, das ist ein Bild von Zufriedenheit. Ein Idyll. Albert Anker hätte dieses Bild malen können, wobei es nicht einfach ist, singende Menschen zu malen.
Das Kind sang ein Lied mit dem schmalzigen und für ein Kind auch seltsamen Titel «Love Me Again» von einem Sänger mit einer nicht weniger schmalziger Frisur, John Newman. Es lief manchmal im Radio, damals, bevor ich SRF 3 endgültig von den Speichertasten des Küchenradios gelöscht habe, denn nach all den Jahren wurde mir irgendwann klar: Wenn man sich von einer alten Liebe trennt, weil man sich auseinandergelebt hat, dann tut man das besser gründlich und ganz und gar. On-off-Beziehungen sind zu schmerzhaft. Das gilt auch für jene zu Radiostationen.
Aber Kinder können nicht nur trällernd am Frühstückstisch sitzen, sondern auch grausam sein. Und so programmieren sie dann und wann SRF 3 wieder auf gleich alle Speichertasten des kleinen Sony-Küchenradios, um mich zu ärgern – und wenn ich frühmorgens noch schlaftrunken das Ding mit meiner Rechten einschalte, während ich gleichzeitig mit meiner Linken die Kaffeemaschine zum Leben erwecke, flutet volle Pulle SRF 3 die Küche, und es durchfährt mich ein Schauer der Trauer, während ich von irgendwoher fieses Kinderlachen höre.
Aber eben, kein Lachen an jenem Morgen. Das Kind sang leise und schön. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach. Erwachsenengedanken. In meinem Kopf ging ich diverse Routen durch, die ich an jenem noch nicht zu heissen Morgen mit dem Rennvelo fahren konnte. Es ist nicht immer ganz einfach, sich für etwas zu entscheiden, vor allem wenn alle Optionen genau richtig scheinen. Sollte ich den Pfannenstiel von hinten überfahren? Oder auf dem Hirzelrücken Richtung Finstersee? Oder via Oberwil-Lieli runter an die Reuss und dann am Zisterzienserinnenkloster Frauenthal vorbei nach Knonau, wo die Gelateria Fiorenza leider nur noch mittwochs und sonntags geöffnet hat? Knonau ist einer dieser Orte, die ich vor dem Gümmelen nur vom Autofahren kannte, ohne ihn zu kennen, sondern bloss als Begriff, wegen der Autobahnausfahrt, die ich nie nahm, der Raststätte, den Verkehrsmeldungen. Nun weiss ich: Es ist eine Ortschaft, es leben Menschen dort, eine Kirche steht mittendrin und eben: eine Gelateria.
Das Kind sang den Refrain des Lieds: «I need to know now, know now, can you love me again?» Und just, als es diese Worte vor sich hin sang, dachte ich an die noch nicht gefahrene Ausfahrt und «Knonau» – das Lied und mein Gedanke, ein paar englische Worte und diese Ortschaft im Säuliamt, «I need to know now, know now» und «Knonau», zwei so unterschiedliche Dinge aus zwei Quellen lösten durch ihre Gleichzeitigkeit und die Ähnlichkeit ihres Wortklangs eine Reaktion aus, verschmolzen wie Zweikomponentenkleber innert keiner Zeit, wurden zu einer untrennbaren Einheit.
Das Kind ging in die Schule, und ich setzte mich aufs Velo, fuhr selbstverständlich nach Knonau. Und die ganze Fahrt über spielte dieses Lied in meinem Kopf, es war nicht abzustellen. Immer und immer wieder, egal wie hart ich trampte, rotierte es in der Jukebox des Schädels. «I need to know now, know now, can you love me again?» Immerhin: Für eine bestimmte Sache, Sie wissen schon, die eine Radiostation und so, hatte ich auf die im Lied gestellte Frage eine klare Antwort.
Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».
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