Gümmeler Max KüngVelofahren ist schön…
…hat aber einen ökologischen Reifenabdruck.
Früher war das Rennvelofahren ein Sport der Proletarier (wunderbar thematisiert in Kurt Frühs Meisterwerken «Bäckerei Zürrer», 1957, und «Der Fall», 1972). Heute liest man, es sei das neue Golf. Business-Deals und Networking passieren nicht mehr nur auf den Greens, sondern auch auf der Strasse. Und längst drängen sich Firmen ins Fahrradgeschäft, welche früher nichts damit zu schaffen hatten.
Traditionelle italienische Hersteller wurden von global agierenden Finanzfirmen aufgekauft. Colnago etwa gehört Chimera, einem Investmentfonds aus Abu Dhabi. Erst unlängst wurde im Rahmen der Geneva Luxury Week ein Sondermodell von Colnago versteigert, echtvergoldet und mit einem Diamanten versehen, für 120’650 Franken. Das Modell «C68» ab Stange erscheint mit seinem Preisschild von 16’990 Franken fast schon wie ein Schnäppchen. Auch das Spitzenmodell von Pinarello mit dem breitbeinig daherkommenden Namen «Dogma» schlägt mit 15’650 Franken zu Buche. Pinarello wurde vor ein paar Jahren an die mit dem Luxuskonzern LVMH assoziierte Private-Equity-Firma L Catterton verkauft, nun aber soll sich der ehemalige Glencore-Chef Ivan Glasenberg die Aktienmehrheit gesichert haben. Der ebenfalls italienische Hersteller 3T aus Bergamo bietet ein Gravel-Bike, welches in Zusammenarbeit mit dem Sportwagenhersteller Lamborghini «entwickelt» wurde (es trägt den Namen «Exploro Racemax X Huracán Sterrato», letzteres heisst übrigens nicht «sterilisierter Hurensohn», sondern ist ein Mix aus Spanisch und Italienisch und bedeutet so viel wie «Hurrikan-Schotterstrasse»; 15’000 Euro).
Nicht nur die Luxurierung des eigentlich wegen seiner Schlichtheit faszinierenden Rennvelos stimmt nachdenklich, denn längst ist auch das Mainstream-Bike aus Carbon gefertigt – ein umwelttechnisch nicht unproblematisches Material, welches den Recyclingunternehmen Kopfzerbrechen bereitet. Gümmelen ist schön – hat aber einen ökologischen Reifenabdruck.
Selbstverständlich lässt sich auch abseits aller Exzesse ein ganz vernünftiges Rennrad beschaffen, keine Frage, zudem: der Occasionsmarkt ist hierzulande gut bestückt. Und vielleicht kann man mit dem so gesparten Geld etwas zusätzlich Sinnvolles anstellen; es weitergeben beispielsweise.
Weil ich gerne Velo fahre, sehe ich es als meine moralische Pflicht, nicht nur Geld für mein eigenes Vergnügen auszugeben, sondern auch jenen zu helfen, die vielleicht noch gar kein Velo haben – und die nicht zum Spass und um gegen den Ranzen anzukämpfen sonntags schwitzend durchs Säuliamt strampeln, sondern schlichtweg darauf angewiesen sind. Deshalb spende ich an World Bicycle Relief, eine Hilfsorganisation, welche Menschen in Entwicklungsländern Velomobiliät ermöglicht. Das Velo ist dort eines der effizientesten Mittel gegen Armut, denn ein verlässliches Transportmittel ist essenziell für den Zugang zu Bildung, Gesundheitswesen und Arbeitsplätzen. Die Spenden sind verglichen mit den Anschaffungskosten neuer windkanaloptimierter und gewichtsreduzierter Carbon-Rennräder klein. Ein paar hundert Franken sind nicht viel, aber auch nicht wenig – und vor allem eindeutig mehr als nichts.
Ich weiss: Eine Spende an World Bicycle Relief oder eine andere Hilfsorganisation verändert die Welt nicht gross, ein bisschen aber schon. Und zu spenden heisst auch, dass man über ein paar Dinge nachdenkt, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Man öffnet nicht nur das Portemonnaie, sondern auch seine Augen. Und das ist – wie eine Ausfahrt mit dem Velo – ganz und gar gesund.
Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».
Fehler gefunden?Jetzt melden.