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Frust im Führerstand
Auch Schweizer Lokführer sind oft am Anschlag

Präsentation der neuen WarnApp für Lokführer. Livedemo zwischen Olten und Zofingen. Tobias Buser (Lokführer) fährt den Zug.
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Einen ganzen Tag sollen die Lokführerinnen und Lokführer ihre Arbeit niederlegen. Dies proklamierte die deutsche Gewerkschaft GDL Anfang Woche – tatsächlich rechnet die Deutsche Bahn mit einem Ausfall bis zu 80 Prozent aller Fahrten im Fernverkehr.

Der Hintergrund: Die Gewerkschaft will mit der Aktion ihre Tarifforderungen gegenüber der Deutschen Bahn durchdrücken – die bisherigen Gesprächsrunden verliefen ergebnislos. Auch grenzüberschreitende Züge zwischen der Schweiz und Deutschland sind vom angekündigten Streik für den Zeitraum von gestern Abend bis heute Donnerstag um 22 Uhr betroffen. Dies teilten die SBB bereits am Dienstagabend mit.

Andere Streikkultur

Man könne sich mit dieser Aktion nicht solidarisieren, sagt Matthias Hartwich, Präsident der Gewerkschaft des Schweizerischen Verkehrspersonals SEV. Das sei Rosinenpickerei einer Gewerkschaft, die nur eine bestimmte Berufsgruppe vertrete und relativ unsolidarisch unterwegs sei.

Hanny Weissmüller, Präsidentin des Schweizerischen Lokpersonals (LPV), äussert zwar ein gewisses Verständnis für ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Aber hierzulande würde man nicht gleich streiken – dies nicht, nur weil der GAV fürs Verkehrspersonal kein Streikrecht beinhalten würde: «Wir fühlen uns stark mit den Unternehmen verbunden und identifizieren uns oft auch mit dem Betrieb.»

Und Hartwich ergänzt: «Wir haben in der Schweiz eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft deshalb muss man Gott sei Dank nicht auf solche drastische Massnahmen wie Warnstreiks zurückgreifen.»

Das Privatleben leidet

Also alles bestens hierzulande? Dem widersprechen dann doch beide vehement. Die Lokführerinnen und Lokführer seien immer unzufriedener mit den Arbeitsbedingungen, betont Weissmüller. Im jüngsten Newsletter des LPV illustrierte sie die Missstände anhand des regelmässigen Tests bei einem Bahnarzt, den die Lokführerinnen und Lokführer alle fünf Jahre zu absolvieren haben: «Durch die vorgegebenen Arbeitspläne fühlen sich viele in ihrem Privatleben beschnitten. Müdigkeit, Frustration, unregelmässige Ernährung, schwieriges Sozialnetz helfen nicht mit, um sich in der Freizeit optimal auf die periodische Prüfung vorzubereiten, gesund vor dem Bahnarzt zu erscheinen und ein ausgeglichenes Mitglied der sozialen Welt zu sein.» Noch immer sei der Personalmangel stark spürbar.

«Wegen fehlendem Zugpersonal hat der IC2 nach Zürich Verspätung.»

Durchsage am Bahnhof Arth-Goldau, 10. März 2023

Vor vier Jahren wurde dieser breit thematisiert, fette Schlagzeilen waren die Folge. Inzwischen haben die Bahnunternehmen einiges unternommen, um die Lücke zu füllen. Doch die Situation bleibe angespannt, sagt Hartwich. Die LPV-Präsidentin weist etwa auf eine Massnahme hin, die für das Lokpersonal sehr belastend wirke: So hätten die SBB, der mit fast 4000 Lokführerinnen und Lokführer mit Abstand grösste Arbeitgeber, die Touren von üblicherweise neun Stunden auf zehn und 10,5 Stunden verlängert, um weniger Personalressourcen einzusetzen. Obwohl sich der Personalengpass entschärft habe, sei diese Massnahme teilweise immer noch in Kraft.

Den Personalmangel bekommen auch die Fahrgäste immer wieder zu spüren. So fielen zwischen Anfang Juni und ersten Juli bei der Rhätischen Bahn insgesamt 15 Züge aus, weil es an Lokführerinnen und Lokführer fehlte. Eine peinliche Panne ereignete sich zwei Monate zuvor in Arth-Goldau. Die SBB vermeldete am Freitag, 10. März um 16.15 Uhr via Lautsprecher: «Wegen fehlendem Zugpersonal hat der IC2 nach Zürich Verspätung.» Eine Stunde lang mussten die Passagiere warten, bis ein Ersatzzug von Luzern her eintraf. Der Grund für diesen Zwischenfall, für den sich die SBB im Nachhinein entschuldigte: Bei der Ankunft in Arth-Goldau hatte der Lokführer seine längstmögliche Arbeitszeit erreicht.

Löhne nicht marktgerecht

Dass es nicht leicht sei, genügend Leute für den Job des Lokführers zu begeistern, führt Weissmülller auch auf die Löhne zurück: «Die sind nicht marktgerecht und berücksichtigen die besonderen Umstände wie Nachtarbeit, Sonntagsarbeit und lange Anfahrtswege zum Einsatzort zu wenig.» Das schrecke gerade Frauen oft ab, in diesen Beruf einzusteigen, kritisiert Hartwich. Da erstaune es nicht, dass der Frauenanteil unter 10 Prozent liege.

Derzeit laufen die Lohnverhandlungen mit den einzelnen Bahnunternehmen. Gerade gestern fand die zweite Runde mit den SBB statt, bei denen die Löhne für die Lokführerinnen und Lokführer ein wesentlicher Bestandteil sind. Noch sei keine Einigung erzielt worden, so Hartwich: «Die letzte Messe ist noch nicht gelesen.»

Ausbildung zum Lokführer, am grossen Simulator werden Weiterbildungen und Prüfungen absolviert. SBB Bildungszentrum, Zürich-Altstetten, 21.9.2020, Foto Dominique Meienberg

Der SEV sieht weiteres Ungemach auf das Bahnpersonal zukommen. Finanzministerin Karin Keller-Sutter plant, die Bundesbeiträge für den regionalen Personenverkehr zu kürzen. Konkret sollen regionale Verkehrsunternehmen nächstes Jahr 7,8 Prozent oder rund 92 Millionen Franken weniger erhalten. Die Sparübung soll auch in den folgenden Jahren fortgesetzt werden.

«Schon heute sind viele Mitarbeitende am Anschlag. Müssten Unternehmen Personal abbauen, würde der Druck auf das verbliebene Personal zusätzlich steigen», mahnt SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser, zudem drohten auch Einbussen bei den Löhnen. Das Parlament müsse diesen Abbau stoppen, um die Zukunft des öffentlichen Verkehrs zu sichern. Der SEV hat deshalb gemeinsam mit den Gewerkschaften Syndicom und VPOD am 24. Oktober eine mit 6000 Unterschriften versehene Petition eingereicht.