Umstellung der inneren UhrWarum wir uns im Frühling wie andere Menschen fühlen
Die Tage werden länger, und die düsteren Gesichter auf den Strassen scheinen plötzlich freundlicher. Woran liegt es, dass wir im Lenz fröhlicher und energetischer sind?

- Das Frühlingslicht steigert die Produktion von Glückshormonen wie Serotonin und Dopamin.
- Regelmässiger Schlafrhythmus ist essenziell für die körperliche Gesundheit der Menschen.
- Die Ursachen der Frühlingsmüdigkeit bleiben für die Wissenschaft bislang ein Rätsel.
Man steht morgens mit weniger Mühe auf, fühlt sich energetischer und hat auch nach einem langen Arbeitstag noch Lust, Freunde im Park zu treffen und das Wetter zu geniessen. Wenn Flora und Fauna wieder zum Leben erwachen, tun wir Menschen es ihnen gleich. Das ist nicht nur eine gefühlte Realität, sondern wissenschaftlich belegt.
Eine grosse Rolle spielt die innere Uhr des Menschen, die im Frühjahr anders tickt. Wir wollten vom Chronobiologen Christian Cajochen wissen, wie diese funktioniert. Er leitet seit 30 Jahren das Zentrum für Chronobiologie an der Uni Basel und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.
Das Frühlingswetter fördert die Ausschüttung von Dopamin und Serotonin
Der Mensch sei ein saisonales Wesen, sagt Christian Cajochen. Jetzt im Frühling würden sich unsere Hormone gerade der neuen Tageslänge anpassen. Auch wenn noch nicht abschliessend erforscht ist, in welchem Ausmass, weiss man: Die Produktion der sogenannten Glückshormone Serotonin und Dopamin hängt mit dem Vorhandensein von Tageslicht zusammen.

Tageslicht hat einen hohen Blauanteil, von dem der Mensch im Frühling und im Sommer aufgrund der längeren Tage stärker profitieren kann. Dieses Blaulicht wird von der Netzhaut, genauer gesagt von Melanopsin-Rezeptoren auf der Netzhaut, erfasst. Von dort aus wird die Information über den Sehnerv in den suprachiasmatischen Nukleus (wie die innere Uhr im Fachjargon genannt wird) im Hypothalamus weitergeleitet.
Morgens sendet der suprachiasmatische Nukleus Impulse, damit mehr Cortisol ausgeschüttet wird. Das Stresshormon Cortisol steigert den Blutdruck und die Herzschlagfrequenz und sorgt dafür, dass wir uns wacher fühlen. Das Tageslicht hat ausserdem zur Folge, dass vermehrt Serotonin und Dopamin produziert werden. Serotonin beeinflusst unsere Stimmung, unser Schlafverhalten und die Wahrnehmung von Schmerz. Dopamin wiederum regelt unsere Motivation und die Fähigkeit, Sachen anzupacken. Darum ist es laut dem Experten sinnvoll, nach dem Aufstehen direkt das Tageslicht aufzusuchen.
Auch die Ausschüttung von Sexualhormonen wie beispielsweise Testosteron und Östradiol nimmt zu. «Es gibt Hinweise, dass diese besonders in den Frühlings- und Sommermonaten, wenn mehr Licht vorhanden ist, leicht ansteigen können, was sich ebenfalls auf Energie, Stimmung und Libido auswirken kann», sagt Christian Cajochen.
Im Frühling verschiebt sich unsere innere Uhr nach vorne
Unsere innere Uhr steuert ebenfalls die Ausschüttung des Dunkelhormons Melatonin in der Zirbeldrüse. Abends steigt der Melatoninspiegel langsam an, nachts erreicht er, wenn die meisten von uns schlafen, seinen Höhepunkt. Der Melatoninspiegel im menschlichen Körper lässt sich im Speichel nachweisen. «Im Frühling und im Sommer verschiebt sich unsere innere Uhr etwa eine Stunde nach vorne, weil wir normalerweise mehr Licht ausgesetzt sind als im Winter», sagt Christian Cajochen dazu. Umfragen würden zeigen, dass man im Frühling und im Sommer etwas weniger schläft als im Winter. Wer also normalerweise bis 7 Uhr schläft, könnte im Frühling bereits um 6 Uhr ausgeschlafen aufstehen, wenn er seinen Schlafrhythmus nur nach seiner inneren Uhr ausrichtet.

Weil der Frühlingsanfang etwa um die gleiche Zeit wie die Zeitverschiebung stattfindet, muss sich die innere Uhr noch stärker anpassen im März. Nicht nur das Tageslicht, sondern auch die Routine verschiebt sich zeitlich nach vorne. Christian Cajochen sagt deshalb übrigens, dass die Abschaffung der Zeitumstellung aus der Perspektive der Chronobiologie Sinn mache.
«Die innere Uhr ist überlebenswichtig»
Wer sich langfristig nicht nach seiner inneren Uhr richtet beziehungsweise sich nicht nach ihr richten kann, riskiert dadurch seine Gesundheit. «Menschen, die beispielsweise im Schichtbetrieb arbeiten, sterben statistisch gesehen früher und haben ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken.»
Die innere Uhr sei überlebenswichtig, meint Christian Cajochen: «Tiere müssen – wie wir Menschen früher übrigens auch – vor Einbruch der Dunkelheit einen geeigneten Schlafplatz suchen, damit sie vor ihren Feinden in Sicherheit sind.» Auch beim modernen Menschen sorgt die innere Uhr ein paar Stunden vor Schlafenszeit dafür, dass der Körper in den Schlafmodus wechselt. Das bedeutet, dass die Produktion von Melatonin ansteigt, unsere Körpertemperatur und Herzfrequenz sinken und wir uns allmählich schläfrig fühlen. Dieser Prozess wird gestört, wenn man sich vor dem Schlafengehen künstlichem Licht (beispielsweise durch das Smartphone) aussetzt oder einen unregelmässigen Schlafrhythmus hat.
Nicht alle haben im Frühling mehr Energie
Es gibt aber auch Menschen, die den Frühling ganz anders spüren: Sie sind müde und gereizt, sobald rundherum alles und alle blühen. «Die Frühlingsmüdigkeit ist ein Rätsel, dem die Forschung bisher noch nicht auf die Schliche gekommen ist», erklärt der Experte. Zu einem anderen saisonalen Phänomen – der Winterdepression – gebe es viele Studien. An der Uni Basel wird die Frühlingsmüdigkeit in einer Umfrage erforscht. Eine Hypothese sei, dass der plötzliche Wechsel zu Licht und Wärme einige Menschen mehr Energie kostet als andere und sie ein paar Tage benötigen, um sich anzupassen. «Die Betroffenen erleben sozusagen ein Winter-Jetlag», ergänzt Christian Cajochen.
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