Macht Belohnungsaufschub glücklich?Weniger Süsskram? So trainieren Sie Ihren Verzichtsmuskel
Seit dem berühmten – fehlinterpretierten – Marshmallow-Experiment lautet ein Zauberwort in der Psychologie «Belohnungsaufschub». Nützt der in Zeiten der Sofortbefriedigung wirklich?

«A moment on your lips, a lifetime on your hips» (kurz auf den Lippen, ewig auf den Hüften): Den flotten Spruch gab mir eine Freundin als Mantra mit, als Motivationshilfe für den Belohnungsaufschub, der mir in Sachen Süsskram verteufelt schwerfällt, besonders abends.
Dieser Aufschub und seine Bedeutung als Erfolgsprädiktor wurde seit dem legendären Marshmallow-Test aus den 1960ern intensiv erforscht. Damals bot man Kindern an, eins der süssen Teile sofort zu bekommen oder, alternativ, 15 Minuten brav zu warten, dann erhielten sie zwei. Über vier Jahrzehnte wurden die Marshmallow-Kandidaten immer wieder untersucht, und es zeigte sich: Wer als Kind den Belohnungsaufschub schaffte und damit, so die These, Charakterstärke bewies, war auch als Erwachsener erfolgreicher, fitter, schlanker, gebildeter. Per aspera ad astra, durchs Raue gehts zu den Sternen, sagte schon Seneca.
Heute weiss man freilich: Die grösste, wohl einzig entscheidende Rolle beim Verhalten der Kinder und ihrer späteren Karriere spielte ihr sozioökonomischer Hintergrund. Reichen Kids (mit besseren Zukunftsaussichten) fällts leichter, abzuwarten: Sie haben Belohnungssicherheit.
Jeder Millimeter aus der Komfortzone heraus hilft
Dennoch hat Belohnungsaufschub seinen Nutzen. Wer sich etwa gesundheitshalber mit viel Früchten und Gemüse ernährt, auf Fleischkonsum weitgehend verzichtet und regelmässig Sport treibt, obwohl dies kurzfristig von bequemeren Vergnügen abhält, erlebt tagtäglich mehr Wohlgefühl als faule Fast-Food-Esser, wie eine gross angelegte Studie über den Zusammenhang von Belohnungsaufschub und Lebenszufriedenheit 2021 nachwies. Das gilt für alle Altersgruppen, rund um den Globus.
Zwar verlockt die Umwelt ständig zur Instant Gratification – mit Fast Food, Fast Fashion, Bildschirm-Entertainment –, da ist es schwer, sich sofortige Lusterfüllung zu versagen. Doch Aufschubgewohnheiten stärken die mentale Gesundheit. Die gute Nachricht ist: Man kann sie aufbauen und trainieren wie einen Muskel!
Tipps fürs Training
Notieren Sie, was Sie kurz- und langfristig konkret erreichen wollen, wie ein tägliches Gehpensum – und warum.
Etappieren Sie den Weg dorthin in präzisen Minischritten: Was tun, was unterlassen Sie zugunsten des Ziels?
Belohnen Sie sich beim Erreichen der Zwischenziele. «Delayed gratification» heisst nicht, bis zum Olympiagold zu warten.
Üben Sie Überwindung, etwa mit einer kalten Dusche am Morgen. Jeder Millimeter aus der Komfortzone heraus hilft: Durch selbstdisziplinierte Aktionen wächst Selbstvertrauen, wird Selbstkontrolle Gewohnheit.
Machen Sie mit sich oder anderen fixe Termine für die «unangenehme» Tätigkeit aus, von Meal-Prep bis Training.
Wenn Sie Ihre Erwartungen nicht erfüllen, analysieren Sie Ihr Scheitern anteilnehmend, ohne Vorwürfe.
Als Trost haben wir zudem eine neue Studie der Universität Buffalo in petto. Sie untersuchte, ob mit Entsagungen errungene Ziele glücklicher machen oder doch die Haltung des Carpe Diem, welche Langzeitziele auch mal torpediert. Resultat: Das sei eine Typ- und Glaubensfrage und nicht allgemeingültig zu beantworten. Darum solle man stets für beide Glücksmöglichkeiten offenbleiben – fürs Hochgefühl beim Erlangen eines hart erarbeiteten Ziels und fürs Überraschungsglück am Wegesrand.
Beide Formen hätten Kosten und Benefits. «Happiness – To Enjoy Now or Later?» titelt der Aufsatz. «Nowter!», rufen wir.
Machen mühsam erkämpfte Langzeitziele glücklicher als spontaner Lustgewinn? Diskutieren Sie in der Kommentarspalte mit!
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