Mentale Gesundheit«Jede Krise ist eine Chance. Du musst sie nur sehen wollen!» Blödsinn.
Warum wollen wir Krisen immer managen und einen Mehrwert darin finden? Manchmal sind die Dinge einfach traurig. Und das ist okay.

Krise als Chance. Krankheit als Chance. Krebs als Chance. Trennung als Chance und danach: Alleinsein als Chance. Es erscheinen seit Jahren so viele Bücher und Podcasts, die Mut machen möchten. Das tun sie auch zum Glück. Es hilft, zu erfahren, dass man nichts völlig Singuläres erlebt hat. Man muss aber ganz genau unterscheiden – in Zeiten, in denen Begriffe wie «toxisch», «Trigger» und «Trauma» durch die Gegend geworfen werden –, was mit einer Krise gemeint ist. Der fiese Liebeskummer? Die klinische Depression oder die plötzliche Kündigung?
Vielleicht hat das Wort Chance auch einfach Hochkonjunktur, vorher sollte man es eher «positiv sehen». Der gesellschaftliche Druck zur permanenten Selbstoptimierung hilft vermutlich nicht besonders, wenn eine Krise Veränderung einfordert. Je stärker uns eine Situation erschüttert, umso mehr zwingt sie uns, irgendwie zu handeln, um halbwegs klarzukommen.
Wenn man aber Sätze hört wie: «Jede Krise ist eine Chance. Du musst sie nur sehen wollen!», sagt einem dieser Appell: Ich muss immer funktionieren. Der Subtext in diesem vermeintlichen Erfolgsversprechen ist bedrohlich und das Scheitern quasi schon vorprogrammiert: Krisen soll man gefälligst erfolgreich nutzen. Alles kann bewältigt werden, weil vorausgesetzt wird, dass auch alles bewältigbar ist. Blödsinn.
Es gibt nicht in allem eine sinnvolle Erkenntnis. «Ich bin rückblickend so froh, dass Stefan von einem auf den anderen Tag einfach nicht mehr nach Hause gekommen ist. Heute bin ich sicher, wir haben gar nie zusammengepasst.» Und dann: «Hätte er mich nicht verlassen, wäre ich nie zu der Person geworden, die ich heute bin!» Kann sein – aber das Gegenteil könnte ebenso wahr sein.
Alles muss man managen für den angeblichen Mehrwert
Man möchte lieber zu sich selbst sagen: Für irgendwas muss das doch gut gewesen sein. Weil es wehtut, sich einzugestehen: Ja, was passiert ist, ist schlimm. Und weder wird die Zeit daran gross etwas ändern, noch kann man irgendeinen Sinn darin finden. Im initialen Moment der Erschütterung gibt es nichts, was plötzlich Sinn ergibt. Was aus der Erschütterung an neuen Perspektiven folgt: Dort kann man indes durchaus Sinn finden.
Krisen müssen heute gemanagt werden. Die vorherrschende Meinung besagt, dass irgendein Mehrwert doch bestimmt noch zu finden ist. Und das fies-fordernde Wachstumsversprechen steht an der Seitenlinie und lacht über die, die es doch nicht «schaffen», in einer Trennung, einem Todesfall oder einer Krankheit das Potenzial zu erkennen, warum es sie zu einer besseren, weiseren Person machen könnte.
Aber anzuerkennen und vor allem auszuhalten, dass manche Dinge passieren, die eben keinen Sinn ergeben, darin sind wir nicht besonders gut. Da behilft man sich lieber mit hohlen Ausdrücken wie «positive Fehlerkultur». Natürlich ist es schmerzhaft, alles auf die Seite zu räumen, um zu sehen, wie die Dinge nun einmal liegen. Aber es kann Druck herausnehmen, wenn man sich vor Augen hält: Menschen sind widersprüchlich und ambivalent. Und zwar alle.
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