Linker Protest gegen AHV-ReformFrauen buhen Alain Berset bei seinem Heimauftritt aus
Er solle nicht das Rentenalter erhöhen, sondern Lohnungleichheiten beseitigen, forderten Frauen von Berset bei einem Auftritt in Lausanne. Der Bundesrat wich den Protesten aus.
Bürgerliche applaudieren ihm. Linke schonen ihn. Auf seiner Werbetour für die AHV-Reform tuckert SP-Bundesrat Alain Berset derzeit ziemlich komfortabel durch die Schweiz.
Doch dann reiste Berset am Montagabend nach Lausanne. Der Waadtländer Industrieverband hatte ihn eingeladen, im neu gebauten Kunstmuseum für seine Vorlage zu werben. Es war sein erster und einziger Auftritt in der Romandie. Just bei seinem Heimspiel sollte Berset mit Pfiffen und Buhrufen eingedeckt werden.
Dafür wollte das Waadtländer Komitee gegen die AHV-Vorlage sorgen. «Zeigen wir unsere Wut, rufen wir unsere Parolen gegen diese skandalöse Reform», mobilisierte das Komitee Tage vor Bersets Auftritt auf Facebook.
Rund 300 Personen, in der grossen Mehrheit Frauen, wollten sich Berset auf dem Weg ins Museum in den Weg stellen. «Berset, deine Rente nehmen wir gern, aber deine Reform wollen wir nicht», skandierten die aufgebrachten Reformgegnerinnen. Und auch: «Zu 65 Jahren werden wir immer Nein sagen.» Auf Transparenten prangerten sie die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen an. «Reform der Schande», schrieb jemand auf sein Plakat.
Für eine Landung auf dem Lausanner Regionalflugplatz Blecherette habe die Zeit nie gereicht, scherzte Berset.
Doch Berset bekam vom lauten Protest weder etwas zu sehen noch zu hören. Offenbar war er mit einiger Vorlaufzeit nach Lausanne gereist. Was die Feministinnen nicht wussten: Während sie auf dem Vorplatz sangen und trommelten, schlenderte Berset gemütlich durchs Museum. Er habe sich die aktuelle Ausstellung angeschaut. Das Kunstmuseum beeindrucke ihn, eröffnete Berset seine Rede. Diesen Sommer sei er ohnehin häufig in der Waadt gewesen, am Montreux Jazz, am Paléo, nur auf dem Lausanner Regionalflugplatz Blecherette sei er nie gelandet, dafür habe die Zeit nicht gereicht, aber vielleicht hole er dies noch nach. Die Industrievertreter lachten. Mittlerweile sassen auch einige Frauchenrechtlerinnen im Saal – mit besorgter Miene.
Berset war hingegen entspannt und gut gelaunt. Und er war sich auch in Lausanne sicher: «Die Reformvorlage ist die richtige Massnahme, um bei der Altersvorsorge die nötigen Anpassungen vorzunehmen und der gestiegenen Lebenserwartung gerecht zu werden.» Man habe die AHV, diese geniale Idee der Solidarität zwischen Jungen und Alten, immer im Gleichgewicht halten und mit Zusatzfinanzierungen sanieren müssen. Die aktuellen Probleme könne man nicht weiter vor sich herschieben, man müsse sie jetzt lösen.
Die Frauen und ihre Anliegen sprach Berset nur indirekt an. Wenn man erst mal die Zukunft der ersten Säule geklärt habe, gehe man subito die Reform der zweiten Säule an, versprach er. Und diese Reform sei gerade für die Frauen sehr viel wichtiger, denn ihre Berufskarrieren verliefen viel weniger linear als jene der Männer, und darum müsste man vor allem bei den Pensionskassen dringend nachbessern.
«Lohngleichheit verordnet man nicht per Gesetz»
Die Frauenrechtlerinnen hatte Berset damit aber nicht überzeugt. Und sie hakten in der Fragerunde nach. Ob er sich denn nicht zuerst um die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern kümmern wolle, bevor er das Rentenalter für Frauen erhöhe, wollte eine ehemalige SP-Kantonsrätin von ihrem Parteikollegen wissen. «Lohngleichheit verordnet man nicht per Gesetz», war Bersets knappe Antwort. Die Unternehmen würden die Löhne von Frauen auch nicht mit Absicht tief halten, so der Bundesrat.
Ob seine Argumente in den nächsten Tagen in der Westschweiz noch verfangen? In der Romandie haben die Reformgegnerinnen bereits einen Teilerfolg erzielt. Ihr Widerstand scheint jedenfalls eine andere Wirkung zu entwickeln als in der Deutschschweiz. Die letzte Tamedia-Umfrage ergab, dass in der Romandie 39 Prozent der Stimmberechtigten bei der AHV-Reform Ja oder Eher Ja stimmen, während dies in der Deutschschweiz 57 Prozent zu tun gedenken. Darum weiss auch Alain Berset, die Abstimmung über die AHV-Reform wird er wohl nicht in seiner Heimat, sondern in der Deutschschweiz gewinnen.
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