Frankreichs PlageParis fürchtet sich vor der Bettwanze
Die Schädlinge verbreiten sich wieder stärker als auch schon – und das zehn Monate vor den Olympischen Sommerspielen in Paris. Aber wie ernst ist die Lage wirklich?
Die Franzosen erfahren in diesen Tagen viel über Bettwanzen, punaises de lit, alle Medien tragen zur Unterrichtung bei. Da lernt man, wo die Insekten herkommen, wie gefährlich sie sind, wie man sie wieder loswird. Die Experten geben sich auffällig unaufgeregt, sie ordnen die jüngste angebliche Ausbreitung ein in historische Kategorien. In den sozialen Medien hingegen wächst sich das Phänomen zur biblischen Plage aus. Jeder will eine Wanze gesehen haben: in der Métro, im TGV, im Sesselfutter im Kino. Und postet seine Bilder.
Die Zeitung «Le Parisien» titelte vor ein paar Tagen: «Punaise! Quelle psychose!» Dazu muss man wissen, dass das Wort Wanze im Französischen auch ein Kraftausdruck ist. «Verdammt! Was für eine Psychose!» Und damit ist vielleicht schon alles gesagt über die öffentliche Wirkung dieser Apfelkern-kleinen, flügellosen, dunkelbraunen Tiere mit sechs Beinchen, die das Licht scheuen und in der Nacht auf der Suche nach ihrer Blutnahrung zustechen, oft mehrmals nacheinander.
Besonders gefürchtet sind sie, weil sie sich am liebsten im Bett verstecken, wo sich der Mensch sicher fühlen möchte. Krankheiten übertragen die Bettwanzen nicht, aber das ist nur ein schwacher Trost. Viele Menschen verlieren den Schlaf ob des Gedankens, sie könnten von diesen ungebetenen Mitbewohnern gestochen werden, und das macht auf Dauer ja auch krank.
Ärmere Bürger sollten wenigstens einen Teil jener Kosten vom Staat zurückerstattet bekommen, die für eine professionelle Desinfektion fällig werden.
Glaubt man den Alarmierten, nehmen sich die Bettwanzen gerade Paris und andere grosse Städte im Land, Lyon, Marseille, Toulouse, Bordeaux. Die Pariser Stadtverwaltung hat die nationale Regierung jetzt aufgefordert, sich sehr rasch einen Plan zur Bekämpfung der Schädlinge auszudenken. Ärmere Bürger sollten wenigstens einen Teil jener Kosten vom Staat zurückerstattet bekommen, die für eine professionelle Desinfektion fällig werden – oft sind das mehr als tausend Euro.
Die Sorge der Pariser ist auch deshalb so gross, weil im kommenden Jahr die Olympischen Sommerspiele in die Stadt kommen und mit ihnen Millionen Besucher: Fürs Image ist diese laute Geschichte der Bettwanzen natürlich eine Katastrophe.
Die Wanzen reisen mit im Koffer und in den Kleidern.
Nur: Ist die Lage denn so schlimm? Eine Studie hat ergeben, dass es ungefähr in jedem zehnten französischen Haushalt Bettwanzen gibt und dass sich die Tiere in der ganzen Welt wieder stärker ausbreiten. Das liegt offenbar daran, dass sie resistent sind gegen Pestizide, die früher funktioniert hatten. Vor allem aber, sagen die Fachleute, hänge ihr Wachstum am vielen Reisen der Menschheit. Die Wanzen reisen mit im Koffer und in den Kleidern. Während der Pandemie war der Trend mal kurz gebremst. Nun zeigt er wieder nach oben.
Hygiene hingegen ist kein Faktor, weder körperliche noch häusliche. Die Bettwanzen ernähren sich allein von Blut.
Pascal Praud, ein berühmter Talkmaster auf dem rechten Sender CNews, so etwas wie Frankreichs Antwort auf Fox News, stellte in seiner Sendung mal schnell eine Korrelation zwischen Bettwanzen und Zuwanderern zur Debatte. «Weiss man, warum es heute mehr Bettwanzen gibt?», fragte er seinen Gesprächspartner, einen Experten. «Es gibt ja gerade viel Immigration. Bringen vielleicht diese Personen, die nicht dieselbe Hygiene haben wie die, die auf französischem Boden leben, die Bettwanzen zu uns?» Darauf sagte der Experte: «Absolut nicht, Bettwanzen haben mit Hygiene rein gar nichts zu tun.» Prauds rassistische Anspielung hob die Psychose um die Wanze auf die politische Bühne, wohl nicht aus Versehen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.