Analyse zu Frankreichs neuem PremierSein Patron kann ihn jederzeit feuern
Gabriel Attal soll als Regierungschef dem angeschlagenen Präsidenten Macron helfen. Das wird viel Finesse benötigen: Wird er zu blass, populär oder ambitiös, ist er weg.
Selbst für die Standards französischer Regierungsumbildungen war die jüngste eine besonders dramatische. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich alle Zeit genommen, bevor nun bekannt wurde, dass er seinen jungen Vertrauten und Erziehungsminister Gabriel Attal zum neuen Premierminister macht.
Das Drama gehört dazu. Französische Präsidenten markieren damit ihre sehr weit gefasste Macht. Und alle sollen zappeln und zittern um ihre Posten – je länger es dauert, desto eindrucksvoller. «C’est Versailles», sagen die Kommentatoren dann jeweils. Das ist Versailles. Gemeint ist: Der Präsident führt sich wie ein König im Schloss auf. Der Hof soll möglichst spüren, dass er nur Dienstpersonal ist.
Das gilt vorerst auch für Gabriel Attal, obschon er einer der engsten Weggefährten von Macron ist und trotz seiner Frische und Jugendlichkeit. Geändert hat sich nämlich nichts: Der Präsident bleibt der absolute, quasimonarchische Patron.
Er gibt die Linie vor, die Agenda, die Gesetze. Und da Frankreichs Regierung seit 2022 keine absolute Mehrheit mehr hat in der Nationalversammlung, wird Gabriel Attal wie schon seine Vorgängerin Élisabeth Borne nach Stimmen in der Opposition suchen müssen für die Verabschiedung von Gesetzen. Wenn das nicht gelingt, was oft der Fall sein wird, muss auch er sich beim «49-3» bedienen – die Zahlen stehen für einen Verfassungsartikel, der es der Regierung erlaubt, Gesetze auch ohne Abstimmung durchs Parlament zu schleusen. Das ist keine schöne Aussicht.
Unvermeidlicher Wechsel
Für Macron ist dieser Wechsel dennoch eine Notwendigkeit geworden. Seine Präsidentschaft war zuletzt zusehends erlahmt, es drohte ihr eine lange Agonie – bis 2027. Den vorläufigen Tiefpunkt hatte Macron kurz vor Weihnachten erlebt, als er das neue Immigrationsgesetz nur dank massiver Konzessionen an die harte Rechte durchs Parlament brachte.
Attal soll die Regierung dynamisieren, ihr einen neuen Elan geben: Die Franzosen sollen den Eindruck gewinnen, dass da jetzt ein starkes Duo aus Präsident und Premier die Geschicke des Landes resolut in die Hände nimmt, als doppelköpfige Exekutive.
Diesen Eindruck der Kursfestigkeit haben die Franzosen verloren. Das zeigt sich an den spektakulären Umfragewerten der Rechten von Marine Le Pen und deren Rassemblement National. Für alle kommenden Wahlen werden die Lepenisten favorisiert, auch für die Wahlen für das Europaparlament im Juni. Wenn man Macron richtig deutet, dann soll Attal Le Pens Leutnant und Parteipräsidenten Jordan Bardella kontern, das ist der andere Durchstarter der französischen Politik. Bardella, Spitzenkandidat des früheren Front National, ist noch jünger als Attal, erst 28.
Duell der jungen Männer
Das Duell der jungen Männer, Attal versus Bardella: Frankreich hat nun eine spannende Dramaturgie für die Europawahlen.
Der Patron kann seinen Premier auch jederzeit wieder feuern, ganz nach Belieben, das ist eine seiner wichtigsten Befugnisse aus der Verfassung. Etwa, wenn der ihm die Schau stiehlt, zu populär wird. Wenn er allzu früh und übermütig auf seine Nachfolge schielt, zu ambitiös wird. Oder wenn er, im Gegenteil, als blasser Sideact den Auftritt des Präsidenten nicht mehr üppig genug polstert, ihn nicht mehr wirksam hofiert und pudert.
Für alle diese Szenarien gab es schon viele Beispiele in der 5. Republik. Daran sollte Gabriel Attal immer denken, wenn er regiert, sein Amt verlangt nun mal viel Finesse. Das Urteil aus dem Élysée kann auch plötzlich kommen. Attals Vorgängerin wurde mit einem Tweet des Präsidenten verabschiedet – vordergründig nett zwar, aber auch brutal kurz.
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