Élisabeth Borne demissioniertMacron entlässt seine Regierungschefin – das sind mögliche Nachfolger
Sie war erst die zweite Frau im Amt einer französischen Regierungschefin. Nun ist Borne zurückgetreten, müde und nicht freiwillig.
Ein Rücktritt für einen Neustart. Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne, 62 Jahre alt, hat nach etwas mehr als eineinhalb Jahren im Amt und nach einer Unterredung mit Präsident Emmanuel Macron ihre Demission eingereicht. In einem Tweet dankte ihr Macron für ihren beispielhaften Dienst an der Nation, den sie mit der Entschlossenheit einer «Staatsfrau» jeden Tag unter Beweis gestellt habe. «Von ganzem Herzen: merci.»
Unerwartet kam die Entscheidung nicht: Seit Wochen rätselte die französische Politik über das politische Schicksal Bornes, die nach Édith Cresson Anfang der 1990er-Jahre erst die zweite Regierungschefin Frankreichs war. Borne war eine steife, nicht sehr charismatische, eher technokratische Besetzung gewesen. Dem grossen Publikum war sie vor der Beförderung kaum bekannt gewesen, obschon sie einige Ministerposten bekleidet hatte. Aber das liegt auch in der Natur der politischen Systems Frankreichs, in dem alle Aufmerksamkeit auf den Präsidenten der Republik fällt. Die Franzosen wurden nie richtig warm mit der Pariserin.
Mühe mit dem Immigrationsgesetz
Dennoch war Borne ausserordentlich wichtig für Macron – als stille Ausführerin der präsidialen Agenda. Seit den Parlamentswahlen 2022 verfügt das Lager des Präsidenten über keine absolute Mehrheit mehr in der Nationalversammlung, was das Regieren erschwert. Fast zwei Dutzend Mal forcierte Borne dienstbereit Gesetzesvorlagen mit der Brechstange durchs Parlament, mit der Anwendung des Verfassungsartikels 49-3, was ihrer Popularität natürlich nicht einträglich war.
Borne verteidigte zuletzt auch Gesetze, die nicht ihrem politischen Naturell entsprachen. Besonders viel Mühe bereitete ihr offenkundig das jüngst mit den Stimmen der bürgerlichen und der extremen Rechten verabschiedete Immigrationsgesetz. Doch auch da sagte sie im Nachgang, sie habe ihre Aufgabe erfüllt.
Die linke Zeitung «Libération» schreibt, für Borne sei diese Amtszeit ein «Kreuzweg» gewesen. Der gesamte linke Flügel der «Macronie», wie das zentristische Lager um den Präsidenten genannt wird, litt mit.
Drei Namen, drei Szenarien
Macron sieht in einem Wechsel bei Premierposten und Ministerien die Chance auf einen neuen Elan seiner Exekutiven im zweiten, nicht eben glücklichen Mandat.
Gabriel Attal, der rechte Sozialist
Am meisten Aussicht schien am Montag plötzlich Gabriel Attal zu haben, der junge Erziehungsminister Frankreichs, ein Wegbegleiter Macrons seit dessen erster Wahl 2017. Auch Attal ist ein ehemaliger Sozialist, was auf den ersten Blick die These widerlegt, der Präsident schlage nun einen dezidierten Rechtskurs ein, um seine stärkste Rivalin, Marine Le Pen vom extrem rechten Rassemblement National, auf deren Terrain herauszufordern.
Attal hat sich im halben Jahr, in dem er nun dem gewichtigen und wichtigen Erziehungsministerium vorsteht, vor allem mit Vorstössen von sich reden gemacht, die sonst eher ins Repertoire der Rechten passen: etwa mit der Verbannung der Abaya, eines Schleiergewands für Musliminnen, aus den Schulen; sodann mit der Idee, Schuluniformen beliebt zu machen; und mit der Wiedereinführung der Klassenwiederholung bei ungenügenden Noten. In kurzer Zeit ist Attal zu einem der beliebtesten Politiker im Land aufgestiegen; er ist erst 34 Jahre alt.
Sébastien Lecornu, rechter Flügel
Gehandelt wird ausserdem der Name von Sébastien Lecornu, dem amtierenden Verteidigungsminister, auch er ist jung: 37. Lecornu kommt ursprünglich von den rechtsbürgerlichen Les Républicains und würde Macrons Absicht bestätigen, die restliche Zeit im Élysée möglichst mit einer um die moderate Rechte erweiterte Mehrheit im Parlament verbringen zu können.
Allerdings riskiert er mit einer Beförderung dieses einigermassen prominenten Vertreters des rechten Flügels, mindestens einen Teil seines linken Flügels zu verlieren.
Julien Denormandie, Macrons Architekt
Deshalb wird auch die Personalie eines weiteren Getreuen des Präsidenten verhandelt: Julien Denormandie, 43 Jahre alt, war während des ersten Mandats Macrons zunächst Stadt- und später Landwirtschaftsminister. Vor allem aber gilt er als Architekt von Macrons politischer Bewegung La République en Marche. Die zwei kennen sich sehr gut aus Zeiten, als Macron Minister war – sie hatten sogar einmal vor, zusammen ein Start-up zu gründen.
Denormandie stiegt vor eineinhalb Jahren aus der Politik aus und wechselte in die Privatwirtschaft. Offenbar hat er seinen Freunden oft erzählt, dass er nur in die Politik zurückkehren würde, wenn ihm der Präsident den Posten des Premiers antrüge.
Schnell, schlank, effizient
Ob Macron mit seiner Personalpolitik seine stark gesunkene Gunst im Volk wieder anheben kann, ist unsicher: So innig und leidenschaftlich Regierungsumbildungen in Frankreich auch verfolgt und medial begleitet werden – in der Regel bringen sie dem Präsidenten selten viel. Dafür ist das System nun mal zu stark auf ihn ausgerichtet.
Doch offenbar schwebt Macron eine schlankere, schnellere Regierung vor, die mit Energie eine Reihe von Reformen vorantreibt, an denen er dann einmal erkannt werden will. Macron war ja einst angetreten, das Land zu modernisieren, es mit seiner Jugendlichkeit in die Zukunft zu zerren. Er verhiess auch, die alte Dialektik zwischen links und rechts zu überwinden, die Politik zu revolutionieren, sie zu moralisieren.
Sechseinhalb Jahre regiert er nun schon, dreieinhalb Jahre bleiben ihm noch: Da scheint es ihm jetzt dringlich geworden zu sein, den Geist aus den Anfängen noch einmal zu beschwören – mit einem Wechsel im Vorzimmer seiner Macht.
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