Fortschritt in der AugenheilkundeSehen ohne dunklen Schleier
Therapien gegen die trockene altersbedingte Makuladegeneration waren bisher begrenzt. Nun gibt es Hoffnung. Mit der Photobiomodulation werden Zellen der Netzhaut mit Licht stimuliert.
Es beginnt schleichend: Erst brauchen die Betroffenen länger, um sich im Dunkeln zu orientieren, dann sehen sie gerade Linien wellig oder erkennen einzelne Zahlen oder Buchstaben nicht mehr. Später benötigen sie beim Zeitunglesen sehr helles Licht und irgendwann legt sich ein Schleier über ihre Sicht, bis das Sehen im Zentrum fast vollständig eingeschränkt ist.
Rund jede dritte Person über 75 Jahre ist in der Schweiz von der trockenen altersbedingten Makuladegeneration, kurz AMD, betroffen. So häufig die Krankheit auftritt: Die Therapiemöglichkeiten gegen die schwindende Sehfähigkeit waren bisher begrenzt. Eine der wenigen Möglichkeiten bestand darin, mit vergrössernden Sehhilfen zu arbeiten oder auf gesunde Ernährung zu achten. Bei der feuchten, viel seltener auftretenden Form der AMD wirken beispielsweise Spritzen der voranschreitenden Erblindung entgegen.
Nun gibt es auch für die trockene AMD Hoffnung. Photobiomodulation heisst die Therapiemethode, bei der für den Sehvorgang wichtige Zellen der Netzhaut mit Licht stimuliert werden. Mitentwickelt hat die Therapie Marion Munk, Fachärztin für Augenheilkunde, die technische Physik sowie Medizin studiert und am Inselspital Bern gearbeitet und geforscht hat. Seit 25 Jahren setzt sich die Professorin mit der Makula, also jenem Ort in der Netzhaut, der für scharfes Sehen verantwortlich ist, auseinander.
«Es ist ein grosser Fortschritt, dass es jetzt eine berührungslose und schmerzfreie Behandlung gibt», sagt Munk. Es sei ein langer Weg bis dahin gewesen. Seit kurzem leitet Munk die Forschungsabteilung bei Gutblick, einem Praxisverbund für ambulante Augenmedizin mit zehn Standorten in der Deutschschweiz. Dieser bietet als Einziger die Therapie seit diesem Frühsommer an. Zertifiziert ist die Photobiomodulation für die Behandlung der AMD allerdings bereits seit 2018 in Europa und damit auch in der Schweiz. In den USA steht sie kurz davor.
Und so funktioniert es: Mittels dem Gerät namens Valeda Light Delivery System wird Licht, das aus drei verschiedenen, spezifisch ausgewählten Wellenlängen besteht, auf die Netzhaut gelenkt. Das Gerät gleicht äusserlich einem Keratometer, der zur Messung der Oberflächenkrümmung der Hornhaut in vielen Augenarztpraxen anzutreffen ist. Auch beim Valeda setzt sich die Patientin oder der Patient vor das Gerät, stützt das Kinn auf und blickt mit dem Auge gerade in den Kasten.
Die Photobiomodulation-Therapie dauert rund fünf Minuten pro Auge. Dabei wird Licht in den Wellenlängen 590, 660 und 850 Nanometer auf die degenerierten Zellen in der Netzhaut gelenkt. Ziel der drei verschiedenen lichtemittierenden Dioden (LEDs) ist es, die Zellfunktion und Stoffwechselaktivität zu stimulieren sowie die Zellregeneration anzuregen. «Die spezifischen Wellenlängen aktivieren die Energieproduktion in den Zellen und können hierdurch deren Funktion und Vitalität verbessern», sagt Munk.
«Je früher die trockene Makuladegeneration erkannt und mit der Therapie begonnen werden kann, desto besser.»
Die Augenärztin betont aber auch, dass durch die Photobiomodulation keine Heilung erreicht, sondern ausschliesslich dem degenerativen Prozess entgegengewirkt wird. «Je früher die trockene Makuladegeneration erkannt und mit der Therapie begonnen werden kann, desto besser.» Denn jene Teile der Netzhaut, die bereits zerstört sind, lassen sich nicht mehr herstellen. «Deshalb geht es darum, das Absterben von Zellen mit der niederschwelligen Lichttherapie einzudämmen.»
Gemäss Munk hat sich bewährt, jedes Auge in neun aufeinanderfolgenden Sitzungen innerhalb von drei Wochen zu behandeln. Unmittelbar nach der Behandlung nehmen die Betroffenen ein Flackern wahr, das durch das Licht hervorgerufen wird. Dieses sei jedoch harmlos und verschwinde nach kurzer Zeit wieder. Weitere unerwünschte Nebenwirkungen sind nicht bekannt. «Nach einem halben Jahr sollte eine Nachuntersuchung erfolgen, um abzuklären, ob weitere Behandlungen sinnvoll sind», sagt Munk. Je nachdem, wie weit die AMD fortgeschritten ist, können bis zu drei Zyklen pro Jahr sinnvoll sein.
Eine Zyklusbehandlung eines Auges mit insgesamt neun Sitzungen kostet 690 Franken. Bis jetzt übernehmen die Krankenkassen die Kosten der Photobiomodulation bei der AMD nicht, obwohl die Therapie auch in anderen Bereichen wie beispielsweise bei Arthritis oder auch bei Mundgeschwüren nach Chemotherapien erfolgreich eingesetzt und teilweise auch von den Kassen bezahlt wird. Munk ist aber zuversichtlich, dass schon bald die Zusatzversicherungen für die Kosten aufkommen werden.
Drei Studien wurden bisher durchgeführt. Die höchste Wirksamkeit der Therapie geht aus der im Jahr 2023 abgeschlossenen wissenschaftlichen Studie Lightsite III hervor, welche auch die bisher grösste Studie war. Die Analyse umfasste 91 Augen in der mit Photobiomodulation behandelten Gruppe und 54 Augen in der Scheinbehandlungsgruppe.
Die Verbesserung der Sehfähigkeit nach 24 Monaten und sechs Zyklen war in der aktiv behandelten Gruppe signifikant grösser als in der Vergleichsgruppe. Fast 60 Prozent der mit Photobiomodulation behandelten Augen hatten eine Verbesserung um mehr als 5 Buchstaben auf der ETDRS-Tafel, die bei der Bestimmung der Sehschärfe die am häufigsten durchgeführte Untersuchungsmethode in Studien ist. «Das ist enorm, bedenkt man, dass es eine langsam degenerative Erkrankung ist», sagt Munk. Zum Vergleich: Patienten ohne Therapie verlieren im Schnitt in diesem Zeitraum mit dieser Schwere der AMD mindestens 5 Buchstaben.
Konkret hat dies für eine Seniorin aus der Studie bedeutet: Konnte sie vor der Behandlung auf der ETDRS-Tafel insgesamt 75 Buchstaben lesen, waren es nach der Behandlung 80 Buchstaben. In ihrem Fall bedeutete das eine Sehfunktionsverbesserung von 60 auf 80 Prozent. Und geht mit deutlichen Verbesserungen und Erleichterungen im Alltag zum Beispiel beim Lesen oder Autofahren einher.
Für Munk steht fest: «Diese Resultate zeigen, dass die Behandlung zur Verbesserung der Sehfunktion und zur Verlangsamung der Krankheitsprogression bei Patienten mit früher bis mittlerer trockener AMD führt. Das ist sehr erfreulich.»
Schützt die Photobiomodulation vor Spätformen?
Hendrik Scholl, Professor für Ophthalmologie an der Universität Basel und klinischer Leiter des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB), sagt: Es seien grosse Anstrengungen unternommen worden, um das Risiko des Übergangs in die Spätformen der AMD zu vermindern. Bisher seien die Ergebnisse enttäuschend gewesen. Aber in den ersten beiden Lightsite-Studien zeige sich in kleinen Kohorten ein Sehschärfengewinn und in der Studie Lightsite III mit fast 100 Patientinnen und Patienten dann nochmals.
Entscheidend sei allerdings für die Patientinnen und Patienten weniger der Gewinn an Sehschärfe, sondern ob die Behandlung vor Spätformen der Erkrankung schützt, die dann mit gravierenden Einbussen der Sehschärfe einhergehen. «Es ist erst als Hinweis zu werten, dass die Photobiomodulation einen schützenden Effekt haben könnte», sagt Scholl. Der Beweis stehe noch aus.
Forscherin Munk sagt dazu: «Das Fortschreiten dieser Erkrankung ist individuell und hängt sowohl von den Veranlagungen der Betroffenen als auch von den Umwelteinflüssen wie Übergewicht oder Rauchen ab.»
Die Lightsite-Studien hätten allerdings gezeigt, dass 25 Prozent der nicht mit Photobiomodulation behandelten Betroffenen eine Spätform der trockenen AMD entwickelten. Bei den Behandelten seien es lediglich 7 Prozent gewesen. Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied bei jenen Patientinnen und Patienten, die bereits am Anfang des fortgeschrittenen Stadiums waren. Nach zwei Jahren litten 80 Prozent der Unbehandelten an einer Spätform. Hingegen waren es bei den Behandelten nur 20 Prozent. «Davon kann man ableiten, dass die Erkrankung nicht gestoppt wird, jedoch das Voranschreiten verlangsamt wird», sagt Munk.
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