Fund in der CheopspyramideForscher begeistert: «Die neue Kammer ist eine Sensation»
In der grössten Pyramide Ägyptens wurde ein verborgener Hohlraum mit einem Endoskop entdeckt. Die «erstaunlich grosse» Kammer befindet sich direkt über dem Touristeneingang.
Was ist das für eine Kammer? Oben wird sie von einem Satteldach abgeschlossen, die Wände aus Kalkstein sind nur grob behauen, im Hintergrund ist eine quer liegende Struktur zu erahnen. Fussspuren im Staub sind keine zu sehen, auch keine anderen Hinweise darauf, dass Menschen hier gewesen sind. Der Raum befindet sich in der Cheopspyramide, der grössten Pyramide von Gizeh, einem der am intensivsten erforschten Gebäude der Welt.
Er ist von stattlicher Grösse, gemäss ersten Schätzungen ist er 9 Meter lang. Und er liegt nahe an der Aussenwand der Pyramide, er ist also noch nicht einmal besonders gut versteckt. Und doch hat diesen Raum wohl seit rund 4500 Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen – bis jetzt.
Einem internationalen Team von Forschern unter anderem der Technischen Universität München ist es nun gelungen, in einen Raum in der Cheopspyramide zu blicken, dessen Existenz bislang nur vermutet worden war. Wie sie in Kairo bekannt gaben, schoben sie einen Hohlstab von aussen durch die Steine in die Kammer, führten in diesem Stab dann ein Endoskop ein.
Sein Team habe bei der Entdeckung «auch etwas Glück gehabt», sagt der Geophysiker Christian Grosse, dessen Team die Idee zur Endoskopie hatte, wie er sagt. Man habe eine Lücke zwischen vier Gesteinsblöcken gefunden, welche für das Endoskop mit seinen fünf Millimetern Durchmesser gerade gross genug gewesen sei. Dass der Hohlraum dann so nahe an der Aussenwand gleich gefunden worden sei, habe sie selbst überrascht.
Die Kammer messe deutlich mehr als 30 Kubikmeter, sagt Grosse, dessen Disziplin die zerstörungsfreie Prüfung ist. «Einen Hohlraum in einer Pyramide zu entdecken, ist schon etwas Besonderes. Aber dass diese Kammer gross genug ist, um mehrere Menschen aufzunehmen, das macht es noch viel bedeutender.»
Die Kammer sei 9 Meter lang, etwa 2,10 Meter breit und 2,30 Meter hoch in Giebelform, sagt Grosse. Ein Mensch könnte darin also aufrecht stehen. «Die neue Kammer ist eine Sensation, weil sie nur ein paar Meter oberhalb des Eingangs liegt, den die Touristen normalerweise benutzen», erklärt Grosse in einem Interview mit Tagesschau.de. «Da sind also tatsächlich über die Jahre hinweg viele Tausend Touristen an dieser Kammer vorbeigegangen.»
Man habe zwar bereits geahnt, dass dort irgendwo ein Hohlraum sein müsse. Diesen dann aber wirklich selber live zu sehen, das sei fantastisch, erzählt Grosse. «Als es die ersten Bilder von der Endoskop-Kamera gab, haben alle erst mal die Luft angehalten und waren total baff. Dann brach der Jubel aus, das war unbeschreiblich», sagt der Forscher.
Der Fund sei nicht zuletzt besonders bedeutsam, weil die Pyramide als eines der am besten untersuchten Bauwerke der Welt gelte. Gleichzeitig sind gemäss Grosse erst zehn Prozent erforscht und vieles noch unentdeckt, da man trotz verschiedenen Verfahren nicht durch die grossen Gesteinsblöcke durchkomme.
Die ägyptischen Pyramiden werden bereits seit 2015 systematisch mit verschiedenen Verfahren vermessen und durchleuchtet. In dem Projekt «ScanPyramids» suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel mit Infrarotaufnahmen oder auch mit dreidimensionalen Scans nach versteckten Strukturen.
Hinweise auf den nun entdeckten Raum hatten Forscher aus Nagoya dabei bereits 2016 mithilfe einer Myonen-Tomografie gefunden. Sie massen, wie stark Teilchen der kosmischen Strahlung auf ihrem Weg durch die Pyramide abgelenkt wurden. Die Technik erlaubt Rückschlüsse auf mögliche Hohlräume.
Rätselhaftes System aus Kammern und Schächten
Wozu die Kammer über dem Eingang diente, ist noch nicht geklärt. Es ist denkbar, dass sie ein Korridor ist; man wolle jetzt untersuchen, was sich hinter der Rückwand des Raumes befinde, heisst es von den Forschern. Möglich ist aber auch, dass es sich nur um einen aus statischen Gründen integrierten Hohlraum handelt.
Letzteres vermutet der Ägyptologe Alexander Schütze, der nicht an den Forschungen beteiligt war. Für ihn sehe das wie eine weitere Entlastungskammer aus, die den immensen Druck der Steine von der Eingangskonstruktion nehmen solle. Die Steine über den Gängen und Kammern wiegen Millionen Tonnen. Der Fund werde zum besseren Verständnis der Bauweise beitragen.
Generell ist der Sinn des Systems aus Kammern, Gängen und Schächten innerhalb der Cheopspyramide bislang im Einzelnen noch nicht vollständig verstanden. Klar ist: Errichtet wurde das Bauwerk als Grabmal für Cheops, den zweiten Pharao der vierten ägyptischen Dynastie, der das Alte Reich um 2600 vor Christus regierte. Der Eingang in die Pyramide liegt im Norden; an der Ostseite stand einst ein Totentempel.
Zum Bauprogramm gehörten ausserdem ein entfernter, fast vollständig verschwundener Taltempel samt Aufweg und in der unmittelbaren Umgebung der Pyramide drei kleinere Königinnenpyramiden, mehrere weitere unterirdische Grabanlagen für Söhne des Pharaos und deren Frauen sowie eine Kultpyramide. An der Pyramide wurden ausserdem wohl aus religiösen Gründen sieben Boote vergraben.
Im Inneren der Pyramide existieren drei Hauptkammern. Die oberste liegt am Ende eines ansteigenden, mehr als 8 Meter hohen Ganges, der sogenannten Grossen Galerie. Die Kammer selbst ist als «Königskammer» bekannt, in ihr steht ein steinerner Sarkophag.
Sie war demnach ein Begräbnisort; ein Leichnam und Grabbeigaben wurden nicht gefunden, die Cheopspyramide wurde vermutlich bereits in pharaonischer Zeit geplündert. Über dieser Kammer befinden sich insgesamt fünf Kammern, die wohl aus statischen Gründen ausgespart wurden, um das flache Dach der Königskammer zu entlasten.
Die zweite Kammer in der Pyramide, die sogenannte Königinnenkammer unterhalb der Königskammer, könnte ein Ritualraum gewesen sein. Die genaue Funktion der tiefsten Kammer, der in den Untergrund gegrabenen sogenannten Felsenkammer, ist ebenfalls unklar. Von den beiden oberen Kammern führen jeweils zwei für Menschen zu enge Schächte schräg nach oben. Sie dienten womöglich dazu, dem toten Pharao die Himmelfahrt zu ermöglichen; vielleicht wurden sie aber auch nur zur Belüftung während der Bauarbeiten angelegt.
In den vergangenen Jahren sandten Wissenschaftlerteams in teils aufsehenerregenden Expeditionen verschiedene Roboter in die Schächte, die von der Königinnenkammer emporführen. Sie stiessen auf kleine, mit Blockiersteinen abgeriegelte Hohlräume und auf einzelne an Wände und Boden gezeichnete Hieroglyphen mit den Namen des Pharaos sowie ägyptischer Bautrupps.
Die Cheopspyramide birgt noch immer Geheimnisse
Darüber hinaus gibt es in der Pyramide einzelne Stollen und Schächte, die mutmasslich von Grabräubern durch Fels und Stein gegraben worden sind. Auch der heute als Eingang genutzte Tunnel ist ursprünglich wohl von Räubern in die Pyramide getrieben worden.
Spätestens der Fund der Kammer über dem ursprünglichen Eingang zeigt nun: Das war noch nicht alles. Die Cheopspyramide birgt noch immer Geheimnisse. Tatsächlich existiert wohl noch mindestens ein weiterer bislang unbekannter Raum in der Pyramide. Denn im Projekt «ScanPyramids» wurden nicht nur Indizien für den jetzt fotografierten Raum identifiziert.
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2017 fanden japanische Forscher per Myonen-Tomografie auch Hinweise auf einen riesigen, mindestens 30 Meter langen Hohlraum oberhalb der Grossen Galerie, die zur Königskammer führt. Der Raum, von den Forschern «Big Void» getauft, verläuft womöglich horizontal, womöglich aber auch leicht geneigt nach oben. Warum er angelegt worden ist, was sich dort tatsächlich befindet, wohin der Raum womöglich führt, all das sind Fragen, die sich bisher nicht beantworten liessen.
Denn die Forscher können nicht einfach einen Stollen durch das Bauwerk treiben. «Die Pyramiden gehören zum Weltkulturerbe. Deshalb müssen wir bei der Untersuchung besonders vorsichtig vorgehen», sagt Christian Grosse von der Technischen Universität München. An der Cheopspyramide arbeite man mit Radar- und Ultraschallgeräten, die teils sogar ohne Kontakt zum Bauwerk verwendet werden könnten. Damit komme man vielleicht auch dem Rätsel des «Big Void» auf die Spur. «Unser Vorschlag ist natürlich, diesen Bereich als Nächstes ebenfalls mit unseren Methoden zu untersuchen.»
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