Fragen zum heimlichen AbgangFlüchtet der spanische Ex-König Juan Carlos in die Schweiz?
Der überraschende Wegzug des Monarchen aus Madrid führt zu Spekulationen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Fall.
Spanien ist in Aufruhr: Am Montagabend wurde bekannt, dass der frühere Monarch Juan Carlos I. sein Land heimlich verlassen hat. Das gab er in einem Brief an seinen Sohn und Nachfolger Felipe VI. bekannt, den die königliche Familie überraschend veröffentlichte. Medienberichten zufolge war Juan Carlos zu diesem Zeitpunkt offenbar schon über alle Berge. Aber wo? Und weshalb? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum aufsehenerregenden Fall:
Warum hat Juan Carlos Spanien verlassen?
Der emeritierte König ist wegen eines Korruptionsskandals und Justizermittlungen stark unter Druck. Gemäss dem Brief will er verhindern, dass die Ermittlungen seiner Familie und dem Königshaus schaden. «Angesichts der öffentlichen Auswirkungen, die gewisse vergangene Ereignisse derzeit verursachen», wolle er mit seinem Schritt die Arbeit seines Sohnes als Staatschef erleichtern, schrieb Juan Carlos.
Die in Sachen Monarchie gewöhnlich sehr gut informierte Tageszeitung «El Mundo» vermutet allerdings, das Königshaus habe Juan Carlos zum Verlassen Spaniens «gezwungen». Die Entscheidung sei in erster Linie von Felipe getroffen worden, so das Blatt. Dieser hatte bereits Mitte März mit seinem Vater gebrochen und ihm die jährliche Zuwendung von fast 200’000 Euro gestrichen. Zudem verkündete Felipe, dass er auf alle finanziellen Erbansprüche verzichten werde.
Was wird ihm vorgeworfen?
Das oberste Gericht in Madrid ermittelt seit Anfang Juni gegen Juan Carlos wegen des Verdachts auf Schmiergeldzahlungen. Der damalige König soll 2008 von Saudiarabien 100 Millionen US-Dollar kassiert haben, als er beim Bau einer Schnellbahnstrecke zwischen Mekka und Medina vermittelte. Ein spanisches Konsortium erhielt den Zuschlag.
Auch in der Schweiz laufen Untersuchungen. Spanische Medien berichten seit Jahren über Ermittlungen, wonach Juan Carlos dort Millionen Euro geparkt haben soll, die vom verstorbenen saudischen König Abdullah stammen könnten. Ermittler sehen darin einen möglichen Versuch, das Geld vor dem Finanzamt zu verbergen.
Wohin ist Juan Carlos geflüchtet?
Darüber wird momentan heftig spekuliert. Die «La Vanguardia» und auch die den Royals sehr nahe stehende Zeitung «ABC» berichteten, der 82-Jährige sei am Montagmorgen mit dem Auto nach Portugal gefahren und von dort in die Dominikanische Republik geflogen. Dort wolle er einige Wochen bei einem engen Freund, dem Zuckermagnaten Pepe Fanjul, bleiben und sich anschliessend nach einem neuen Ziel umschauen.
Andere Zeitungen mutmassten, der Ex-König halte sich in Portugal, Frankreich oder Italien auf. «El Mundo» brachte auch die Schweiz und die Golfstaaten als mögliche Optionen ins Spiel. Juan Carlos war schon mehrmals in der Schweiz zu Besuch, unter anderem zum Skifahren. Seine Tochter Cristina wohnt seit 2013 in Genf. Zu Herrschern verschiedener Golfstaaten, nicht nur in Saudiarabien, hat er laut der Zeitung gute Beziehungen.
Mit Sicherheit lässt sich also noch nicht sagen, wo sich Juan Carlos momentan aufhält und wohin es ihn dauerhaft zieht. Klar ist: Er zieht allein ins Ausland. Seine Ehefrau, Doña Sofía, bleibt im Zarzuela-Palast in Madrid, der dem untergetauchten Ex-König in den vergangenen 58 Jahren als Residenz diente.
Beeinflusst die Flucht die Ermittlungen?
Nein. Gemäss der Zeitung «El Mundo», die sich auf verschiedene Rechtsquellen stützt, hat das Vorgehen von Juan Carlos keine Auswirkungen auf die Ermittlungen. Die Vorwürfe gegen den ehemaligen König werden unabhängig von dessen Aufenthaltsort weiter untersucht.
Juan Carlos liess zudem selbst ausrichten, dass er sich keinesfalls dem spanischen Justizsystem entziehen wolle. «Mein Mandant steht dem Staatsanwalt jederzeit für alle als angemessen erachteten Verfahren oder Massnahmen zur Verfügung», sagte sein Anwalt.
Was droht Juan Carlos?
Der Skandal um die mutmassliche Schmiergeldzahlung von Saudiarabien ereignete sich 2008, als der Monarch als Staatsoberhaupt noch Immunität genoss. Im Zusammenhang mit dieser Zahlung wird Juan Carlos aber der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung nach seiner Abdankung im Juni 2014 verdächtigt. Damals verlor er seine Immunität. Es könnte also sein, dass er ins Gefängnis muss, wenn sich die Vorwürfe über Vorgänge, die sich nach 2014 ereignet haben, als belastbar erweisen.
Welche Folgen hat der Fall für das Königshaus?
Juan Carlos ist bei der eigenen Familie und seinem Nachfolger Felipe seit längerer Zeit in Ungnade gefallen, weil er wiederholt in Skandale und Affären verwickelt war. Es gab Medienberichte über angebliche Seitensprünge und einen Betrugsskandal, bei dem sein Schwiegersohn zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Hohe Wellen warf auch eine Aufnahme im Jahr 2012, auf dem sich der damalige König – und Ehrenpräsident der Tierschutzorganisation WWF – nach einer Grosswildjagd in Botswana mit einem toten Elefanten fotografieren liess.
Die Luxussafari fand mitten in der spanischen Finanz- und Wirtschaftskrise statt, die Hunderttausende spanische Familien in die Armut getrieben hatte. Zudem kam heraus, dass ihn auf der Reise eine Frau begleitet hatte, die nicht Königin Sofia war. Die Familie zwang Juan Carlos, die Liaison aufzugeben. Die frühere Geliebte, bei der es sich um die deutsche Geschäftsfrau Corinna zu Sayn-Wittgenstein handelt, setzt das Königshaus seitdem mit Enthüllungen unter Druck.
«Es tut mir sehr leid», sagte Juan Carlos damals vor laufenden Kameras. «Das wird nicht mehr vorkommen.» Bei grossen Teilen des eigenen Volks hat der frühere König seinen einstmals guten Ruf aber längst verspielt. Die neuen Korruptionsermittlungen tragen das Ihre dazu bei. Sie sind auch für das restliche Königshaus zur Belastung geworden, dessen Popularität in jüngsten Umfragen auf einen Tiefpunkt sank.
Die Rufe nach einer Abschaffung der Monarchie in Spanien wurden zuletzt immer lauter. Zum Beispiel von Pablo Iglesias, Chef des Linksbündnisses Unidas Podemos und Juniorpartner der sozialistischen Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez. «Die Flucht ins Ausland ist eines ehemaligen Staatsoberhauptes unwürdig», schrieb er auf Twitter. «Juan Carlos muss sich für seine Aktionen vor dem Volk verantworten.»
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