Kurswechsel bei den FreisinnigenHärter. Knalliger. Boulevardesker: Was hinter dem neuen Stil der FDP steckt
Thierry Burkarts Partei erfindet sich gerade neu – inhaltlich und rhetorisch. Warum? Ist es eine «Aargauisierung» oder die Angst der Partei, einen Bundesratssitz zu verlieren?
- Die FDP Schweiz setzt seit kurzem auf eine deutlich schärfere Rhetorik.
- Bildung und Asylpolitik rücken stärker in den Fokus der freisinnigen Positionen.
- Extern wird über eine mögliche «Aargauisierung» der Partei diskutiert.
Es ist noch nicht allzu lang her, da trugen Medienmitteilungen der FDP Titel wie: «Engagiert für realistische Lösungen» oder «Das Erfolgsmodell Schweiz sichern». Seit wenigen Monaten klingt es anders. Bestimmter. Knalliger. Personalisierter.
«Bundesrat Jans, bitte aufwachen!», schrieb die Partei, als Deutschland im September bekannt gab, den Schutz seiner Grenzen zu verstärken.
Den «Linken und Steuerwütigen» sagte sie in einer Petition den Kampf an, nachdem ihre eigene Bundesrätin die Idee lanciert hatte, die Steuerprivilegien beim Bezug von Geldern aus der 2. und 3. Säule weitestgehend abzuschaffen.
Und als der Bund mit Vincenzo Mascioli einen neuen Staatssekretär für Migration ernannte, liess ihn die FDP per Aussendung wissen, was er zu tun habe. «Hier ist Ihr Pflichtenheft.»
Dieser neue Ton ist auch in den Äusserungen von Thierry Burkart, dem Präsidenten, zu spüren. Zum Beispiel, wenn er sich darüber empört, dass die Schweiz Asylsuchenden «Begegnungen mit Lamas» biete – und dabei verschweigt, dass die Bilder während eines Arbeitseinsatzes von Geflüchteten entstanden.
Was ist los mit der einst staatstragenden FDP? Woher kommen diese inhaltlichen und kommunikativen Verschiebungen?
1. Demonstrative Geschlossenheit.
Wer verstehen will, was gerade in der FDP passiert, muss ziemlich genau ein Jahr zurückblenden. Damals, nach den nationalen Wahlen im Herbst, gab Thierry Burkart der «Aargauer Zeitung» ein bemerkenswertes Interview. Er musste erklären, wie es zur historischen Niederlage der FDP mit nur noch 14,3 Prozent Wähleranteil kommen konnte.
Burkart, damals seit zwei Jahren Parteipräsident, erklärte die Pleite damit, dass die klassischen FDP-Themen – Stromversorgungssicherheit, Altersvorsorge und Wirtschaft – bei der Wählerschaft offensichtlich nicht verfangen hätten, «obwohl sie die grössten Herausforderungen sind für unser Land».
Er übte aber auch Kritik an der Art, wie die Partei funktioniert. «Wir haben nach wie vor einen gewissen Selbstzerstörungsdrang», analysierte er. Entscheide der Partei würden in der Öffentlichkeit von Parteikollegen zerredet. Burkart hielt fest: «Die Stärke der Partei hängt auch von der Loyalität jedes einzelnen Mitglieds ab.» Die FDP habe überdies die «rückständigsten Strukturen». Andere Parteien führten viel zentraler.
Wer mit Parteimitgliedern spricht, hört, dass Burkart seinen Worten Taten folgen liess. Kantonalpräsidentinnen und -präsidenten loben, die Partei werde nun deutlich straffer geführt. «Es ist ein Ruck durch die Partei gegangen», sagt Sabina Freiermuth, FDP-Präsidentin im Aargau und frühere persönliche Mitarbeiterin von Burkart.
Freiermuth meint: Es gebe weniger Einzelkämpfer, man trete geschlossener auf. Sie lobt zudem die Positionspapiere zu Themen wie Bildung oder Migration, die die FDP Schweiz mit Fachspezialisten aus den Kantonen erarbeitet. «Dazu gehören auch Mustervorstösse aus den Kantonen, die das Generalsekretariat in einer Drehscheibenfunktion allen zur Verfügung stellt. Das hilft uns dabei, schweizweit kraftvoll aufzutreten.»
2. Weg mit den Nebensätzen!
Dass die FDP nicht nur einheitlicher kommuniziert, sondern auch plakativer, bringt ihr Kritik aus anderen Parteien ein. Corina Gredig, die Fraktionspräsidentin der Grünliberalen, sagt, ihr sei die rhetorische Verschärfung besonders beim Thema Bildung aufgefallen. Wer der FDP zuhöre, müsse zum Schluss kommen, die Volksschule sei kurz vor dem Kollaps. «Dieser Alarmismus macht mir Sorgen. Wenn alle an diesem Wettrüsten mitmachen, erstickt die konstruktive Debatte in der Schweiz.»
Auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth nennt das freisinnige Bildungspapier als Negativbeispiel. Er sagt: «Ich hatte den Eindruck, die Forderungen seien direkt aus den Online-Kommentarspalten zusammenkopiert. Ausgerechnet jene, die mit ihrer Abbaupolitik den Ressourcenmangel an den Schulen verantworten, kritisieren nun, dass die Kinder nicht mehr gut betreut werden. Das ist für mich wirklich eine neue Dimension populistischen Agierens.»
Gemessen an der öffentlichen Aufmerksamkeit, ging die Strategie auf: Die freisinnigen Bildungsvorschläge, etwa zur Abschaffung der integrativen Schule, wurden medial breit rezipiert. Die Aargauer FDP-Präsidentin Sabina Freiermuth, die am Positionspapier mitgearbeitet hat, hat denn auch kein Problem mit der Kritik der Konkurrenz. «Im Gegenteil: Ich stelle mit Freude fest, dass wir die anderen Parteien stören.»
Jahrelang habe man die FDP kaum verstanden, weil sie sich zu korrekt ausdrücken wollte. «Wir verhielten uns so staatstragend, als ob wir noch immer alle sieben Bundesräte stellten. Wir hatten das Gefühl, wir müssten zu unseren Forderungen jeweils auch gleich die perfekte Umsetzung liefern.» Nun habe man gemerkt, dass es nicht immer eine Doktorarbeit brauche, zuweilen tue es auch ein Forderungskatalog.
Thierry Burkart habe bereits als Kantonalpräsident gepredigt, mehr Hauptsätze und weniger Nebensätze zu brauchen, so Freiermuth. «Dass dies nun in der Praxis gelebt wird, liegt auch an der Umsetzung durch den Generalsekretär.»
Seit Juli leitet Jonas Projer, ehemaliger «Arena»-Moderator und Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», die politische Stabsstelle der Partei. Die neue Kommunikation trage eindeutig die Handschrift von Projer, sagt der Politologe Claude Longchamp. «Das ist der Projer-Stil. Er kann ein Thema so lange büscheln, bis er es auf den Punkt gebracht hat.»
3. Die «Aargauisierung» der FDP
Im Bundeshaus gibt es manchmal Erzählungen, die verbreiten sich so rasch, dass man fast unmöglich zurückverfolgen kann, wo sie ihren Ursprung haben. Eine davon geht so: Der Kurswechsel der FDP habe viel mit der Herkunft ihres Präsidenten Thierry Burkart zu tun. Oder knackiger ausgedrückt: Die Partei Schweiz erlebe gerade eine «Aargauisierung». Eine Konzentration auf den rechtsbürgerlichen Teil der FDP. Jenen Flügel der Partei, der für eine harte Asylpolitik stehe, für neue Atomkraftwerke und die freie Fahrt auf Autobahnen.
Einer, der diese These vertritt, ist selbst Aargauer. Cédric Wermuth sagt: «Die Freisinnigen bei uns waren schon immer rechter als in anderen Kantonen.» Den weltoffenen Freisinn habe es im Aargau in den letzten Jahrzehnten meist nur als Minderheit gegeben, so Wermuth – mit wenigen prominenten Ausnahmen: Christine Egerszegi oder Mathias Jauslin.
Die FDP mache offenbar eine scharfe Kursänderung nach rechts, stellt auch Gerhard Pfister fest, Präsident der Mitte. «Im Moment wirkt das alles sehr aargauerisch» – die Westschweiz, wo die FDP noch stark ist, werde vernachlässigt. Pfister staunt auch über die neue «heftige, wenig staatstragende Tonalität» des Freisinns. Den Lama-Tweet von Burkart hatte er mit dem Zusatz «eiskalt» kommentiert.
Die Aargauer FDP-Präsidentin Freiermuth lacht, als sie von der Theorie der «Aargauisierung» erfährt. Sie habe noch nie davon gehört. Allerdings sei es nichts als logisch, dass Thierry Burkart, der in diesem Kanton sozialisiert worden sei, dessen Werte in die nationale Partei trage.
Politologe Claude Longchamp ist von der These der «Aargauisierung» nicht vollends überzeugt. Bei zu vielen Themen – der Individualbesteuerung zum Beispiel, der Stabilisierung der Sozialwerke oder den Angriffen auf die SRG – seien Leute aus anderen Kantonen federführend. «Bei den drei A-Themen – Asyl, AKW, Armee – ist das anders. Hier spürt man Thierry Burkart und den Aargau sehr direkt.»
Longchamp, der vor Jahren eine Arbeit von Burkart bei «Schweizer Jugend forscht» betreut hat, sieht aktuell den rechtsbürgerlichen Block innerhalb der FDP gestärkt. Auch dank Burkart. «Es ist der letzte Kampf der Partei um ihre zwei Bundesratssitze. Die FDP ist die absteigende bürgerliche Kraft, sie hat ihr Loser-Image nicht losbekommen und tut jetzt alles dafür, ihre Sitze zu behalten», sagt Longchamp.
4. Das Asylthema ganz gross
Zur thematischen Neuausrichtung gehört, dass die Asylfrage zu einem zentralen Dossier für die Partei geworden ist. Ein neues Positionspapier der FDP zum Thema trägt den Titel «Stopp der illegalen Migration» und enthält Forderungen wie eine Beschränkung des Familiennachzugs, gezielte Personenkontrollen an den Grenzen und vermehrte Rückführungen abgewiesener Asylbewerber. Der letzte Punkt scheint der Partei so wichtig zu sein, dass sie ihn mit dem Stilmittel der Wiederholung betont: «Rückführungen, Rückführungen, Rückführungen», heisst das Kapitel.
Wie gut dieser Kurs innerhalb der Basis ankommt, ist nicht ganz klar. «Die FDP darf nicht zum Schosshündchen der SVP werden», schrieb Claude Ruey, ehemaliger FDP-Nationalrat und ehemaliger Präsident der Liberalen Partei der Schweiz, in einem Gastbeitrag für «Le Temps». «Liberale Werte wie Respekt gegenüber Menschen sollten im Vordergrund stehen, nicht populistische Lösungen.»
Auch Kurt Fluri, über lange Jahre das staatspolitische Gewissen der Partei im Nationalrat, hat Mühe mit dem aktuellen Kurs. «Ich bin kein Fan des SVP-Stils à la Andreas Glarner, den die FDP im Moment kopiert. Vielleicht holt man damit einige Leute von der SVP zurück – aber sind das wirklich jene, die man zurückhaben möchte?» Ihn stört, dass man den Leuten Illusionen verkaufe – etwa jene, die illegale Migration liesse sich mit einer Auslagerung der Verfahren ins Ausland oder mit mehr Druck auf die Herkunftsländer reduzieren. «Hier geht es nur darum, den Bundesrat anzugreifen. Das ist keine seriöse Politik.»
An der Spitze sieht man das etwas anders. Es brauche liberale Lösungen für diese Probleme, sagte Thierry Burkart schon an verschiedenen Stellen. Die Aargauer FDP-Präsidentin Freiermuth stimmt ihm zu: «Es wäre falsch, dieses wichtige Thema der SVP zu überlassen.»
5. Die Europa-Knacknuss
Weniger gern als über Asyl- und Bildungsthemen spricht man bei der FDP derzeit über Europa. Die Positionen klaffen weit auseinander, vom Zürcher Kantonalpräsidenten Filippo Leutenegger, der die Zuwanderung viel stärker steuern möchte, bis zum Nationalrat Simon Michel, der ein vehementer Verfechter des neuen Abkommens mit der EU ist. Noch ist der Moment nicht gekommen, an dem die Partei Position beziehen muss. Was dann geschieht?
Die Partei wird es uns wissen lassen – in einigen kräftigen Hauptsätzen.
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