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Nachzug von Familien
Wie die FDP in vier Wochen ihre Meinung zur Asylpolitik änderte

Kurt Fluri, Nationalrat FDP-SO, spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber ein Nein zum revidierten Jagdgesetz am Montag, 17. August 2020 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Der Satz klingt fast ein wenig pathetisch. Jedenfalls nach einer klaren Haltung. «Es ist für die Schweiz als Rechtsstaat wichtig, ihre internationalen Verpflichtungen, insbesondere jene aus der Europäischen Menschenrechts­konvention, zu respektieren und umzusetzen.»

So steht es in einer Stellungnahme der FDP vom 5. August. Darin äussert sich die Partei zu einer geplanten Gesetzesänderung, die vorläufig aufgenommene Personen betrifft – beispielsweise Kriegsflüchtlinge. Künftig sollen sie bereits nach zwei statt erst nach drei Jahren ein Gesuch um Familiennachzug stellen können.

Der Bundesrat will damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts umsetzen. Die FDP ist einverstanden. Sie spricht sich für die Gesetzesänderung aus, zumal die Hürden hoch blieben: Familienangehörige ins Land holen dürfen nur jene, die nicht von Sozialhilfe abhängig sind.

Die Kehrtwende

Vier Wochen später – am 30. August – beschliesst die FDP-Bundeshausfraktion , einer Reihe von asylpolitischen Vorstössen der SVP zuzustimmen. Der Bundesrat soll unter anderem beauftragt werden, folgenden Satz ins Gesetz zu schreiben: «Vorläufig Aufgenommene haben kein Recht auf Familiennachzug.» Statt einer kürzeren Wartefrist also ein Verbot.

Das würde nicht nur gegen die Europäische Menschenrechts­konvention verstossen, sondern – laut dem Bundesrat – auch gegen die Bundesverfassung. Die Möglichkeit des Familiennachzugs sei grundrechtlich geboten, hält die Landesregierung fest.

Streitgespräch zwischen Thierry Burkart und Christoph Blocher, zum Thema "Banken - to big to fail, Zürich, Time-Lounge HB, 5.4.2023, Foto Dominique Meienberg

Was ist nun die wahre Position der FDP? Hat sie innerhalb von vier Wochen eine 180-Grad-Wende vollzogen? Die Stellungnahme vom 5. August hat der Parteivorstand verabschiedet. Sie trägt die Unterschriften von Präsident Thierry Burkart und Generalsekretär Jonas Projer. Burkart ist es aber auch, der den schärferen Ton seiner Partei initiiert hat.

«Welche Stellungnahme?»

Der FDP-Präsident findet während der Session zwar Zeit für ein Gespräch, will sich aber zu diesem Thema nicht äussern. Er verweist auf Ständerat Damian Müller, dieser sei der Ansprechpartner für asylpolitische Details. Müller ist allerdings die Stellungnahme vom 5. August nicht bekannt. 

Und Andrea Caroni? Der Ständerat ist Vizepräsident der Partei und so etwas wie das rechtsstaatliche Gewissen der FDP. Ihm ist die Stellungnahme vom 5. August sehr wohl bekannt – sie dürfte seiner Haltung entsprechen. Zum Entscheid der Fraktion will sich Caroni aber nicht äussern. Er sagt lediglich, er halte es für wichtig, dass die FDP in der Asylpolitik eigene Vorschläge präsentiere.

Das betont auch Nationalrätin Jacqueline de Quattro. Ihr behagt allerdings der Stil der FDP in jüngster Zeit nicht. «Ein übertriebener Ton schwächt die Botschaft», sagt de Quattro. Das gelte auch in Medienmitteilungen. Die letzte Mitteilung der FDP trug den Titel «Bundesrat Jans, bitte aufwachen!».

Die Umsetzung soll es richten

Auch anderen FDP-Vertreterinnen und -Vertretern scheint beim neuen asylpolitischen Kurs nicht ganz wohl zu sein. Mehrere Fraktionsmitglieder sagen, es sei heikel, die SVP nachzuahmen. So zitieren lassen möchte sich aber niemand.

Nationalrat Christian Wasserfallen will den SVP-Vorstössen zustimmen, «da man im Asylbereich die Schraube anziehen muss». Mit Blick auf die Diskrepanz zur Stellungnahme von Anfang August sagt er: «Vielleicht hat vor dem Beschluss zur Vernehmlassung die Grundsatzdiskussion gefehlt.»

Laut Nationalrat Peter Schilliger wurde die Stellungnahme in der Fraktion thematisiert. Man habe sich aber «mit sehr grosser Mehrheit» für eine andere Richtung entschieden. «In der Umsetzung wird man die Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Verpflichtungen berücksichtigen können», sagt Schilliger.

Kurt Fluri: «Ich wäre sehr enttäuscht»

Bloss: Wie könnte ein Verbot des Familiennachzugs völkerrechtskonform umgesetzt werden, wenn schon eine Wartefrist von drei Jahren nicht mit der Menschenrechtskonvention vereinbar ist?

Nicht nur der Vorstoss zum Familiennachzug, sondern auch andere SVP-Vorstösse, denen die FDP zustimmen will, verstossen gegen Grundrechte und völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz. So will die FDP Asylsuchende internieren und Personen von der Flüchtlingseigenschaft ausschliessen, die einen sicheren Staat durchquert haben.

Der ehemalige FDP-Nationalrat Kurt Fluri findet deutliche Worte dafür: «Das geht nicht für eine staatstragende Partei», sagt er. «Ich wäre sehr enttäuscht von dieser Fraktion, wenn sie den Rechtsstaat nicht hochhalten würde.»

Zunehmend Symbol- statt Sachpolitik

Stefan Schlegel, Direktor der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution (SRMI), beobachtet die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. Zunehmend würden Massnahmen beschlossen, von denen das Parlament wisse, dass sie nicht umsetzbar seien. «Das Asylwesen ist ein prädestinierter Ort für diese Art von Symbolpolitik», sagt Schlegel. Solche Aktionen strapazierten das Vertrauen in die Politik.

Die FDP hat kommenden Dienstag die nächste Gelegenheit für eine Grundsatzdiskussion über ihre Rolle – und über Sach- oder Symbolpolitik: Die Bundeshausfraktion trifft sich erneut, um über asylpolitische Vorstösse zu befinden. Eine Woche später entscheidet der Nationalrat.