Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Die drey scheenste Dääg
Ein Exilbasler versucht sich an der Basler Fasnacht

D' Mutze-Bebbi ziehen am Cortege durch die Strassen an der Fasnacht in Basel, am Montag, 19. Februar 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Also sie sehen schon komisch aus. In beiden Beziehungen. Komisch im Sinne von seltsam. Und im Sinne von lustig. Nämlich die Leute, die sich vorgenommen haben, drei Tage lang ihre eigene Stadt zu erobern, um ein Ritual zu feiern, das möglicherweise bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. So genau weiss man das nicht, weil das Basler Erdbeben von 1356 alle Xerox-Kopien, SMS und Dokumente auf Büttenpapier zerstört hat. Einigen wir uns auf den Befund, dass die Basler Fasnacht als Feier des kommenden Frühlings schon eine Zeit lang abgehalten wird.

So auch jetzt wieder, da die Baslerinnen und Basler auf Kommando komisch werden. Sie tragen Kleider in allen Farben, Formen und Grössen. Kostüme nennt man sie. Dazu haben sie Masken auf, die man hier Larven nennt, und bei denen ist alles erlaubt. Die einen haben extragrosse Nasen, die anderen Glatzen, unnatürliche Ohren oder eingefallene Gesichter. Dazu Strohhaare in Violett, Grün, Gelb, Rot und Orange. Albert Hofmann, der Chemiker, der 1943 in Basel das LSD entdeckte, hätte sich durch die Basler Fasnacht bestätigt gesehen.

Ein anderthalbfacher Basler nur

Drei Dinge machen die Basler zu einem solchen: der Rhein. Der FC Basel. Und die Fasnacht. So gesehen darf ich mich nur als anderthalbfachen Basler bezeichnen. Und dies, obwohl ich in dieser Stadt aufwuchs und in ihren Schulen eingeweckt wurde, im Primarschulhaus beim Spalentor und dann im Humanistischen Gymnasium auf dem Münsterberg. Bevor es mir aushängte mit der lokalen Einstellung, die der ehemalige Basler Nationalrat Daniel Vischer als «Bebbyismus» bezeichnete. Nämlich einen aggressiven Chauvinismus, den er auf die absurden Minderwertigkeitskomplexe seiner Stadt zurückführte. Mit ein Grund, warum ich nach Zürich zog.

Dennoch liebe ich meine Heimatstadt, ihre fast britische Gelassenheit, ihre mittelalterliche Bauweise, ihre grenzoffene Mentalität, ihre Kultur. Und ihren Fluss. Denn was den Rhein angeht, bin ich Vollauf-Basler. Schon deshalb, weil ich die ersten fünf Jahre meines Lebens am Rheinufer verbrachte, wir wohnten damals an der Rheingasse, gleich bei der Wettsteinbrücke. Und bis heute gibt es für mich keinen schöneren Fluss. Da haben die Limmat, die Rhone und die Aare keine Vergleichschance. Ich weiss das, weil ich in Zürich, Genf und Bern jeweils mehrere Jahre lebte.

Blick auf den Rhein und auf Basel mit den Roche-Tuermen von der Kraftwerkinsel aus in Birsfelden, am Montag, 18. Juli 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas).

So viel zum Fluss. Beim Fussball wird es komplizierter. Weil ich zwar zum FC Basel stehe, aber nur, solange wir gewinnen. Wenn sie verlieren, finde ich Minigolf interessanter. Und ja, auch bei der Fasnacht muss ich passen. Das hat vornehmlich einen Grund, den ich Ihnen noch nicht gestehen möchte, weil Sie dann nicht mehr weiterlesen und eine Hassmail schreiben.

Immerhin werden Sie mir zugestehen, dass ich bereit bin, meine Vorurteile zu überprüfen. Weshalb ich mit dem Intercity in meine Heimatstadt fahre, um mich dem Ereignis auszuliefern. Das tat ich schon in meiner Jugend inklusive Morgenstreich, der mich beeindruckte. Mit Ausnahme des Problems, das ich mit der Fasnacht grundsätzlich habe, ich komme noch darauf.

Vorwärts Marsch

Also reihe ich mich in eine freie Gruppe ein, die sich «Opti-Mischte» nennt und in der ein Freund von mir mittrommelt. «Clique» darf ich nicht schreiben, weil die sich offiziell nicht am zweiten Fasnachtstag aktivieren dürfen. Wir treffen uns beim Lohnhof, einem Gebäudekomplex aus dem 13. Jahrhundert, man hat es hier gerne alt. Kurz nach zwei Uhr nachmittags ruft der Tambourmajor, der Tätschmeister jeder Clique, die beiden Wörter aus, die so viele Baslerinnen und Basler entzücken: «Vorwärts Marsch.» Die Clique setzt sich in Bewegung, vorne die Pfeifer, dahinter die Trommler. Wir marschieren durch die Altstadt zum Spalenberg, dem entlang ich früher in die Schule lief. Von dort führt der Vorwärtsmarsch parallel zur Universität Richtung Rhein, wobei unsere Clique mehrere andere passieren muss. Diese pfeifen andere Märsche, trommeln aber meistens im Zweivierteltakt, so gesehen fällt man kaum je aus dem Rhythmus.

Die als Waggis verkleideten Drei Koenige des Hotels Les Trois Rois erinnern an die Fasnacht in Basel, am Montag, 2. Maerz 2020. Die Behoerden hatten die Drey scheenschte Daeaeg wegen der vom Coronavirus ausgehenden Gefahr offiziell abgesagt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Nach einer halben Stunde trommeln und pfeifen hält der Zug erstmals inne, pausenhalber. Die Leute verziehen sich in die umliegenden Beizen. Ich schliesse mich jenen an, die das Dreikönigs-Hotel am Rheinufer aufsuchen, das 1681 erstmals als Herrenherberge vermerkt wurde. Dort ist es zwar sauteuer, aber es hat Stil. Ausserdem sind hier mehrere interessante Persönlichkeiten abgestiegen. Königin Elizabeth II. Sir Mick Jagger, Mister Bob Dylan. Thomas Mann, Richard Wagner, Helmut Schmidt, Pablo Picasso, der Dalai Lama. Und so weiter.

Eine kontrollierte Ekstase ist immer noch besser als keine

Im Hotel treffe ich jenen Basler, der übereinstimmend als Inbegriff der Fasnacht und als Komplettbasler bezeichnet wird. Denn Felix Rudolf von Rohr, heute 80 Jahre alt, führte nicht nur die Basler Fasnacht während Jahren an, sondern leitete als Mitglied der CVP auch den Basler Grossrat an. Vor allem verbreitet er jenen Enthusiasmus über den lokalen Brauch, den ich selber so gar nicht aufbringen kann. «Vielleicht liegt Ihnen das Sechseläuten eher», sagt er, was insofern gemein ist, als man jenes noch schrecklicher findet.

Was aber macht für ihn die Fasnacht aus? «Die Leute, die hier aufeinandertreffen», sagt er und fügt an: «Es ist eine geradezu körperliche Erfahrung.» Dazu zählt er nicht nur den Anlass selber, sondern die Vorfreude, das Treffen, das Proben und das Einstudieren. Für ihn ist die Fasnacht ein kultureller Leim, der die Baslerinnen und Basler zusammenhält. Den Chauvinismus, den dieser Zusammenhalt produziert, lehnt von Rohr ebenso ab wie alle anderen Formen scheinbarer Überlegenheit seiner Stadt, die er als Symptom einer absurden Selbstabwertung interpretiert.

Aber auch dieser gebildete und historisch gewandte Basler kann mir nicht über das grösste Problem hinweghelfen, das ich mit der Fasnacht habe. Ich liebe ihren Humor, ihre Kostüme, ihre grellen Masken, ihre Schnitzelbänke. Ich liebe weniger ihren Rigorismus, all ihre Vorschriften und fanatisch eingehaltenen Bräuche, könnte aber mit dem Widerspruch leben, dass in Basel der Irrsinn protestantisch reguliert wird. Eine kontrollierte Ekstase ist immer noch besser als gar keine.

D' Sporepeter ziehen am Cortege durch die Strassen an der Fasnacht in Basel, am Montag, 19. Februar 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Trommeln und Larven liegen am Cortege an einer Hausmauer an der Fasnacht in Basel, am Montag, 19. Februar 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Aber was ich nicht ertrage, ist die Musik. Diese bleiernen Märsche. Dieses treibende Trommeln. Dieses asthmatische Fiepen. Es stimmt zwar, dass die Basler Trommler selbst so brillante Jazzer wie Gene Krupa oder Billy Cobham beeindruckten. Aber die Musik, die in Basel gespielt wird, muss sie kaltgelassen haben. Denn der Basler Fasnacht fehlt gerade das, was die Musik zum Swingen und die Leute zum Tanzen bringt: der Offbeat. Die sinnliche Betonung der unbetonten Takte, die in Städten wie New Orleans sogar die alten Leute in Bewegung bringt.

Musik hat zwei Aufgaben, wie die Ethnologie weltumspannend belegt hat: Sex und Tod. Sündige Synkopen oder militärischer Aufmarsch. Entweder die Musik bringt die Menschen zusammen, oder sie bringt sie um. In Basel bringt sie die Menschen zusammen, ohne sie umzubringen. Aber ihre Musik klingt trotzdem wie ein Befehl von oben: Die Basler Fasnacht führt einen Tanz auf ohne Unterleib.