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Migros entscheidet über Alkoholverkauf
Fachleute warnen – Wein und Bier in der Migros wären eine Gefahr für Jugendliche

Alkohol ist in der Schweiz praktisch in allen Lebensmittelläden erhältlich – ausser in der Migros. Nun spielt auch die Migros mit dem Gedanken, in ihren Filialen künftig Spirituosen anzubieten. 
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Diesen Samstag kommt es beim Migros-Genossenschaftsbund zu einer historischen Abstimmung: An der Delegiertenversammlung soll ein erster Entscheid fallen, ob künftig Alkohol ins Sortiment aufgenommen wird. Gemäss den Grundsätzen von Gründungsvater Gottlieb Duttweiler ist der Verkauf von Alkohol strengstens untersagt. So wollte er mit dem Verzicht ein klares Zeichen zur Förderung der Volksgesundheit setzen.

Bei Suchtexpertinnen und -experten kommt die mögliche Aufhebung des Alkoholverkaufsverbots nicht gut an. Das Blaue Kreuz spricht von einem «Verrat» an der DNA der Migros: Sie riskiere damit, die Reputation eines sozialen und gesellschaftsverantwortlichen Grossverteilers zu verlieren. «Klar, die Migros kann machen, was sie will, es handelt sich um ein freies Unternehmen. Gleichzeitig gibt es aber Statuten, die soziale Verantwortung als Wert nennen», findet Philipp Hadorn, Präsident der Suchthilfeorganisation Blaues Kreuz.

Der Einstieg der Migros ins Alkoholgeschäft wäre aus seiner Sicht nicht nötig und werde sich wirtschaftlich nicht auszahlen: «Die Migros-Kundschaft schätzt und honoriert ‹Duttis Erbe› und die Migros-Gruppe partizipiert ja bereits im Alkoholhandel mit Denner und ihrem Online-Shop», so der ehemalige SP-Nationalrat. Für die Migros selbst könnte ein solcher Schritt einen Boomerang-Effekt haben. «Es ist ein zentraler Wert der Migros, keinen Alkohol zu verkaufen, und es gehört zur Identität: kein Alkohol, kein Tabak, aber Engagement für Kultur und Sport.»

Suchtexperten kritisieren – Alkoholkonsum wird banalisiert

Auch bei der Stiftung Sucht Schweiz würde man eine Aufhebung des Alkoholverbots bei der Migros als einen Schritt in die falsche Richtung erachten. «Es trägt weiter zu einer Normalisierung respektive Banalisierung des Alkoholkonsums und der daraus potenziell entstehenden Probleme bei», sagt Silvia Schenker, Präsidentin der Fachstelle und ehemalige SP-Nationalrätin.

In einer Studie hat die Fachstelle kürzlich festgestellt, dass Jugendliche auf ihren Wegen im Schnitt alle fünf Minuten einem Alkoholanreiz begegnen. «Die Normalität des Alkoholkonsums ist erschreckend. Wenn nun auch noch die Migros ihren Grundsatz offiziell aufgibt, dann ist das fatal und trägt zum falschen Bild bei, Alkohol sei ja kein Problem mehr. Doch die Realität zeigt das Gegenteil», so Sprecher Markus Meury.

250’000 Menschen leiden in der Schweiz an Alkoholismus. 100’000 Kinder wachsen in einem Elternhaus auf, wo Alkohol auf problematische Weise konsumiert wird. Somit sind auch sie eher gefährdet, selbst ein Suchtproblem zu entwickeln. Jährlich sterben fast 1550 Personen an den Folgen des Alkoholkonsums, bei jungen Männern gilt es als die Todesursache Nummer eins.

Ein Markteintritt der Migros-Filialen ins Alkoholgeschäft könnte zum Preiskampf unter den Detaillisten führen. 

Grösseres Angebot führt zu mehr Konsum

«Je grösser das Angebot, desto grösser die Gefahr für Konsumentinnen und für Gefährdete», sagt Blaues-Kreuz-Präsident Hadorn. Für Personen, die alkoholkrank sind, würde die Situation dadurch nur verschärft. «Bis anhin haben beispielsweise Sozialämter und gemeinnützige Organisationen ihren Klienten Migros-Gutscheine abgegeben – mit dem Wissen, dass die Gefährdeten unter ihnen so nicht an Alkohol kommen.»

Trockene Alkoholiker oder solche, die es werden wollen, wären dann auch beim Einkauf in der Migros-Filiale dem Risiko ausgesetzt, zur Flasche zu greifen. «Das kann für solche Menschen ganz schwierig sein, wenn sie keinen Ort mehr haben, wo sie vor den Alkoholanreizen in Ruhe gelassen werden», sagt Meury von Sucht Schweiz. Gerade Menschen, die in Therapie sind, könnten so eher Rückfälle erleiden. Jährlich befinden sich mindestens 10’000 Personen aufgrund ihres Alkoholkonsums in einer stationären oder ambulanten Behandlung.

«Aus der Forschung ist bekannt, dass suchtgenerierende Substanzen häufiger konsumiert werden, je dichter das Angebot ist.» Eine Ausweitung des Angebots würde also mehr Konsum mit sich bringen. «Da die Migros eine grosse Marketingmacht hat, ist auch davon auszugehen, dass sie die Produkte erfolgreich und aktiv bewerben wird», meint Meury.

Preise für Alkohol könnten sinken

Gleichzeitig sei auch anzunehmen, dass diese zusätzliche Konkurrenz auf dem Schweizer Alkoholmarkt zu Preissenkungen führen wird. «Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Preise einen Einfluss auf den Konsum von jüngeren Menschen und solchen mit starkem Konsum haben.» Ein solcher Markteintritt könnte also genau die Gruppen treffen, die schon gefährdet sind.

In den letzten 20 bis 30 Jahren hat Alkohol bei jungen Konsumierenden laut Fachstellen an Bedeutung gewonnen. «Die Preissenkungen bei Bier und den Spirituosen haben wohl dazu beigetragen wie auch die Aufhebung des Werbeverbotes von Alkohol am Fernsehen», sagt Meury. So sei es auch kein Wunder, dass der Anteil unter den 15- bis 19-Jährigen, die mindestens monatlich Rauschtrinken, innert 20 Jahren von 6 auf über 20 Prozent angestiegen ist.

Das Gruppen-Trinken hat während der Pandemie zwar abgenommen, doch vermuten Expertinnen und Experten, dass das Trinken in den eigenen vier Wänden häufiger wurde: «Tatsächlich ist davon auszugehen, dass der Alkoholkonsum bei einsamen, gestressten oder sonst unter der Pandemie leidenden Menschen zugenommen hat.» Erste Daten dazu, wie stark der Alkoholkonsum während des Lockdown effektiv gestiegen ist, werden Anfang nächsten Jahres erwartet.