Hygiene und UmweltExperten warnen vor häufigem Gebrauch bestimmter Desinfektionsmittel
Desinfektionsmittel sollten nicht unbedacht verwendet werden. Für bestimmte darin verwendete Wirkstoffe gilt gemäss Experten, dass sie häufig mehr schaden als nützen.
Amerikanische Wissenschaftler warnen vor sogenannten quartären Ammoniumverbindungen (QAV) in Desinfektionsmitteln und anderen Produkten. Einige dieser Substanzen können Wassertiere schädigen und auch beim Menschen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Vor allem könne der alltägliche Gebrauch dieser Mittel die bekämpften Mikroorganismen durch Ausweichmutationen resistenter machen, schreibt eine Gruppe um Carol Kwiatkowski vom Green Science Policy Institute in Berkeley (Kalifornien, USA). Die Studie ist im Fachmagazin «Environmental Science & Technology» erschienen.
QAV sind eine Stoffklasse mit Hunderten Substanzen. Ihnen gemeinsam ist ein Stickstoffatom, an das vier organische Reste gebunden sind. Viele der Verbindungen haben antimikrobielle Wirkungen und werden deshalb in Desinfektionsmitteln, antibakteriellen Allzweckreinigern und Hygienetüchern eingesetzt. Auch in der Schweiz sind QAV ein Thema und wurden im Bericht des Bundesamts für Umwelt von 2015 bereits erwähnt.
Gemäss Kwiatkowski und Kollegen ist der Gebrauch dieser Stoffklasse seit der Pandemie in den USA stark angestiegen. Neben der Corona-Pandemie ist ein Grund dafür, dass QAV, darunter Benzalkoniumchlorid, seit einigen Jahren oft andere desinfizierende Wirkstoffe in Flüssigseifen und Duschgelen ersetzt haben. Die Studienautoren werteten über 200 wissenschaftliche Untersuchungen aus, in denen die Wirkung verschiedener QAV untersucht wurden, und fassten die Ergebnisse in ihrer Studie zusammen. «Unsere Überprüfung der Forschung legt nahe, dass die Desinfektion mit diesen Chemikalien in vielen Fällen nicht hilfreich oder sogar schädlich ist», wird Courtney Carignan, Co-Autorin von der Michigan State University in East Lansing (Michigan, USA), in einer Mitteilung des Green Science Policy Institute zitiert. Die Forscher empfehlen eine regelmässige Reinigung mit Wasser und Seife und eine Desinfektion nur bei Bedarf und dann mit sichereren Produkten.
Die betrachteten Studien erbrachten Belege dafür, dass QAV die Abwasserbehandlung überstehen und so in die Umwelt gelangen. Dort können sie Wasserlebewesen schädigen, vom Wasserfloh bis hin zu Fischen. Auch der Mensch kann von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sein, etwa durch Kontakt mit der Haut oder durch Einatmen versprühter Desinfektionsmittel. Bei Menschen, die in Herstellungsbetrieben, Krankenhäusern oder als Reinigungskräfte häufig QAV ausgesetzt sind, können sich Überempfindlichkeiten und chronische Entzündungen entwickeln. Eine intakte Haut ist jedoch vor dem Eindringen von QAV durch die Nutzung einer desinfizierenden Seife geschützt.
Kritischer sind Studienergebnisse, in denen eine Abnahme der Fruchtbarkeit bei Mäusen festgestellt wurde, nachdem sie QAV ausgesetzt gewesen waren. Bekannt war der Effekt anscheinend schon 1975, worauf eine Patentschrift zur Verwendung von QAV als Mittel zur Verringerung der Fruchtbarkeit von Hunden und Ratten hinweist, deren Wirksamkeit durch Studien belegt sei.
Zudem kann der häufige Gebrauch von Desinfektionsmitteln – ähnlich wie bei Antibiotika – zur Entwicklung von Resistenzen bei den bekämpften Mikroorganismen führen. «Antimikrobielle Resistenz trug bereits vor der Pandemie zu Millionen von Todesfällen pro Jahr bei; übereifrige Desinfektion, insbesondere bei Produkten mit QAV, droht es noch schlimmer zu machen», betont Erica Hartmann von der Northwestern University in Evanston (Illinois, USA), eine weitere Co-Autorin. Die Studienautoren fordern deshalb, dass QAV in Listen von Schadstoffen von zunehmendem Interesse für Berichterstattung, Überwachung, Bewertung et cetera aufgenommen werden.
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