Chinas Bauriese zahlungsunfähigEvergrande am Abgrund
Die Ratingagentur Fitch geht davon aus, dass der chinesische Immobilienkonzern de facto pleite ist. Es droht ein Milliardenverlust – und eine Rettung wird immer unwahrscheinlicher.
War es das? Ist Evergrande, jener chinesische Immobilienkonzern, den Schulden in Höhe von 300 Milliarden Dollar drücken sollen, nun wirklich pleite? Die Ratingagentur Fitch stufte jedenfalls am Donnerstag die Kreditwürdigkeit von Evergrande und dem kleineren Wettbewerber Kaisa herunter und warnte nachdrücklich vor einem Zahlungsausfall.
Die Frage ist: Hat Evergrande Zinsen in Höhe von 82,5 Millionen Dollar am Montag bezahlt oder nicht? Es gibt Berichte, wonach einige Anleger ihr Geld bislang nicht erhalten haben. Sollte das zutreffen, wäre Evergrande juristisch betrachtet zahlungsunfähig, und alle anderen ausstehenden Anleihen müssten dann von Banken und Fonds, die diese gezeichnet haben, abgeschrieben werden. Ein Milliardenverlust.
Der neue Status lautet «Restricted Default», was so viel wie «eingeschränkter Kreditausfall» bedeutet.
Eine Rettung durch den chinesischen Staat wird für internationale Anleger immer unwahrscheinlicher. Am Donnerstag meldete sich Chinas Zentralbankchef Yi Gang zu Wort. Die Risiken von Evergrande seien ein «Marktvorgang», mit dem angemessen «nach den Grundsätzen des Marktes und der Rechtsstaatlichkeit» umgegangen werde. Die Zentralbank befürworte ein gerechtes Marktumfeld. Unternehmen und Anteilseigner müssten in Übereinstimmung mit den Rechtsanforderungen und Marktvorschriften angemessen mit «ihren eigenen Schulden» umgehen und die Interessen der Gläubiger schützen.
Der neue Status von Evergrande und Kaisa lautet bei Fitch nun «Restricted Default», was so viel wie «eingeschränkter Kreditausfall» bedeutet. Kaisa habe eine vorrangige Anleihe in Höhe von 400 Millionen Dollar zum Stichtag am Dienstag nicht zurückgezahlt. Bei Evergrande bemängelt Fitch das Ausbleiben von Zinszahlungen, die ursprünglich Anfang November fällig gewesen wären. Die Nachfrist von 30 Tagen lief am Montag ab. Auf Fragen nach den Verpflichtungen habe Evergrande nicht geantwortet: «Deswegen gehen wir davon aus, dass sie nicht bezahlt worden sind», heisst es im Fitch-Report.
Evergrande hatte vor einer Woche selbst vor möglichen Zahlungsschwierigkeiten gewarnt: Der Konzern könne keine Garantie geben, dass man über ausreichende Mittel verfüge, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Behörden der Provinz Guangdong, in der Evergrande seinen Firmensitz hat, entsandten daraufhin eine Arbeitsgruppe in das Unternehmen.
Für die chinesische Regierung geht es vor allem darum, die Auswirkungen einer etwaigen Evergrande-Pleite zu vermeiden. Ein Einbruch am Wohnungsmarkt soll um jeden Preis verhindert werden. Denn: 1995 machten Immobilieninvestitionen etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. 2019 waren es 13 Prozent, und die chinesische Wirtschaftskraft hat sich seit Mitte der Neunzigerjahre mehrmals verdoppelt, schrieb der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff jüngst in einer Studie: «Im internationalen Vergleich ist das Ausmass des chinesischen Immobilienbooms sicherlich beispiellos.»
1000 Neubauprojekte in Arbeit
Berücksichtigte man zudem noch die Aktivitäten der Baufirmen, der Stahl- und Zementwerke sowie der dazu gehörigen Dienstleistungsunternehmen, sei der Immobiliensektor für 29 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich, schätzt Rogoff – deutlich mehr als in vielen anderen Ländern. Ein Kollaps des Immobilienmarktes, ausgelöst durch Panikverkäufe nach einer Evergrande-Pleite, könnte verheerende Auswirkungen haben: Etwa 60 Prozent der chinesischen Vermögen sind in Beton anlegt, in den Vereinigten Staaten ist es gerade mal ein Viertel.
Wie also geht es weiter? Denkbar ist eine Zerschlagung des Konzerns. In China selbst könnten Behörden dann einzelne Wohnanlagen verwalten und fertigbauen, um zu verhindern, dass chinesische Immobilienbesitzer ihre Vermögen abschreiben müssen. Derzeit werkelt der Konzern an gut 1000 Neubauprojekten im Land. Und für etwa 1,4 Millionen Wohnungen, die es zum Grossteil noch nicht gibt, hat Evergrande Vorkasse verlangt.
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