Europas Firmen klagen über Projekt Seidenstrasse
Von dem gigantischen Infrastruktur-Vorhaben Chinas bekommen viele europäische Firmen fast nichts ab.
Es ist das grösste Infrastrukturprogramm der Welt: Chinas neue Seidenstrasse. Ein Netz an Investitionen, das fast 70 Prozent der Erdbevölkerung umfassen soll. Projekte im Wert von mehr als einer Billion Dollar. Ein gewaltiges Vorhaben, eine Idee, die Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping 2013 erstmals vorstellte und die in der Volksrepublik inzwischen fester Teil der kommunistischen Glaubensauffassung geworden ist. «Ein Gürtel, eine Strasse», wie das Programm offiziell etwas klobig heisst, ist 2017 in die Parteiverfassung aufgenommen worden.
Glaubt man der chinesischen Propaganda, profitiert die gesamte Welt davon: Neue Strassen und Bahntrassen, neue Häfen und U-Bahnen, vor allem aber mehr Handel – überall. Die Seidenstrasse allzu laut zu kritisieren, das wagt so schnell niemand. An diesem Donnerstag ist es doch geschehen. Die Europäische Handelskammer in China hat eine ernüchternde Bilanz des Programms gezogen.
Für Unternehmen aus Europa sei es beinahe unmöglich, Aufträge zu erhalten, heisst es in einer aktuellen Studie der Handelskammer. «Wir können hoch und runter hüpfen wie wir wollen, es gibt einfach keinen Eingang», bemängelte Präsident Jörg Wuttke. Chinas Staatsunternehmen würden ausländischen Konkurrenten gegenüber stark bevorzugt. Von 132 Firmen, die sich an einer Befragung der Europäischen Handelskammer beteiligten, gaben lediglich zwei Unternehmen an, über reguläre Ausschreibungen (oft gibt es schlicht keine) von Projekten erfahren zu haben. Ansonsten sei man auf Regierungskontakte oder chinesische Partner angewiesen. 20 der befragten Firmen haben sich demnach bislang für Projekte beworben. «Wir kennen den Komponisten des Stücks: Xi Jinping. Wir kennen die Musiker: die Staatskonzerne. Wen wir allerdings nicht sehen, ist der Dirigent», sagte Wuttke. Es fehlt also das Regelwerk.
Im Kern geht es darum, Chinas Wirtschaft zu sanieren
Nach Angaben des Handelsministeriums in Peking haben chinesische Unternehmen in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres Seidenstrassen-Verträge im Wert von 128 Milliarden Dollar unterzeichnet. Dies entspricht einer Steigerung von 41 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Fast alles Bau- und Ausrüstungsprojekte grosser chinesischer Unternehmen. Und nicht immer sonderlich ökologisch: Laut einer Anfang der Woche veröffentlichten Untersuchung des Institute of International Finance aus Washington sind 85 Prozent der Seidenstrassen-Projekte mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden. Bereits 63 Kohlekraftwerke werden mit Geld aus China gebaut.
Im Kern geht es bei der neuen Seidenstrasse nämlich vor allem darum, die chinesische Wirtschaft zu sanieren. Das Wachstumsmodell der Volksrepublik ist an seine Grenzen gestossen, der Export wächst nicht mehr, die Binnennachfrage reicht bei weitem nicht aus, um die von der Führung angepeilten Wachstumsziele zu erreichen. Dazu noch der ruinöse Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten.
Damit Chinas Wirtschaftsleistung dennoch Jahr für Jahr mit gut sechs Prozent steigt, investiert der Staat selbst und nimmt dabei eine hohe Verschuldung in Kauf. So ist in den vergangenen Jahren ein dichtes Schnellbahnnetz im Land entstanden, neue Flughäfen wurden in Rekordzeit errichtet, in etlichen Städten U-Bahnen-Tunnels gegraben. Doch: Nicht alle diese Projekte sind sinnvoll. Brachte früher ein geliehener Yuan eine Steigerung des Wirtschaftswachstums um einen Yuan mit sich, sind es heute nicht einmal mehr 0,4 Yuan. Von einem «abnehmenden Grenznutzen» sprechen Ökonomen. Die erste Brücke über den Fluss ist für die Wirtschaft einer Stadt sehr belebend, die zehnte ist nur für die Bauindustrie und ihre zuliefernden Staatskonzerne attraktiv. Und gerade die haben in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Statt Brücken, Flugplätze und Schnellbahntrassen in China zu bauen, soll also in der Ferne betoniert werden.
Die Chance mitzumachen, haben laut der Studie der Europäischen Handelskammer meistens jedoch nur ausländische Unternehmen, die ein Nischenprodukt herstellen, das es partout nicht in China gibt. Oder aber man ist einer der ganz grossen Spieler. Siemens zum Beispiel. Vorstandschef Joe Kaeser warb lange Zeit fast euphorisch für das Seidenstrassen-Projekt. Im Sommer 2018 liess er gar eine eigene Seidenstrassen-Konferenz in einem Pekinger Hotel ausrichten. Der halbe Siemens-Vorstand rückte an, hochrangige Parteikader kamen, die Staatspresse war begeistert. Die Seidenstrasse habe das Potenzial, zur neuen «Welthandelsordnung für freien und fairen Handel made by China zu werden», sagte Kaeser damals.
In der chinesischen Hauptstadt hat der Konzern ein Seidenstrassen-Büro eröffnet. Die Aufgabe: Projekte aufspüren, Kontakte anbahnen. Mit seinem weit verzweigten Vertriebsnetz, das in mehr als 200 Staaten Geschäfte macht, ist der Konzern bestens aufgestellt. Keine Weltregion, für die Siemens nicht irgendeine Machbarkeitsstudie in der Schublade hat. Eine U-Bahnlinie hier, eine automatisierte Fabrik dort. Doch nicht immer ist die Finanzierung dieser Ideen gesichert. Es gibt Gegenden auf diesem Planeten, da bekommt man einfach keine Hermesbürgschaft für ein schlüsselfertiges Gaskraftwerk – zu riskant. Es sei denn, man sucht sich chinesische Partner und wird Subunternehmer der eigenen Pläne. «Das ist die gute Nachricht unserer Befragung», sagte Kammerpräsident Wuttke. «Die chinesischen Konzerne zahlen eigentlich immer.» Bleibt allerdings die Frage, wie man an die Aufträge kommen soll.
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