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Ungebremste Schuldenwirtschaft
Europa ist auf dem Weg in die Eurokrise 2.0

Italy's Prime Minister Giorgia Meloni arrives for a European Council Summit, at the EU headquarters in Brussels, on June 29, 2023. EU leaders will the EU's continued support to Ukraine, as well as the economy, security and defence, migration and external relations over the two-day summit. (Photo by KENZO TRIBOUILLARD / AFP)
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In den USA sind die Zinsen zehnjähriger Staatsanleihen innert Monatsfrist um 0,6 Prozentpunkte in die Höhe geschnellt, in Italien um 0,5 und in Frankreich und Grossbritannien um 0,3 Prozent.

Ein Hauptgrund sind zunehmende Bedenken wegen der stark gestiegenen Staatsverschuldung. Sie macht die Anlegerinnen und Anleger nervös. Nun verlangen sie eine höhere Vergütung, wenn sie Staaten Kredit geben.

In vielen grossen Ländern übersteigen die Schulden mittlerweile das Bruttoinlandprodukt.

Und dies mit gutem Grund: In wichtigen Volkswirtschaften wie Italien, Frankreich und Japan steigen derzeit die Staatsschulden. Seit der Finanzkrise haben die meisten Staaten massiv neue Schulden aufgetürmt, noch beschleunigt in der Pandemie, um ihre Volkswirtschaften am Laufen zu halten. Die öffentlichen Budgets wurden aufgebläht, der Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung aufgebläht.

In vielen grossen Ländern – darunter Japan, Italien, Spanien, Frankreich, den USA und Grossbritannien – übersteigen die Schulden mittlerweile das Bruttoinlandprodukt.

Das Wachstum der Schuldenquoten in den G-7, den grössten Industriestaaten der westlichen Welt, beträgt – mit Ausnahme Deutschlands – zwischen 35 und 140 Prozent seit der Finanzkrise von 2008. Ein krasser Ausreisser unter den Industriestaaten ist die Schweiz. Sie hat ihre Schuldenquote von 34 Prozent vor der Finanzkrise auf noch 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts gesenkt.

Der Parteienstreit um die Schuldenobergrenze und das Budget haben die Glaubwürdigkeit der USA beeinträchtigt. Im August hat die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit der USA von der Bestnote AAA um einen Zacken auf AA+ herabgestuft.

In Grossbritannien musste vor einem Jahr die neue Premierministerin Liz Truss nach nur 45 Tagen im Amt zurücktreten. Sie hatte mit ihrem Plan für Steuersenkungen und eine höhere Schuldenaufnahme die Finanzmärkte verunsichert und das britische Pfund abstürzen lassen.

Eine «tickende Zeitbombe»

Jetzt wächst die Nervosität auch im Euroraum. Nachdem die Regierung von Giorgia Meloni die Eckdaten für das Budget des nächsten Jahres vorgestellt hatte, machte der Zins für zehnjährige italienische Staatsanleihen einen Satz nach oben. Sogar Griechenland kommt inzwischen billiger an Kredite.

«Lo spread», wie die Italiener die Zinsdifferenz zwischen den italienischen und den als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen nennen, kletterte über die 2-Prozent-Marke, ab welcher die Märkte unruhig werden. Am Donnerstagmorgen stand er bei 2,06 Prozent.

«Die Rückkehr der Staatsschuldenkrise mit allen Konsequenzen ist ein wahrscheinliches Szenario.»

Jörg Angelé, Ökonom beim Vermögensverwalter Bantleon

Die Pläne der italienischen Regierung widersprechen den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts der Europäischen Union, die eigentlich ab nächstem Jahr wieder gelten sollten. Demnach müsste Italien bei der aktuellen Schuldenquote von 140 Prozent des Bruttoinlandprodukts die Schulden um etwa 4 Prozent pro Jahr senken. Mit den neusten Beschlüssen der Regierung Meloni wird dies nicht möglich sein.

«Eine dauerhafte Schuldenquote von 140 Prozent ist eine tickende Zeitbombe. Die Rückkehr der Staatsschuldenkrise mit allen Konsequenzen ist ein wahrscheinliches Szenario», warnt Jörg Angelé, Ökonom beim Zürcher Vermögensverwalter Bantleon in einer aktuellen Analyse der italienischen Finanzpolitik.

Die italienische Wirtschaft hatte sich nach dem Einbruch infolge der Pandemie rasch erholt. Die Arbeitslosigkeit sank auf 7,3 Prozent, den niedrigsten Stand seit 2009. Doch der Aufschwung war im Wesentlichen das Resultat einer drastischen Ausweitung der staatlichen Ausgaben, stellt die Bantleon-Analyse fest.

People walk past the Euro currency sign in front of the former European Central Bank (ECB) building on September 14, 2023 ahead of the meeting of the governing council of the ECB in Frankfurt am Main, western Germany. (Photo by Kirill KUDRYAVTSEV / AFP)

So führte die damalige Regierung von Giuseppe Conte im Jahr 2020 unter anderem den sogenannten Superbonus ein, um die von der Pandemie beeinträchtigte Konjunktur anzukurbeln. Wer seine Liegenschaft ökologisch saniert, erhält 110 Prozent der Kosten in Form einer Steuergutschrift erstattet. Der Superbonus erfreute sich grosser Beliebtheit, löste einen deutlichen Anstieg der Bauinvestitionen aus, lud zu milliardenschweren Betrügereien ein – und reisst nun tiefe Löcher in die Staatskasse.

«Der Brandherd liegt in Italien, aber die Entwicklung geht auch in Frankreich in die falsche Richtung.»

Jörg Angelé, Ökonom

Wie zuvor die Finanzkrise, die Euro-Schuldenkrise und die Corona-Pandemie werde auch der nächste weltumspannende Schock in Italien zu stark steigenden Staatsausgaben und wegbrechenden Einnahmen führen, warnt Jörg Angelé. «Dann steigt der Schuldenstand rasch einmal auf 150 oder 160 Prozent, also auf ein Niveau, das nicht mehr weit von dem Griechenlands während der Eurokrise entfernt ist.» Bei den Anlegern kämen dann grosse Zweifel auf, ob das noch finanzierbar sei.

Die Ratingagentur Moody's stuft das Land derzeit eine Stufe höher als Ramsch ein. Sie wird das Rating im November überprüfen. Ein Anstieg der Schuldenquote würde eine Herabstufung wahrscheinlicher machen – und damit die Zinskosten Italiens weiter erhöhen.

Auch Frankreich hält sich nicht an die Regeln

«Der Brandherd liegt in Italien, aber die Entwicklung geht auch in Frankreich in die falsche Richtung», sagt Jörg Angelé. Weil auch andere Euroländer auf Jahre hinaus nicht vorhaben, sich an den Stabilitätspakt zu halten, dürfte das Regelwerk stark aufgeweicht werden, erwartet er.

Japan, Grossbritannien oder die USA schieben ebenfalls Schuldenberge vor sich her, sie haben aber einen Vorteil: Sie können sich in der eigenen Währung verschulden und diese bei Bedarf abwerten. Die Gefahr einer Schuldenkrise ist damit bedeutend geringer als im Fall Italiens, das nicht einfach Euro drucken kann, sondern von der Stützung durch die Europäische Zentralbank (EZB) abhängt.

Staatspleiten sind im Euroraum deshalb eine reelle Gefahr. Da ein Zahlungsausfall Italiens die ganze Währungsunion gefährden würde, muss die EZB einschreiten, wenn «lo spread» allzu stark anzusteigen droht.

Der EZB-Rat hat im Juli 2022 ein Instrument geschaffen, damit die EZB in einem solchen Fall italienische Staatsanleihen kaufen könnte. Denn eigentlich ist es ihr nicht erlaubt, einzelne Staaten zu finanzieren, um deren Pleite zu verhindern.

Schweizerische Nationalbank könnte unter Druck kommen

Dazu kommt ein weiteres Problem: Kauft die EZB im Notfall italienische Anleihen, torpediert sie ihre Inflationsbekämpfung. Unter Druck käme auch die Schweizerische Nationalbank. Der Franken würde in einem solchen Szenario stark zulegen, sodass die Nationalbank erneut in grossem Mass Devisen kaufen müsste, um eine übermässige Aufwertung zu verhindern. Im Extremfall wäre eine Rückkehr zu Negativzinsen denkbar.

Wie historische Erfahrungen zeigen, werden sich die Schulden nicht weginflationieren lassen. Reformen für mehr Wirtschaftswachstum sind leichter gesagt als getan. Damit die Staatsverschuldung nicht aus dem Ruder läuft, müssten die hoch verschuldeten Staaten die Ausgaben kürzen und die Steuern erhöhen.

Angesichts politischer Blockaden, notwendiger Investitionen in den Klimaschutz und die Energiewende, fortschreitender Alterung der Gesellschaft und steigender Gesundheits- und Rentenausgaben wird das ein steiniger Weg.