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Kehrtwende in Italiens Finanzpolitik
Giorgia Meloni gibt das Ziel des Schuldenabbaus auf

epa10903940 A handout photo made available by the Chigi Palace Press Office shows Italian Prime Minister Giorgia Meloni at the end of the informal meeting of heads of state and government of the EU-27 held in Granada, Spain, 06 October 2023. EPA/FILIPPO ATTILI / CHIGI PALACE PRESS OFFICE / HANDOUT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
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Als Giorgia Meloni vor einem Jahr ihre Regierungserklärung im römischen Parlament abgab, war sie darauf erpicht, Vertrauen zu wecken. Italiens erste postfaschistische Ministerpräsidentin trat demonstrativ in die Fussstapfen ihres Vorgängers Mario Draghi. Sie schrieb sich die Kontinuität in der Finanz- und Europapolitik auf die Fahnen.

Im Parlament sagte Meloni: «Die Staatsschulden müssen abgebaut werden, nicht nur, um die Investoren zu beruhigen, sondern auch, weil wir die Zeche nicht allein unserer Jugend hinterlassen dürfen.» Man nahm es ihr ab.

Die Charmeoffensive der doppelzüngigen Rechtspopulistin verfing an den internationalen Finanzmärkten erstaunlich gut. Kaum im Amt, brachte Finanzminister Giancarlo Giorgetti einen Haushaltsentwurf ins Parlament, dessen Rahmen noch vom Team Draghis abgesteckt worden war.

2859 Milliarden Euro Schulden

Das Budget erlaubt es dem Land, seine exorbitant hohe Schuldenquote in diesem Jahr auf 140,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes leicht zu senken. In der EU-Kommission in Brüssel und an den Finanzplätzen atmete man auf.

Doch dann liess die Regierung im Sommer die Maske fallen. Verantwortungsbewusstsein war gestern. Am Herzen liegt der Drei-Parteien-Koalition heute der Konsens der italienischen Wählerinnen und Wähler.

Prompt war es mit dem Feeling zwischen Meloni und den Geldgebern der dauergefährdeten Krisenrepublik vorbei. Kehrt ein Land, das unter dem Druck der Refinanzierung von 2859 Milliarden Euro Schulden ächzt, von seinen Versprechen ab, gehen weltweit die Alarmsirenen los.

Sogar die Griechen kommen inzwischen billiger an Geld.

Die Folge: Die Anleger verlangen höhere Zinsen für italienische Staatsanleihen. Am 4. Oktober sprang der Zinssatz für Staatspapiere mit zehnjähriger Laufzeit auf 5 Prozent, den höchsten Stand seit November 2012. Der sogenannte Spread – die Risikoprämie für römische Anleihen gegenüber den deutschen Bundesschatzbriefen – stieg auf 2,0 Prozentpunkte an.

Sogar die Griechen kommen inzwischen billiger an Geld. So spicken die Analysten der grossen Investmentbanken ihre Studien wieder mit Warnungen vor den Risiken für die Finanzstabilität in Italien. «Die Flitterwochen sind vorbei», sagte Lorenzo Codogno, ein ehemaliger Beamter des römischen Finanzministeriums, der in London heute eine Beratungsfirma leitet.

Die Handschrift der Populisten

Melonis Kurswechsel offenbart gerade seine ganze Brisanz. Am Montag verabschiedete das Kabinett den Etatentwurf für 2024. Ein Jahr nach dem Amtsantritt der Rechtskoalition steht die römische Haushaltspolitik nicht mehr unter dem Stern von Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank. Diesmal trägt der Budgetplan die Handschrift der Populisten. Man merkt es ihm stärker an als erwartet.

Finanzminister Giorgetti schlug vor zwei Wochen die Pflöcke des Staatsbudgets in der dreijährigen Finanzplanung ein. Jeder dieser Pfähle widerspricht seinem Mantra einer «vorsichtigen und verantwortungsvollen Finanzpolitik».

Giorgetti schraubt die Neuverschuldung nach oben, setzt auf der Habenseite höchst fragwürdige Einnahmeposten an und verabschiedet sich noch dazu vom Ziel des Schuldenabbaus. Das Vorhaben birgt hohe Risiken.

epa10377319 Minister of Economy, Giancarlo Giorgetti, during a confidence vote at the Lower House called by the Government to speed up the approval of 2023 Budget Law, Rome, Italy, 23 December 2022.  EPA/Riccardo Antimiani

Die Wandlung des wortkargen Lega-Politikers, der seit zwanzig Jahren im Maschinenraum des römischen Politikbetriebs mit Sachverstand und Diskretion die übergriffige Propaganda des Parteichefs Matteo Salvini zu neutralisieren versucht, entsetzt die Ökonomen.

«Wenn die Regierung das durchzieht, sind wir aufgeschmissen», sagt der Turiner Wirtschaftswissenschaftler Domenico Siniscalco. Vor einem Monat klagte Giorgetti noch: «Jeden Morgen wache ich mit einem Problem auf: Ich muss Schulden verkaufen und die Leute überzeugen, mir zu vertrauen.» Nun macht sich der Fischersohn aus dem norditalienischen Varese das Leben selbst noch schwerer. Ihm genügen 3,7 Prozent Haushaltsdefizit, die er im April vorgesehen hatte, nicht mehr. Der Minister genehmigt der Regierung nun 4,3 Prozent.

Sie will 15,7 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufnehmen, um 2024 eine Senkung der Einkommenssteuer für Geringverdienende zu finanzieren, die von der EU dringend empfohlen wird. «Eine strukturelle Massnahme auf Pump zu finanzieren, ist ein grober Fehler», sagt Lorenzo Bini Smaghi, früheres Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank und Präsident der französischen Bank Société Générale.

Die Regierung gibt das oberste Ziel der italienischen Finanzpolitik auf: Den Schuldenabbau

Je mehr das Vertrauen in die Regierung schwindet, desto teurer wird es für Italien, seine Schulden zu refinanzieren. Jeder Prozentpunkt Zinsanstieg kostet das Land 3 Milliarden Euro. 2011 trieb die gefährliche Spirale Italien unter Silvio Berlusconi an den Rand der Staatspleite.

Noch schwerer wiegt: Die Regierung gibt das oberste Ziel der italienischen Finanzpolitik, den Schuldenabbau, auf. Bis 2026 soll die Schuldenquote auf 139,6 Prozent verharren.

Unklar ist, woher die Regierung ihren Optimismus nimmt.

Dass Giorgetti selbst dieses ambitionslose Ziel erreicht, wird stark bezweifelt. «Es fusst auf zwei Hypothesen, deren Eintreten unwahrscheinlich ist», sagt der Ökonom Giampaolo Galli von der Università Cattolica in Mailand. Zum einen erwartet der Finanzminister im kommenden Jahr 1,2 Prozent Wachstum.

Unklar ist, woher die Regierung ihren Optimismus nimmt. Nach der jüngsten Prognose des Internationalen Währungsfonds wird die italienische Wirtschaftskraft im kommenden Jahr nur um 0,7 Prozent zulegen. Zudem will Giorgetti in den kommenden drei Jahren 20 Milliarden Euro aus Privatisierungen von Staatsunternehmen für den Schuldenabbau einsetzen.

Der nationalistischen Regierung einen entschlossenen Rückzug aus der Wirtschaft zuzutrauen, fällt schwer. Sie will mit 2,2 Milliarden Euro gerade in das private Telefonnetz einsteigen. Giampaolo Galli ist überzeugt: «Italiens Schulden werden in den kommenden Jahren steigen.»

«Dann schnallen wir besser die Sicherheitsgurte an.»

Giampaolo Galli, Ökonom an der Università Cattolica in Mailand

Der laxe Kurs ist für den Wirtschaftswissenschaftler Massimo Bordignon «besonders beunruhigend», weil die Bedingungen für den Schuldenabbau jetzt günstiger seien als nach 2026, wenn Giorgetti die Aufgabe angehen will. Noch profitiere Italien von einer hohen Inflation, die das Bruttoinlandprodukt aufbläht und die Schuldenquote automatisch drückt, sagt der Ökonom.

Hinzu kommt: Die durchschnittlichen Finanzierungskosten der Schulden sind dank der langen Laufzeit italienischer Staatsanleihen heute noch vergleichsweise niedrig.

Das macht die Märkte nervös. Die Investoren wollten wissen, wann Italien seinen gigantischen Schuldenberg abbaue, sagt Giampaolo Galli. Brandgefährlich werde es, wenn sie zu fürchten beginnen, dass die Antwort lautet: nie. «Dann schnallen wir besser die Sicherheitsgurte an», sagt Galli. Auch die römische Zentralbank mahnte vergangene Woche zu «äusserster Vorsicht».

Es droht eine Flucht aus italienischen Anlagen

Die wäre auch aus einem anderen Grund geboten. Weil die Europäische Zentralbank mit dem Abbau der Bestände aus ihren grossen Anleihe-Kaufprogrammen begonnen hat, landen demnächst massenweise italienische Staatstitel auf dem Markt.

«Für diese Anleihen muss man nun andere Käufer finden, die darauf vertrauen, dass die italienischen Staatsfinanzen in guten Händen sind», sagt Bini Smaghi. Er fürchtet dagegen, dass Melonis Haushaltspläne das Land einer Gefahr aussetzen. Der geringste Ausbruch von Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten würde eine Flucht aus den italienischen Anlagen zur Folge haben. «Wir sind dann die Ersten in der Reihe», sagt er.

Finanzminister Giorgetti aber gibt sich zuversichtlich, dass er die EU-Kommission in Brüssel von seinem Haushaltsplan überzeugen kann. In Rom spekuliert man darauf, dass die europäischen Partner in den Verhandlungen aus politischen Gründen ein Auge zudrücken werden.

Doch ihre Toleranz könnte auf Grenzen stossen. Schliesslich sehen die Regierungen überall den Europawahlen im Juni mit Nervosität entgegen. Und in manchen Ländern sind die italienischen Verstösse gegen die Haushaltsdisziplin ein besonderes Ärgernis.