Wirtschaft in EuropaDie Musterschüler im Norden stecken in der Krise, der Süden boomt
Während Deutschland und Österreich in der Rezession stecken, werden Mittelmeerländer zu Wachstumsmotoren der Eurozone. Die Gründe und Grafiken.
- Österreich erlebt seine längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.
- Der Internationale Währungsfonds senkt Wirtschaftsprognose für Deutschland.
- PIIGS-Staaten erleben Wachstum, der Norden stagniert.
- Spanien wird zur Wachstumslokomotive in der Eurozone.
Spanien boomt dank Touristen, Österreich hingegen steckt in der längsten Rezession der Nachkriegszeit. Die Wahlsieger FPÖ und ÖVP verhandeln über einen Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien wollen das Staatsbudget um 6,4 Milliarden Euro entlasten. Das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung laufen aus dem Ruder. Es droht ein Defizitverfahren der EU-Kommission. Die Zeit drängt: Am Dienstag treffen sich die EU-Finanzminister, um darüber zu beraten.
Auch Deutschlands Wirtschaft ist im vergangenen Jahr erneut in die Rezession gerutscht, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Zwei Rezessionsjahre in Folge gab es zuletzt 2002/03. Deutschland durchlaufe «die mit Abstand längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte» und falle auch im internationalen Vergleich «deutlich ab», warnte das Ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München. Am 23. Februar wird ein neues Parlament gewählt.
Ähnlich in Frankreich. Dort verspricht die Regierung «historische» Ausgabenkürzungen, um das ausufernde Staatsdefizit in den Griff zu bekommen. Mit über 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt es mehr als doppelt so hoch wie gemäss Maastricht-Kriterien erlaubt. Es läuft bereits ein Defizitverfahren der EU. Das zerstrittene Parlament hat aber noch immer kein Budget für 2025 verabschiedet. Die Regierung kann nur dank eines Sondergesetzes provisorisch Steuern erheben, Kredite aufnehmen und Ausgaben tätigen.
Das Blatt hat sich seit der Pandemie komplett gewendet. In der Eurokrise vor 15 Jahren waren sie die zuverlässigen Stabilitätsanker, jetzt stecken die Musterschüler in Europas Norden selber in der Krise.
Damals standen die «Schuldensünder», zusammengefasst unter dem schmählichen Kürzel PIIGS, kurz vor der Staatspleite. Jetzt sind Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien plötzlich die Wachstumsmotoren der Eurozone.
Griechenland top, Deutschland flop
Die «Pleite-Griechen» («Bild»-Zeitung) haben ihre Verschuldung gemessen am Bruttoinlandprodukt seit 2019 um 17 Prozent gesenkt. Deutschland hingegen hat sie um 12 Prozent erhöht.
Gemäss Schätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird die Schuldenquote Irlands im laufenden Jahr um 36 Prozent geringer sein als vor der Pandemie im Jahr 2019, jene Portugals um 21 Prozent. Italiens Schuldenquote bleibt praktisch unverändert, und auch Spanien schneidet besser ab als der Durchschnitt der Eurozone.
Deutschland, Österreich und Frankreich haben ihre Staatsschuldenquote dagegen zweistellig über das Niveau von 2019 angehoben.
Frankreich hat bereits Spanien und Portugal überholt und nähert sich jetzt dem Schuldenniveau von Italien und Griechenland an. Das beunruhigt die Investoren, die für das steigende Risiko mehr Zins verlangen. Aktuell liegt die Rendite für griechische Staatsanleihen tiefer als für französische. Das heisst, die Anleger halten es für sicherer, Griechenland Kredit zu gewähren als Frankreich. Die höheren Zinsen erschweren es der französischen Regierung zusätzlich, das Staatsdefizit in den Griff zu bekommen.
Die Entwicklung an der Schuldenfront hat viel mit dem Wirtschaftswachstum seit der Pandemie zu tun. Auch hier haben Musterschüler und Problemländer die Plätze getauscht. Die PIIGS wachsen seit 2020 im Schnitt um 3,7 bis 4,7 Prozent pro Jahr – viel schneller als Deutschland, Österreich und Frankreich.
Zwar haben vor allem die Tourismusländer Spanien, Griechenland, Italien und Portugal in der Pandemie schwere Einbussen hinnehmen müssen. Seither entwickeln sich Europas Süden und Irland aber deutlich besser als der Norden. Spanien ist derzeit gar die Wachstumslokomotive der Eurozone.
Die Volkswirtschaften der PIIGS profitieren vom Aufschwung des Tourismus nach der Pandemie. Die aufgestaute Nachfrage und höhere Ersparnisse befeuerten die Reiselust und führten zu Rekordzahlen an Touristinnen und Touristen.
Ausserdem fliesst der Grossteil der rund 800 Milliarden Euro Hilfsgelder aus dem während der Pandemie gestarteten Wiederaufbauplan der EU in den Süden.
Österreich und Deutschland sind dagegen viel stärker von der Industrie abhängig, die seit der Pandemie besonders unter schwacher Nachfrage aus China und hohen Energiepreisen leidet.
Österreich muss Mozartkugeln aus Tschechien importieren
In Österreich kumulieren sich die negativen Tendenzen. Die Rezession in Deutschland verschärft die Krise, weil 28 Prozent der österreichischen Exporte zum nördlichen Nachbarn gehen. Die wichtigsten Exportsektoren sind Maschinen, Fahrzeuge, Elektronik und deren Zulieferer, die alle seit längerem unter Nachfrageflaute leiden.
In Österreich werden die meisten Löhne automatisch an die Inflation angepasst. Die Reallöhne haben deshalb im letzten Jahr um rund 5 Prozent zugenommen. Auf der anderen Seite verliert die Industrie an Wettbewerbsfähigkeit, weil die Lohnstückkosten stark gestiegen sind.
Das hat Folgen für die Firmen. Ende letzten Jahres musste der renommierte Motorradhersteller KTM Insolvenz anmelden. Gemäss «Kronen Zeitung» hat der amerikanische Lebensmittelhersteller die Produktion der «echten Salzburger Mozartkugeln» in Österreich eingestellt – sie kommen künftig aus Tschechien.
Gemäss den neusten Prognosen geht es auf absehbare Zeit in der gleichen Richtung weiter. Die Schwäche der Industrie und hohe Energiepreise werden Deutschland und Österreich auch 2025 und 2026 bremsen, sie bleiben weit hinter den Südländern, insbesondere Spanien, zurück.
«Südeuropa bildet ein Gegengewicht zum lethargischen Norden», stellt Harald Preissler fest, Kapitalmarktstratege beim Zürcher Asset-Manager Bantleon. Der Wachstumsvorsprung der USA werde sich weiter vergrössern, erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem am Freitag veröffentlichten Weltwirtschaftsausblick.
Die Gaspreise in Europa seien mittlerweile etwa fünfmal so hoch wie in den USA. Dazu kommt die erhöhte wirtschaftspolitische Unsicherheit wegen der Wahlen in Deutschland, der Schwierigkeiten der Regierungsbildung in Frankreich und Österreich sowie der Unberechenbarkeit des neuen US-Präsidenten Donald Trump.
Die angedrohten Zölle würden den industrielastigen Norden wesentlich härter treffen als Spanien, Griechenland oder Portugal. Für Deutschland senkt der IWF seine Wachstumsprognose gar von 0,8 auf neu nur noch 0,3 Prozent.
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