Showdown am heutigen EU-Gipfel Mauert Orban, oder kann Brüssel seinen «Hooligan» zähmen?
Ungarn strapaziert die Nerven seiner europäischen Partner bei Fragen zur Ukraine. Bereits hat Brüssel versucht, Viktor Orban mit mit 10 Milliarden zu besänftigen. Die wichtigsten Antworten vor dem wegweisenden Gipfel.
Der ungarische Regierungschef scheint es diesmal ernst zu meinen mit seinem Veto. In der Vergangenheit hat Viktor Orban immer mal hoch gepokert und am Ende meist nachgegeben, manchmal gegen kleine Konzessionen. Diesmal will Ungarns Regierungschef den Start der Beitrittsgespräche mit der Ukraine und neue Milliardenhilfen für Kiew scheinbar um jeden Preis blockieren.
Für die Ukraine geht es am Gipfel in Brüssel vor einem schwierigen Winter um viel, während für die EU die Glaubwürdigkeit und das Image als geopolitischer Akteur auf dem Spiel stehen. Diplomaten schimpfen vor dem EU-Gipfel diesen Donnerstag und Freitag über den «ungarischen Hooligan». Die Nerven liegen blank. Was sind die Motive von Ungarns Regierungschef, und welche Optionen haben die EU-Staaten?
Was treibt Viktor Orban an?
Um Viktor Orban zu verstehen, muss man über sein Trauma reden. 2002 verlor er nach nur einer Amtszeit die Macht als Regierungschef an die postkommunistischen Sozialisten. Er hat sich damals geschworen, dass ihm das nicht noch einmal passieren wird. Nach dem Comeback 2010 hat er systematisch die wichtigsten Medien und Schritt für Schritt die Justiz unter seine Kontrolle gebracht. Wäre da nicht Brüssel, müsste Viktor Orban nichts mehr fürchten.
Die EU hat unter dem Druck der Nettozahler und des EU-Parlaments 20 Milliarden Euro an Kohäsionsgeldern und 10 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds blockiert. Schliesslich geht es um Geld der europäischen Steuerzahler, die einen Grossteil der öffentlichen Investitionen in Ungarn finanzieren. Da es im Reich des Viktor Orban keine unabhängigen Gerichte mehr gibt, können diese auch nicht mehr gegen Korruption und Vetternwirtschaft vorgehen.
Nach einigen vorwiegend kosmetischen Zugeständnissen Ungarns hat die EU rechtzeitig zum EU-Gipfel entschieden, die Hälfte der Kohäsionsgelder freizugeben. Es schaut im Moment nicht so aus, also ob Orban dafür seine Blockade am Gipfel aufgeben würde. Ungarns Regierungschef ist sich sicher, dass die Zeit auf seiner Seite ist.
Was ist die Agenda von Ungarns Regierungschef?
Viktor Orban sieht sich als Vorkämpfer der illiberalen Demokratie, ohne lästige Gewaltenteilung und möglichst ohne unabhängige Medien. Sein Ziel ist ein Europa der christlichen Vaterländer, das er mit dem niederländischen Wahlsieger Geert Wilders oder mit Marine Le Pen als künftiger französischer Präsidentin verwirklichen will. Auch Russlands Präsident ist ein gemeinsamer Gesinnungsgenosse und Fixpunkt. Viktor Orban wird gerne als trojanisches Pferd von Wladimir Putin beschrieben, doch der ungarische Regierungschef ist ein Überzeugungstäter.
Was die autoritäre Internationale verbindet und elektrisiert, ist die Hoffnung auf das Comeback von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024. Aber was hat Viktor Orban gegen die Ukraine und deren Verteidigungskampf? Die Ukraine mit ihrer aktiven Zivilgesellschaft und ihrem Präsidenten Wolodimir Selenski steht genau für das prowestliche Gegenmodell und wird als Herausforderung für eigene Machtansprüche gesehen.
Weshalb kann die EU Ungarn nicht ausschliessen?
Ein Austritt ist möglich, wie das Beispiel der Briten gezeigt hat. Aber dass Viktor Orban sein Land freiwillig aus der EU führt, ist nicht absehbar. Zumindest, solange Ungarn Nettoempfänger von EU-Geldern ist. Und ein Rauswurf ist in den «Statuten» nicht vorgesehen. Die EU kann einzig sogenannte Vertragsverletzungsverfahren einleiten, Strafzahlungen verhängen oder Gelder zurückhalten, wenn Mitgliedsstaaten sich nicht ans EU-Recht halten.
Die zweite Option und das schärfste Instrument ist das Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge, das in letzter Instanz zum Entzug der Stimmrechte führen kann. Die Hürde für diese «Nuklearoption» ist allerdings hoch, weil alle anderen Mitgliedsstaaten zustimmen müssen. Bis zum Regierungswechsel in Warschau konnte Orban auf die Solidarität Polens setzen.
Polen macht Hoffnung
Nun hat in Warschau der Proeuropäer und frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk die rechtsnationale PIS-Regierung abgelöst. Kann ein illiberales System rückgängig gemacht und die Gewaltenteilung wieder hergestellt werden? Tusk muss mit viel Widerstand der alten Kräfte rechnen, die in Verwaltung, bei den Gerichten und in den öffentlichen Medien an Schlüsselpositionen sitzen. Es ist ein politisches Experiment mit offenem Ausgang.
Unabhängig davon fällt Polen als Bündnispartner für Ungarn ab sofort dennoch aus. Möglich, dass Orban künftig auf den linksnationalistischen Regierungschef Robert Fico setzen kann, der in der Slowakei eine ähnliche illiberale Agenda verfolgt.
Machen Investoren endlich Druck?
Ungarn gilt als verlängerte Werkbank insbesondere der deutschen Industrie. Nicht nur die Autokonzerne sind traditionell stark vertreten. Lange haben europäische Wirtschaftsvertreter zugeschaut, wie Viktor Orban den Rechtsstaat ausgehöhlt hat. Schliesslich hat der Rechtsnationalist für ein stabiles Umfeld gesorgt und die Unternehmen in Ruhe gelassen. Doch das ändert sich langsam, auch weil die EU-Gelder ausbleiben, die Schulden wachsen und Viktor Orban seine Freunde und seine Familie weiter mit Pfründen versorgen muss.
Der Anteil ausländischer Unternehmer müsse reduziert werden, die Firmen in ungarische Hände gelangen, schimpft Orban und fordert «nationale Champions». Ausländische Firmen bekommen «freundliche Übernahmeangebote» und müssen mit Sondersteuern rechnen, wenn sie nicht einlenken. Nun rächt sich, dass die ausländischen Investoren Orbans Treiben so lange zugeschaut haben.
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