Analyse zu PolenEin Land kehrt zurück
Der Regierungswechsel beschert Europa ein Erfolgserlebnis. Er zeigt, dass ein Wahltag ausreicht, um acht Jahre Zerstörungswerk zu beenden.
Nach acht Jahren und 25 Tagen wird an diesem Dienstag die Herrschaft der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PIS) in Polen zu Ende gegangen sein. Das Futur zwei ist für diesen Vorgang eine angemessene Zeitform, weil es zum Wesen der PIS gehört, dass ihr demokratisches Gebaren unberechenbar bleibt und möglicherweise kein Mittel billig genug sein wird, um den rechtskonformen Machtwechsel doch noch zu torpedieren.
Es gehört zum Charakter autokratischer und populistischer Bewegungen, dass sie sich über das Recht stellen und die regelgebundene Ordnung zu ihrem Vorteil auslegen und verändern. Für die PIS war die Rechtsbeugung das wichtigste Instrument zum Machterhalt, ihr Parteiname stand stets im Widerspruch zur Methode. Polen kam in den acht Jahren dieser Herrschaft so nahe an die Autokratie wie seit dem Fall des pseudosozialistischen Regimes der Arbeiterpartei 1989 nicht mehr.
Die wichtigste Zäsur seit 1989
Wie bei allen Ländern, die das Joch der Sowjetherrschaft abgestreift und ihre eigene Staatlichkeit erkämpft hatten, war die polnische Demokratie nach dem Ende der DDR 1989 labil. Die alten Kader suchten sich neue Spielflächen, was gerade in Polen zur Radikalisierung der politischen Landschaft beitrug. Auf diesem national und klerikal getränkten Nährboden konnte die PIS wachsen. Dass sie dem Land die Demokratie entzog wie den Sauerstoff, war Teil des Machterhaltungskalküls ihres Übervaters Jarosław Kaczyński. Nach dem tragischen Tod seines Bruders nahm sein Verhalten paranoide Züge an.
Der Wechsel zurück zu Donald Tusk ist für Polen und in gewisser Hinsicht auch für Europa die wichtigste politische Zäsur seit 1989, seit Gründung der dritten Republik. Die Demokratie hat den Angriff überstanden, sie hat die PIS mit den verbliebenen rechtsstaatlichen Regeln entmachtet, sie hat deren Angriffe auf die Justiz und durch weitreichende Kontrolle der Medien vor allem über die Köpfe der Menschen abgewehrt.
Die Polen wollen den nationalpopulistischen Spuk hinter sich lassen und damit ein Signal setzen.
In Zeiten des Demokratieabbaus entfaltet ein Wahlergebnis wie in Polen eine tröstliche Wirkung. Es zeigt, dass all die schmerzhaften Verletzungen am staatlichen System geheilt werden können, dass ein Wahltag ausreicht, um acht Jahre Zerstörungswerk zu beenden. Natürlich ist mit diesem Machtwechsel noch lange kein gesellschaftlicher Frieden wiederhergestellt, im Gegenteil. Die neue Koalition wird von Präsident Andrzej Duda über dessen Veto-Bremse ihre Grenzen aufgezeigt bekommen. Der PIS-Mann Duda wird die Rückführung des Justizsystems in die Rechtsstaatlichkeit behindern. Nicht zuletzt hat die PIS in den vergangenen Wochen mit ihrem letzten Aufgebot den Staat geplündert und möglicherweise Pfade zur leichteren Rückkehr an die Macht gezogen.
All dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Polen per eindeutiger Mehrheit den nationalpopulistischen Spuk hinter sich lassen wollen und damit ein Signal für alle möglichen Nachahmer in Europa setzen. Die EU hat den PIS-Ansturm klug abgewettert und diesen Populisten nicht die Tür gewiesen. Nun setzt sich das Schauspiel in anderen Staaten fort, in der Slowakei, in den Niederlanden. Auch dort sollte man die Durchhaltefähigkeit der europäischen Institutionen gegen ihre Zerstörer nicht unterschätzen. Selbst die Zeit eines Viktor Orbán endet einmal. Gestorben ist jetzt erst einmal dessen Vorstellung von einer paneuropäischen Allianz der «illiberalen Demokratien», wie er sein Geschöpf nennt.
Polen wird zum Vorbild
Im Konzert der Staaten Europas wird Polen eine führende Stimme übernehmen können – als Vorbild für eine überstandene Populisteninfektion, als Beispiel für andere Zivilgesellschaften, die am Ende den Glauben an den Rechtsstaat am Leben erhalten. Aber auch im zwischenstaatlichen Spiel der EU-Mitglieder wird die polnische Stimme eine neue Kraft entfalten. Die EU ist nach dem Austritt der Briten allemal nach Osten gerückt, jetzt erhält die Geografie einen Ort der Vernunft. Mit Frankreich und Deutschland bildet sich wieder jenes europäische Kraftdreieck, das 1991 nach seinem Gründungsort Weimar benannt wurde und heute einen frischen Atem gut vertrüge.
Die Europäer dürfen dankbar sein für die politische Zäsur bei ihrem Mitglied im Osten. Polen hat die moderaten Jahre der Nachwendezeit nicht ausreichend nutzen können. Dafür ist nun die Zeit gekommen. Sie sollte zügig genutzt werden – denn die Erfahrung des Rückbaus der Demokratie in Polen zeigt, wie wichtig ein sattes zivilgesellschaftliches Polster sein kann, wenn die Reserven erst einmal schwinden.
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