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Analyse zu Kiews Beitrittsgesuch
Die Ukraine will in die EU – doch ist sie dazu auch bereit?

In this handout photograph taken and released by Ukrainian Presidential Press Service on November 4, 2023, Ukraine's President Volodymyr Zelensky (R) greets European Commission President Ursula von der Leyen (L) in Kyiv. European Commission President arrived in Kyiv to discuss Ukraine's accession to the EU with Ukrainian President. Kyiv applied for EU membership just days after Russia's invasion on February 24, 2022, and received candidacy status several months later in a strong signal of support from Brussels. (Photo by Handout / UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO /  Ukrainian Presidential Press Service" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
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Seit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Wochenende bei Präsident Wolodimir Selenski den «exzellenten Fortschritt» Kiews pries und im Parlament gar lobte, die Ukraine habe bereits «deutlich über 90 Prozent» verlangter Reformen umgesetzt, stand fest, dass die EU-Kommission empfehlen würde, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine offiziell zu eröffnen. Die Zustimmung der Staats- und Regierungschefs der EU Mitte Dezember dürfte eine zumindest mit den meisten Hauptstädten abgesprochene Formsache sein. Doch wird der Ukraine mit dem positiven Zwischenzeugnis aus Brüssel ein Gefallen getan? Die Antwort darauf fällt zwiespältig aus.

Einerseits sind Beitrittsverhandlungen ein Zeichen der Solidarität mit einem Land, das für seine Freiheit und auch für das Recht kämpft, Teil Europas zu werden, anstatt in ein Neo-Imperium des unter Wladimir Putin zur Diktatur abgesunkenen Russland zurückzukehren. Tatsächlich sagen auch ukrainische Soldaten an der Front oft, dass sie in ihrer Sicht auch für Europa kämpfen.

Europa hat sich gegenüber der Ukraine früher schuldig gemacht: sowohl als es Kiew mit Washington 1994 überredete, seine Atomwaffen ohne Sicherheitsgarantien aufzugeben, wie auch bei der historischen Fehlentscheidung, die Ukraine angesichts eines damals schwachen Russland nicht schon 1999 zusammen mit Polen oder ein paar Jahre später in die Nato aufzunehmen. Der nächste grosse Fehler folgte 2014, als der Besetzung der Krim und Putins Krieg in der Ostukraine keine einschneidenden Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen an Kiew folgten.

Hat Kiew ausreichend reformiert, um Beitrittsgespräche zu verdienen? Nein.

Auch jetzt wäre der Ukraine mehr als mit EU-Beitrittsgesprächen mit der überfälligen Lieferung von Jagdflugzeugen oder Taurus-Marschflugkörpern geholfen – und mit dem Eingeständnis an die Bürger der EU, dass dieser Krieg noch Jahre dauern dürfte und Friedensverhandlungen mit einem gerade wieder seine Ansprüche auf die Ukraine wiederholenden Putin pure Illusion sind. Gleichwohl gibt die EU jetzt immerhin ein politisches Beistandszeichen.

Doch hat Kiew tatsächlich ausreichend reformiert, um die Eröffnung von Beitrittsgesprächen zu verdienen? Die Antwort ist: Nein. Wie schon bei vergangenen, verfrühten Aufnahmen etwa Bulgariens oder Rumäniens achtet die EU-Kommission zu sehr auf beschlossene Gesetze als angebliche Reformerfolge – statt auf reale Änderungen.

Auch in der Ukraine werden zwar Gesetze beschlossen, gar neue Institutionen wie Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaften oder Sondergerichte geschaffen, doch am den gesamten Staat auf allen Ebenen durchdringenden Grundübel der Korruption ändert sich substanziell nichts.

Viele Ukrainer werden die Eröffnung von Beitrittsgesprächen feiern – und später enttäuscht werden.

Wie unter seinem Vorgänger Petro Poroschenko ist auch in über vier Jahren Präsidentschaft Selenski kein einziger wirklich hochrangiger korrupter Staatsdiener oder Oligarch rechtskräftig im Gefängnis gelandet; haben Mitglieder seines Clans freie Hand. Stellvertretend sei Selenskis offiziell der Bestechung beschuldigter Vizeverwaltungschef Oleg Tatarow genannt, den der Präsident vor der Justiz schützt.

Ukrainische Bürgerrechtler und Reformer werben für die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen zur EU mit dem Argument, so könnten sie die Regierung dann besser auf tatsächlichen Fortschritt etwa bei Justizreform oder Korruptionsbekämpfung kontrollieren. Freilich wurden derlei Hoffnungen bisher oft enttäuscht.

Eines der wichtigsten – von der EU bezeichnenderweise unter den Tisch gekehrten – Ereignisse war Ende Juni ein beispielloser Protest 42 führender ukrainischer Geschäftsleute, die darauf hinwiesen, dass Korruption der Staatsorgane ihr Arbeiten so erschwert, dass viele lieber ins Ausland gehen. Anfang November sahen auch knapp 70 Prozent der Ukrainer Korruption als schlimmstes Übel der Kriegszeit.

Gleichwohl verbreiten die EU und auch Politiker in Kiew unerschütterlich Optimismus, sprach etwa Ministerpräsident Dennis Schmihal schon im Januar 2023 von nur zwei Jahren, nach denen die Ukraine Mitglied der EU sein wolle – ein aus der Luft gegriffener Optimismus. Viele Ukrainer werden die Eröffnung von Beitrittsgesprächen als Erfolg feiern – und viele Ukrainer werden später unweigerlich enttäuscht werden, wenn die erhoffte schnelle Aufnahme in die EU zu Recht ausbleibt.