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EU-Erweiterung
Die Einladung an die Ukraine kommt

Ursula von der Leyen zu Besuch bei Präsident Wolodimir Selenski kurz vor dem Entscheid über den Beitrittsstatus für das Land. 
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Nach dem Überraschungsbesuch von Ursula von der Leyen in Kiew am Wochenende bestehen kaum mehr Zweifel: Die EU-Kommissions-Chefin wird diesen Freitag empfehlen, der Ukraine den Status als Beitrittskandidat zu geben. Moldau hat ebenfalls gute Chancen auf den Status, allerdings geknüpft an einige Bedingungen. Die proeuropäische Regierung in Chisinau ist massiv unter Druck aus Moskau. Für Georgien sind die Aussichten weniger gut, das Land hat zuletzt punkto Rechtsstaatlichkeit deutliche Rückschritte gemacht und sich wieder stärker Russland zugewandt. Georgien dürfte den begehrten Status als Beitrittskandidat nur unter Vorbehalt vorheriger Reformen und mit einer langen Liste von Bedingungen bekommen. 

Was für eine Beitrittsperspektive spricht

Schon 2014 demonstrierten Ukrainerinnen und Ukrainer auf dem Maidan in Kiew für die Annäherung an die EU und gegen Einflussnahme aus Moskau. 

Welches Land, wenn nicht die Ukraine, verdient es, in die EU aufgenommen zu werden? Die Ukraine kämpft für Demokratie und Freiheit. Die Ukrainer verteidigen im Krieg gegen den russischen Aggressor europäische Werte und sind sogar bereit, dafür zu sterben. Schon 2014 demonstrierten die Ukrainerinnen und Ukrainer in Kiew auf dem Maidan unter den europablauen Flaggen mit den goldenen Sternen für eine Assoziierung mit der EU. Das Land ist proeuropäischer als einige Mitglieder im Club. «Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren, wenn wir zurückblicken, sagen können, dass wir das Richtige getan haben», sagte Ursula von der Leyen am Wochenende bei ihrem Besuch in Kiew. Die Ukraine sei Teil der europäischen Familie. Es geht um eine historische Weichenstellung. Die Kommissionschefin macht kein Geheimnis daraus, dass sie am Freitag den Beitrittsstatus für die Ukraine empfehlen wird. 

Was dagegen spricht

Beitrittsverhandlungen mit einem Land im Krieg? Priorität dürfte nach einem Kriegsende der Wiederaufbau haben.  

Beitrittsstatus klingt gut, doch bis zu einem Beitritt ist es ein weiter und unsicherer Weg. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zum Beispiel wurden 2005 aufgenommen, kamen lange nicht voran und sind derzeit überhaupt eingefroren. Die EU hat zudem noch nie mit einem Land im Kriegszustand Beitrittsverhandlungen begonnen. Beitrittsverhandlungen würden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Priorität dürfte nach einem Kriegsende der Wiederaufbau haben. Abgesehen von der Symbolik, nützt der Beitrittsstatus der Ukraine kurz- und mittelfristig nichts. Im Gegenteil, Wladimir Putin könnte sich erneut provoziert fühlen, argumentieren Kritiker. Das Land hatte zudem schon vor dem Krieg grossen Nachholbedarf mit Blick auf Korruptionsbekämpfung und Reform der Justiz. Für den EU-Haushalt würde das grosse Agrarland sehr kostspielig. 

Was ist mit den Balkanstaaten?

Olaf Scholz zu Besuch bei Serbiens Präsident Aleksandar Vucic. Der deutsche Kanzler unterstreicht beim Zwischenstopp in Belgrad die «strategische Bedeutung» des Balkans für Deutschland.  

Auf dem Balkan und in einigen Hauptstädten der EU gibt es Kritik an einer Vorzugsbehandlung der Ukraine. Schliesslich wurde Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo bereits 2003 ein Beitritt in Aussicht gestellt. Die Beitrittsverhandlungen mit Serbien und Montenegro kommen nur schleppend voran, wobei die Gründe zu einem guten Teil auch in Belgrad beziehungsweise in Podgorica liegen. Eine Rolle spielt aber auch die «Erweiterungsmüdigkeit» in einigen EU-Staaten. Nordmazedonien und Albanien haben zwar den Status als Beitrittsländer, warten aber seit Jahren auf den Start der Verhandlungen. «Es ist Zeit, dass wir dem Versprechen einer europäischen Perspektive auch Taten folgen lassen», sagte der deutsche Kanzler Olaf Scholz vergangene Woche bei einer Balkantour. Die Region habe für Deutschland «strategische Bedeutung». 

Neuer Club oder nur Wartesaal?

Will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Ukraine mit den Balkanstaaten in den Wartesaal abschieben? 

Emmanuel Macron hat neue Bewegung in die Diskussion gebracht. Frankreichs Präsident schlägt eine Art Europäische Konföderation vor: «Es ist eine Möglichkeit, Länder zu verankern, die geografisch in Europa liegen und unsere Werte teilen», so Macron. Die neue Gemeinschaft stünde nicht nur der Ukraine, sondern auch den Balkanstaaten, den Briten oder der Schweiz offen. Macron gilt als Erweiterungsskeptiker, und deshalb wird der Vorschlag in Kiew oder in Südosteuropa als Versuch gesehen, die Aufnahme neuer Mitglieder auf die lange Bank zu schieben. Andere sehen das neue Format als schnell möglichen Zwischenschritt bis zu einem Vollbeitritt. EU-Rats-Präsident Charles Michel hat die Idee weiterentwickelt und spricht von einer Geopolitischen Europäischen Gemeinschaft, ein Forum für bis zu 40 europäische Staaten, um über gemeinsame Fragen wie Sicherheit, Verkehr oder Gesundheit zu diskutieren. 

Chance für das Friedensprojekt EU

Proukrainische Kundgebung vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel.

Die Europäische Union wurde als Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen. Jetzt hat sie die Chance, an ihre Geschichte anzuknüpfen und als ernsthafter geopolitischer Akteur wahrgenommen zu werden. Die Einladung an die Ukraine wäre die richtige Antwort auf Russlands Expansionsstreben. Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen schon am Gipfel in einer Woche über den Vorschlag der EU-Kommission entscheiden. Sie stehen vor einem grossen Dilemma. Schweden, Dänen, Niederländer oder Portugiesen gelten neben Macron als Skeptiker. Die baltischen Staaten, Polen oder Italien unterstützen offensiv den Wunsch der Ukraine. Für einen Entscheid braucht es am Gipfel Einstimmigkeit. Die EU hat allerdings kaum eine andere Wahl, als der Ukraine den Status zu gewähren. Alles andere würde in der Ukraine eine massive Enttäuschung auslösen und Wladimir Putin in die Hände spielen. Ein Vakuum kann sich die EU in der östlichen Nachbarschaft ebenso wenig leisten wie auf dem Balkan. Der Status ist dabei wichtig, noch wichtiger aber wären Panzer: Die EU ist nach einem positiven Entscheid noch mehr in der Pflicht, der Ukraine mit schwerem Kriegsgerät zu helfen, ihr Territorium zu verteidigen und Putins Truppen zurückzudrängen.