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Ausnahmezustand in Ungarn
Orban regiert am liebsten mit Notrecht

Erst Corona, nun Krieg: Viktor Orban hangelt sich von Notstand zu Notstand.
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Es war die zehnte Änderung des ungarischen Grundgesetzes, die unter Viktor Orban vollzogen wurde. Er hatte sie, samt einem Paket von Sondersteuern, schon vor Wochen vage angekündigt. Nun, nachdem er für seine fünfte Amtszeit vereidigt und sein Kabinett eingeschworen worden war, war es so weit.

Ohne grössere Debatte nahm die Zweidrittelmehrheit der Fidesz-Abgeordneten eine Vorlage an, die eine neue, um kriegerische Konflikte erweiterte Grundlage für den Ausnahmezustand enthält. Wenige Stunden später verkündete der Ministerpräsident, dass diese in der Nacht zum Mittwoch in Kraft treten werde.

Seine offizielle Begründung lieferte der Ministerpräsident zuerst per Facebook: Es gelte, keine Zeit zu verlieren, denn in der Ukraine tobe ein Krieg, dessen «Ende niemand absehen» könne. Dieser gefährde, ebenso wie im Übrigen die in Brüssel beschlossenen Sanktionen, die physische Sicherheit, die Energieversorgung sowie die finanzielle Sicherheit der ungarischen Wirtschaft und ungarischer Familien.

Ungarn braucht Geld

Die Regierung brauche «Handlungsspielraum». Am Mittwoch verkündete Orban dann, wie der Notstand genutzt werden soll: unter anderem mit der Einführung von Sondersteuern auf die Gewinne von Grossunternehmen wie Banken, Handelsketten, Energieunternehmen, Telecomfirmen und Fluggesellschaften. Deren Gewinne aus den Jahren 2022 und 2023 sollen in zwei neu zu schaffende Fonds fliessen, die zur Finanzierung der Landesverteidigung und zur Deckelung der Verbraucherpreise dienen sollen.

Ungarn braucht Geld. Denn das grösste Problem der Regierung liegt derzeit nicht im Ukraine-Krieg, sondern in wachsenden Löchern im Staatshaushalt. Diese resultieren aus teuren Wahlkampfgeschenken im Frühjahr, mehr noch aber aus dem Streit mit Brüssel um Milliarden Euro aus der Regionalförderung und dem Corona-Topf. Diese werden von der EU mit Verweis auf das laufende Rechtsstaatsverfahren zurückgehalten. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Wie Orban von Putins Angriffskrieg profitiert».)

Die Botschaft der Regierung Ungarns war daher klar: Solange ihr die Gelder nicht freigebt, erhöhen wir die Steuern für europäische und internationale Firmen, die wiederum Druck auf Brüssel ausüben dürften.

Die Eile, mit der die jüngste Verfassungsänderung durchgesetzt wurde, ist Teil der Logik des Konzepts der illiberalen Demokratie.

In der Frage der Solidarität mit der Ukraine, die in der EU seit Kriegsbeginn ungewöhnlich einig und einheitlich beantwortet wurde, stellt sich Orban quer: Es blockiert zum grossen Ärger der anderen EU-Staaten derzeit den Beschluss eines EU-weiten Ölembargos gegen Russland. Die Verhandlungen laufen – Notstand und Sondersteuern kommen einer weiteren Provokation gleich. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Viktor Orban blockiert Ölembargo».)

Die Eile, mit der die jüngste Verfassungsänderung durch- und umgesetzt wurde, ist Teil der Logik des ungarischen Konzepts der illiberalen Demokratie: Orban ist zwar seit dem Sieg bei der Parlamentswahl so stark, dass er durchregieren könnte. Allerdings managt Orban das Land ohnehin schon seit zwei Jahren de facto im Ausnahmezustand. Dieser war im Frühjahr 2020 verhängt, mit «Sicherheitsinteressen des Staates» in der Pandemie begründet und mehrmals verlängert worden.

Der Pandemie-Ausnahmezustand aber wäre in wenigen Tagen ausgelaufen. Mit dem Krieg im Nachbarland Ukraine fand sich ein neuer Grund. Nunmehr darf die Regierung «im Falles eines Kriegs oder einer humanitären Katastrophe in einem Nachbarland oder im Falle einer Katastrophe im eigenen Land» bestehende Regelungen aussetzen oder per Dekret Verordnungen erlassen.

Notstand als Normalzustand

Der Notstand ist in Ungarn fast schon zum Normalzustand geworden. Der frühere Chef der grünen Partei LMP, Andras Schiffer, kritisierte im TV-Sender ATV, Orban habe die «Legislative zum Teil eines politischen Schauspiels» degradiert. Er frage sich, so Schiffer, warum nicht auch jene ungarischen Unternehmen besteuert würden, die von den Staatsaufträgen der Fidesz-Regierung profitiert hätten.

Der Verfassungsjurist Daniel Karsai kritisierte, man hätte die Sondersteuern auch über eine ganz normale Gesetzesänderung einführen können, dafür hätte es keinen Notstand gebraucht.

Vor zwei Jahren, als Fidesz zu Beginn der Pandemie den Notstand erliess, hatte es noch massive Kritik wegen einer fehlenden zeitlichen Befristung gehagelt. Orban forderte später eine Entschuldigung «von allen», die ihn und seine Regierung «für das sogenannte Ermächtigungsgesetz kritisiert» hätten. Einen ersten, mehrmals verlängerten Notstand hatte die Orban-Regierung aber bereits von 2016 bis 2018 erlassen. Offizieller Grund war damals die Flüchtlingskrise.