Pestizide im ZuckerrübenanbauEU-Behörde hält «Bienen-Killer» für alternativlos
Das Insektizid Gaucho ist verboten. Schweizer Bauern haben mit zwei alternativen Stoffen gute Erfahrungen gemacht. Doch nun könnten sie unter Druck geraten – wegen der EU.
Das Verdikt ist eindeutig: Es war «gerechtfertigt», dass die Behörden in Deutschland und zehn weiteren europäischen Ländern bestimmte Pestizide im Zuckerrübenanbau notfallmässig wieder zugelassen haben. Es gebe keine Alternative dazu, erklärte die Europäische Lebensmittelbehörde (Efsa) am Donnerstag im italienischen Parma. Konkret geht es um Wirkstoffe aus der Familie der Neonikotinoide, die zu den weltweit meistverbreiteten Insektiziden zählen und unter anderem gegen Blattläuse eingesetzt werden.
2018 hatte die EU entsprechende Mittel verboten, das wohl bekannteste ist Gaucho; seit langem warnen Umweltschützende, die Mittel würden das Immunsystem der Bienen und deren Fortpflanzung beeinträchtigen, sie sprechen von «Bienen-Killern». Das Verbot hatte Folgen. Zuckerrüben-Produzierende klagten über starken Schädlingsbefall und Ernteausfälle – auch in der Schweiz.
Letztes Jahr waren die Zuckerrüben stark von der virösen Vergilbung befallen, einer Krankheit, die von Blattläusen übertragen wird. Doch das Gegenmittel durften die hiesigen Bäuerinnen und Bauern nicht einsetzen: Nach der EU hatte auch der Bund Gaucho vom Markt genommen, «da ein Risiko für Bestäuber und auch für Wasserorganismen besteht».
Weniger Blattläuse dieses Jahr
Der Fall wurde über Nacht zum Politikum. Im letzten Herbst forderten 4300 Rübenbauern von Guy Parmelin eine Notfallzulassung von Gaucho, der Kanton Freiburg doppelte mit einer Standesinitiative nach. Doch der Agrarminister blieb hart. Für den nachfolgenden Juni stand die Volksabstimmung über die Trinkwasser- und Pestizidverbotsinitiative auf dem Programm. Parmelin, so mutmasste man deshalb in der Branche, habe die Notfallzulassung nur deshalb verweigert, um der Pestizid-Gegnerschaft so kurz vor dem Urnengang keine weitere Angriffsfläche zu bieten.
Sich selber überliess Parmelin die Bäuerinnen und Bauern aber nicht. Statt auf Gaucho setzte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf zwei Produkte zur Bekämpfung der Blattläuse, die in der Schweiz beim Kartoffelanbau bereits zur Anwendung kommen und als weniger problematisch gelten: Movento SC und Gazelle SG.
Und siehe da, möglicherweise gibt es – anders als von den EU-Behörden dargestellt – eben doch eine Alternative. Heuer war der Blattlausdruck in der Schweiz tiefer als letztes Jahr, und die viröse Vergilbung hat sich später und weniger stark ausgebreitet. Dieses Resümee zieht Irene Vonlanthen, Geschäftsführerin des Schweizerische Verbands der Zuckerrübenpflanzer (SVZ). Unter diesen Bedingungen hätten Movento SC und Gazelle SG «befriedigend bis gut» gewirkt. Endgültig bilanzieren kann der Verband erst Anfang 2022, nach Abschluss der diesjährigen Ernte.
«Wenn nun die alten Gifte wieder auf die Äcker kommen, macht das alles keinen Sinn.»
Die Erfahrungen mit den beiden neuen Stoffen sind aber offenbar so, dass die Branche heuer keine Notfallzulassung von Gaucho beantragen will. Sie hoffe auf alternative Bekämpfungsmethoden und ermutigende Resultate des nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltiger Zuckerrübenanbau», erklärte die Schweizer Zuckerbranche im September. Ziel sei es, in den nächsten Jahren resistente Sorten zu finden und anzubauen.
Unklar ist, ob die Schweizer Rübenbauern nach dem jüngsten Verdikt der EU-Behörde weiterhin keine Notfallzulassung von Gaucho beantragen wollen. Vonlanthen äussert sich nicht zu einer entsprechenden Frage. Das Urteil der EU-Behörde bereitet ihr aber Sorge. Der Grossteil des importierten Zuckers, der hierzulande die Preise bestimme, werde damit mit dem effizienten, aber umstrittenen Pestizid hergestellt, sagt sie. «Die Schweizer Rübenpflanzer haben damit einen grossen wirtschaftlichen Nachteil.»
Fakt ist aber auch: Die Branche erhält Hilfe von der Politik. Im Herbst hat das Parlament die Stützungsmassnahmen für den einheimischen Zuckerrübenanbau bis 2026 verlängert. Das Parlament sei bereit, die Mehraufwendungen für nachhaltigen Zuckeranbau zu finanzieren, sagt Nationalrätin Regula Rytz (Grüne). «Wenn nun aber die alten Gifte wieder auf die Äcker kommen, macht das alles keinen Sinn.» Rytz hofft deshalb, dass die Schweizer Zuckerbranche «standhaft bleibt».
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