Analyse zu EU-ParlamentDas Ja zur Asylreform ist ein wichtiges Signal – und auch die Schweiz profitiert
Brüssel verabschiedet eine Reform mit einem schärferen Grenzregime und einem gegenseitigen Solidaritätsmechanismus. Ein bedeutender Schritt vor den Europawahlen.
Es ist ein wichtiges Signal vor der Europawahl Anfang Juni: Europa ist handlungsfähig, die EU ist nach neun Jahren der Rückschläge und Blockaden in der Lage, ihre zentrale Asylreform zu verabschieden. Es ist ein Versuch, ein kaputtes Asylsystem zu reparieren und endlich harmonisierte, europäische Regeln zu schaffen.
Davon wird auch die Schweiz profitieren, als Land mittendrin. Zur Reform gehört ein strengeres Grenzregime mit Verfahren an der Aussengrenze, beschleunigten Rückführungen in Herkunftsländer und sichere Drittstaaten sowie ein Solidaritätsmechanismus, der Hauptankunftsländer wie Italien und Griechenland entlasten soll.
Kein Grund zum Feiern
Ein Grund zum Feiern ist es allerdings nicht. Ein erster Anlauf war nach der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 gescheitert. Das Ergebnis jetzt ist ein Kompromiss, ein kleinster gemeinsamer Nenner einer knappen Mehrheit von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten, dem schwindenden proeuropäischen Kern also. Das wirft auch einen Schatten auf die nächste Legislaturperiode nach den Wahlen. In Zukunft dürfte es angesichts der Prognosen noch schwieriger sein, Mehrheiten zu finden. Viele haben auch hier am Ende nur widerwillig zugestimmt. Hauptsache, man einigt sich.
Linksradikale und grüne Abgeordnete lehnten die Reform rundweg ab, die aus Sicht der Gegner einseitig auf Abschreckung baut und mit Blick auf die Lager an den Aussengrenzen als unmenschlich kritisiert wird. Interessant, dass für Rechtsaussen umgekehrt die Reform viel zu wenig weit geht. Auch, weil Rechtspopulisten naturgemäss nicht interessiert sind, dass Brüssel liefert und dazu noch kurz vor den Wahlen. Eine EU, die ohnmächtig ist und sich zerstritten präsentiert, ist für diese Kreise die beste Wahlkampfmunition.
Nur schon deshalb ist die Einigung zu begrüssen, denn sie könnte helfen, den Ausländerfeinden und Rechtsextremen das Wasser abzugraben. Immerhin ist die unkontrollierte Zuwanderung aus Drittländern in vielen EU-Staaten ganz oben auf der Sorgenliste der Wählerinnen und Wähler. Für die Gegner im linksgrünen Spektrum gilt die Redewendung, dass das Bessere der Feind des Guten ist. Die Asylreform, wie sie vom EU-Parlament verabschiedet wurde, ist jedenfalls besser als der Status quo. Vom Chaos an den Aussengrenzen und der unkontrollierten Sekundärmigration Richtung Deutschland, Österreich oder auch die Schweiz profitieren neben den Rechtspopulisten vor allem die Schlepper, deren Geschäftsmodell mit der Reform weniger lukrativ werden soll.
Umsetzung wichtig
Allerdings steht und fällt die Reform mit der Umsetzung. Und hier gibt es die grössten Fragezeichen. Vorgesehen ist, dass die Reform nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren voll in Kraft treten soll. Bis dann müssen etwa an den Aussengrenzen die Auffanglager gebaut werden, in denen die Verfahren von Asylbewerbern mit geringen Chancen auf Anerkennung innert zwölf Wochen abgewickelt werden sollen.
Ob das in so kurzer Zeit klappt und ob Rückführungen in Zukunft einfacher funktionieren werden, ist offen. Offen ist auch, wie viele EU-Staaten in Zukunft bereit sein werden, sich solidarisch zu zeigen, und Griechenland oder Italien in Krisensituationen Asylbewerber abnehmen werden. Der Mechanismus sieht nämlich vor, dass Mitgliedsstaaten sich freikaufen können. Wenn zu viele diese Möglichkeit nutzen, wird es mit der Lastenteilung wieder nicht funktionieren und eine Fortsetzung des Chaos wäre garantiert.
Der Erfolg der Reform ist auch von den Migrationsabkommen abhängig, wie sie die EU derzeit mit Tunesien abzuschliessen versucht. Die Deals müssen endlich auch legale Wege der Migration aufzeigen und Visaerleichterungen beinhalten.
Wenig hilfreich ist es, dass rechte Parteien mit Blick auf den Wahlkampf bereits von der nächsten Verschärfung reden, nämlich der Auslagerung der Verfahren überhaupt in Drittstaaten. Damit signalisieren die Konservativen, dass sie an ihre Reform selber nicht glauben. Und das trübt zwei Monate vor der Europawahl das eigentlich positive Signal der Einigung nach Jahren der Asylblockaden.
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