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Meinung

Analyse zur Migrationskrise
Die EU will eine Asylreform um fast jeden Preis

epa10865827 A handout photo made available by CHIGI PALACE PRESS OFFICE shows Italian Premier Giorgia Meloni, EU Commission President Ursula von der Leyen watch the dozens of small boats moored in front of the quay, on which hundreds of migrants have arrived in recent weeks, in Lampedusa, Italy, 17 September 2023. The prime minister of Italy and the president of the European Commission arrived on the island of Lampedusa as tensions rise over an increase in migrant arrivals.  EPA/FILIPPO ATTILI  HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES
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Den einen ist die Asylreform der EU viel zu restriktiv, den anderen dieser kleinste gemeinsame Nenner entschieden zu lax. Und dann gibt es noch Polen und Ungarn, die jede Reform blockieren würden, weil sie lieber die Krise bewirtschaften. Die Innenministerinnen und Innenminister der EU haben sich am Donnerstag auf ihre Antwort zur Migrationskrise geeinigt, wobei Italien im letzten Moment noch mit einen Vorbehalt kam und in einem nächsten Schritt nun das EU-Parlament zustimmen muss. Als Zaungast mit am Tisch für das Schengenland Schweiz war Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.

Für die EU-Staaten drängt die Zeit mit Blick auf die Europawahlen im Juni nächsten Jahres. Die Zahl der Asylanträge könnte in diesem Jahr erstmals seit 2016 wieder eine Million überschreiten, so die Prognose der EU-Asylagentur. Rechtspopulisten quer durch Europa werfen der EU vor, im Kampf gegen die unkontrollierte Migration zu versagen.

Die Einigung um fast jeden Preis ist vor allem aus politischen Gründen wichtig. Die EU will vor den Wahlen Handlungsfähigkeit demonstrieren. Doch wird diese Reform in der Praxis auch funktionieren? Und was waren die wichtigsten Streitpunkte?

Schnellverfahren im Lager an der Aussengrenze

Police officers patrol along a steel fence along Evros river, Greece's river border with Turkey, near the village of Poros on June 8, 2021. The area is where the Greek State has chosen to deploy a new anti-migration arsenal including cameras, radar and a 40-kilometre (25-mile) steel fence over five metres high. (Photo by Sakis MITROLIDIS / AFP)

Umstritten war das neue Verfahren an der Aussengrenze der EU. Es soll für Asylsuchende aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent gelten. Diese beschleunigten Verfahren für Migranten mit geringer Bleibeperspektive sollen direkt an der Aussengrenze abgewickelt werden. Betroffen wären Marokkaner oder Tunesier, aber nicht Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan. Die Migranten mit geringen Chancen auf einen Asylstatus sollen in geschlossenen Camps an der Aussengrenze festgehalten werden und dort Verfahren durchlaufen, die nicht länger als drei Monate dauern sollen.

Wer abgelehnt wird, soll rasch in sein Herkunftsland abgeschoben werden. Italien, Griechenland und Spanien als Staaten an den Aussengrenzen sollen 30'000 Plätze einrichten. Bei einer Verfahrensdauer von 90 Tagen wären also 120'000 Schnellverfahren im Jahr möglich. So weit die Theorie. Selbst Staaten in Nordafrika weigern sich allerdings oft, ihre eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. Und angesichts der aktuellen Zahlen würden die vorgesehenen Plätze nicht reichen.

Flexible Solidarität

Pope Francis attends a ceremony at the Karatepe refugee camp, on the northeastern Aegean island of Lesbos, Greece, Sunday, Dec. 5, 2021. Pope Francis is offering comfort migrants at a refugee camp on the Greek island of Lesbos. He is blasting what he says is the indifference and self-interest shown by Europe "that condemns to death those on the fringes." (Louisa Gouliamaki/Pool via AP)

Es ist nicht der erste Anlauf für einen Verteilschlüssel hin zu einer solidarischen Lastenteilung in der EU. Heute ist es so, dass die Staaten an den Aussengrenzen zwar zuerst mit dem Elend der Bootsflüchtlinge konfrontiert sind. Nach den geltenden Regeln sind die Frontstaaten theoretisch für alle Asylgesuche zuständig, solange Migranten nicht familiäre Beziehungen in andere EU-Länder nachweisen können. In der Praxis zieht der Grossteil der Asylsuchenden in Länder wie Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien oder auch die Schweiz weiter.

Neu soll jetzt «flexible Solidarität» für eine gerechtere Lastenteilung sorgen. Länder, die keine Asylbewerber übernehmen wollen, sollen zahlen. Vorgesehen ist eine Pauschale von 20'000 Euro pro Flüchtling. Länder können auch mit Personal für Asylverfahren oder Beamten für den Grenzschutz helfen. Polen und Ungarn wollen aber weder Asylbewerber aufnehmen noch zahlen. Und in der Praxis scheitert bisher jede Umverteilung daran, dass kaum jemand freiwillig nach Bulgarien oder Tschechien geht oder dort bleibt.

Krisenmechanismus mit niedrigen Standards

Polish security forces surround migrants stuck along with border with Belarus in Usnarz Gorny, Poland, on Wednesday, Sept. 1, 2021. Poland has been reinforcing its border with Belarus – also part of the EU's eastern border – after thousands of migrants from Iraq, Afghanistan and elsewhere tried to illegally enter the country. The Polish government says it is the target of a "hybrid war" waged by authoritarian Belarus. Human rights activists are concerned about a group caught along the border, trapped between armed guards on each side. (AP Photo/Czarek Sokolowski)

Die «Verordnung für Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl» ist der Vorschlag, an dem das EU-Paket von zehn Rechtstexten zuletzt noch zu scheitern drohte, bis in Berlin Bundeskanzler Olaf Scholz sich am Donnerstag über die Bedenken des grünen Koalitionspartners hinweg setzte und ein Machtwort sprach. Im Krisenfall soll es möglich sein, das beschleunigte Asylverfahren an der Grenze erheblich auszuweiten und die Standards weiter zu senken.

Im Krisenfall könnten alle Verfahren von Asylsuchenden aus Herkunftsländern bis zu einer Anerkennungsquote von 75 Prozent an der Aussengrenze abgewickelt werden. Werden Migranten wie zuletzt in Belarus instrumentalisiert und gezielt Richtung Schengenaussengrenze geschickt, könnte die EU entscheiden, alle Verfahren vor Ort durchzuführen und Asylsuchende bis zu 20 Wochen zu internieren. Die Osteuropäer haben auf diesen abschreckenden Passus gedrängt. Es braucht allerdings eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten, um den Krisenfall auszurufen.

Der Pakt mit den Herkunftsländern

This photo provided by the Tunisian Presidential Palace shows Dutch Prime Minister Mark Rutte, second right, Tunisian President Kais Saied,right, European Commission President Ursula von der Leyen, and Italian Premier Giorgia Meloni, left , in the presidential palace in Tunis, Sunday June 11, 2023. Tunisia is hosting the leaders of Italy, the Netherlands and the European Union on Sunday for talks aimed at smoothing the way for an international bailout and restoring stability to a country that has become a major source of migration to Europe. (Slim Abid/ Tunisian Presidential Palace via AP)

Der Türkei-Deal ist das umstrittene Modell. Im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 hat sich die Regierung in Ankara verpflichtet, Migranten zurückzunehmen. Die Türkei hat dafür 6 Milliarden Euro zugesagt bekommen, die direkt in Hilfsprojekte wie Schulen oder in die Gesundheitsversorgung für die über drei Millionen syrischen Flüchtlinge im Land fliessen. Eine ähnliche Vereinbarung hat die EU-Kommission jetzt mit Tunesien getroffen, sie plant ebenfalls Gespräche mit Ägypten.

Die Partnerländer bekommen Geld für wirtschaftliche Entwicklung und verpflichten sich gleichzeitig, Boote mit Migranten zu stoppen oder Landsleute zurückzunehmen. Auch die legale Migration von Studierenden oder Saisonarbeitern soll erleichtert werden. Die EU will um jeden Preis den Migrationsdruck an den Aussengrenzen reduzieren. Sonst wären Auffangzentren und Verfahren dort rasch überlastet, die Asylreform Makulatur. Brüssel ist dafür auch bereit, mit autoritären Präsidenten wie Recep Tayyip Erdogan oder Tunesiens Kaïs Saïed ins Geschäft zu kommen.