Gewalt in der ErziehungSchreiende Eltern verändern das Gehirn ihrer Kinder
Werden Eltern ihrem Nachwuchs gegenüber laut, kann das schwerwiegende Folgen haben. Mit der Lautstärke steigt auch das Risiko psychischer Erkrankungen.

- Schreien Eltern ihren Nachwuchs an, kann das zu Veränderungen im Gehirn der Kinder führen, wie die Ergebnisse britischer Forscher zeigen.
- Das Anschreien kann bei Kindern unter anderem die Wahrnehmung von Bedrohungen dauerhaft verändern und ihr Selbstwertgefühl schwächen.
- Mit der Lautstärke steigt zudem auch die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen.
Niemand will es, doch vielen passiert es: Eltern schreien ihre Kinder aus Überforderung, Stress oder Wut an, weil diese manchmal einfach nicht hören wollen.
Doch wer seinem Nachwuchs gegenüber laut wird, riskiert viel. Denn das Anschreien hat unter Umständen weitreichende Konsequenzen: Es kann das Gehirn der Kinder verändern, wie die Ergebnisse britischer Forscher zeigen.
Sie haben anhand von Scans herausgefunden, dass «anhaltender Missbrauch – auch verbaler Missbrauch – zu erheblichen biologischen Veränderungen in der Struktur und Funktion des Gehirns führt», wie Eamon McCrory, klinischer Psychologe und Professor für Entwicklungsneurowissenschaften und Psychopathologie am University College in London (UCL), gegenüber dem «Guardian» erklärt.
«Es kann sowohl die Bedrohungs- als auch die Belohnungsschaltkreise im Gehirn eines Kindes verändern, die eine Schlüsselrolle dabei spielen, sich in der Welt zurechtzufinden und Beziehungen aufzubauen und zu pflegen», fährt McCrory fort.
Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen steigt
Das elterliche Brüllen kann also dazu führen, dass Kinder keine Freude empfinden, die Welt als bedrohlich wahrnehmen und Schwierigkeiten haben, Freundschaften aufrechtzuerhalten. Und: Mit der Lautstärke steigt auch die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen.
So könnten Kinder, die verbal missbraucht werden, neutrale Witze, Blicke oder Gesichtsausdrücke als bedrohlich fehlinterpretieren. «Als Kinder glauben wir, was uns gesagt wird, und prägen die Worte der Erwachsenen tief in unser Verständnis von uns selbst und der Welt um uns herum ein. Wenn diese Worte feindselig, erniedrigend oder demütigend sind, können sie lebenslange Folgen haben», so McCrory.
So könne verbaler Missbrauch auch das Selbstwertgefühl «tiefgehend prägen». «Die kritischen Worte, die Erwachsene in ihrer Kindheit zu hören bekamen, bilden die Grundlage für einen Grossteil ihrer späteren Ängste, Schmerzen und Sorgen, selbst wenn sie Jahrzehnte damit verbracht haben, diese Worte zu widerlegen.»
«Kinder brauchen eine freundliche, unterstützende Kommunikation»
«Es handelt sich um eine der vermeidbarsten Ursachen für psychische Gesundheitsprobleme», so Peter Fonagy, Leiter der Abteilung für Psychologie und Sprachwissenschaften am UCL. Kinder bräuchten «eine freundliche, unterstützende Kommunikation» von Erwachsenen. «Sie ist entscheidend für die Entwicklung ihrer Identität und ihrer emotionalen Widerstandsfähigkeit», sagt er.
Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich den britischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern präsentiert. Organisiert hat das Treffen die Wohltätigkeitsorganisation Words Matter. Es ist Teil der Bemühungen, «verbalen Missbrauch aus dem Schatten zu holen und ihm die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie anderen Formen der Misshandlung», erklärt Fonagy.
Der verbale Missbrauch ist laut den Experten «die am weitesten verbreitete Form der Kindsmisshandlung». Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet emotionalen Missbrauch – verbalen Missbrauch eingeschlossen – als eine der stärksten Formen der Misshandlung und Gewalt gegen Kinder.
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