Strassburg-Urteil gegen die SchweizAuch die Kommission des Nationalrats kritisiert das Klima-Urteil
Das Urteil überdehne das Recht auf unzulässige Weise, heisst es. Zu diesem Schluss kamen auch Daniel Jositsch und die Kommission des Ständerats.
Die Rechtskommission des Nationalrats hat wegen des Klima-Urteils des EGMR gegen die Schweiz eine Erklärung durch den Nationalrat noch während der Sommersession beantragt. Der Text entspreche dem Wortlaut der Erklärung ihrer Schwesterkommission im Ständerat, teilte die Kommission am Mittwoch mit. Die Ständeratskommission kritisierte das Urteil zuletzt, da es das Recht auf unzulässige Weise überdehne.
Die Rechtskommission des Nationalrats ist der Ansicht, dass die Räte mit der Abgabe von gleichlautenden Erklärungen ein starkes politisches Zeichen setzen sollten, wie es in der Mitteilung heisst. Die Kommissionsmitglieder entschieden sich mit 15 zu 10 Stimmen für einen entsprechenden Antrag.
Eine Minderheit der Kommission beantragte dem Nationalrat, die Erklärung abzulehnen. Die Minderheit fand, es sei nicht opportun, dass sich ein Parlament zu einem bindenden Entscheid eines Gerichts äussere, selbst wenn es sich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) um ein internationales Gericht handle, teilte die RK-N weiter mit.
Das Büro des Nationalrates werde voraussichtlich am Donnerstag entscheiden, ob und wann das Geschäft dem Programm der laufenden Sommersession hinzugefügt werde.
Urteil stösst auf Unverständnis
Der EGMR hatte Anfang April in seinem Urteil in Sachen Klimaseniorinnen eine Verletzung der Menschenrechtskonvention festgestellt. Die Schweiz ist laut dem Gericht ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht nachgekommen. Der Staat müsse Einzelpersonen vor den Folgen des Klimawandels für Leben, Gesundheit und Lebensqualität schützen. Massnahmen, um die Verletzung der Menschenrechtskonvention zu beheben, nannte der EGMR explizit nicht.
Die Schweizer Politik nahm den Entscheid sehr unterschiedlich auf. Rot-Grün sowie Umweltverbände begrüssten den Richterspruch. Von bürgerlicher Seite hiess es, es sei gefährlich, wenn Gerichte Politik machten. Daraufhin kritisierte die Rechtskommission des Ständerats (RK-S) das Urteil des EGMR und beantragte der kleinen Kammer, die Erklärung ihrer Rechtskommission anzunehmen. Der Ständerat solle über das Vorgehen des EGMR seine Besorgnis ausdrücken.
«Wir anerkennen den Wert des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, aber wir wollen mit der Erklärung unser Unverständnis äussern», sagte etwa RK-S-Präsident Daniel Jositsch (SP/ZH). Die Schweiz sehe keinen Anlass, dem Urteil weiter Folge zu geben, hiess es im Text zudem, den die RK-N nun ebenfalls übernommen hat.
«Unzulässiger gerichtlicher Aktivismus»
Das Urteil in Sachen Verein Klimaseniorinnen Schweiz überschreite die Grenzen der dynamischen Auslegung, hiess es in der Erklärung weiter. Der EGMR habe die Grenzen der zulässigen Rechtsfortentwicklung «überstrapaziert».
Mit seinem Vorgehen setze sich der EGMR dem Vorwurf eines «unzulässigen und unangemessenen gerichtlichen Aktivismus» aus, heisst es im Text weiter. Der Gerichtshof nehme in Kauf, dass nicht nur die Europarats-Staaten, sondern auch die innerstaatlichen Akteure der Mitgliedsländer seine Legitimität in Frage stellten. Dies könne den effektiven Schutz der Menschenrechte schwächen.
In den Erklärungen forderte die Mehrheit der RK-S und der RK-N vom EGMR, der staatlichen Souveränität und dem völkerrechtlichen Konsensprinzip «wieder erhöhte Bedeutung zu schenken». Die Richterinnen und Richter in Strassburg müssten die demokratischen Prozesse der Vertragsstaaten achten.
Der Bundesrat soll laut der Erklärung denn auch im Europarat darüber informieren, dass die Schweiz schon sehr viel für das Erreichen der Klimaziele unternehme. Ihre internationalen Pflichten habe sie bisher eingehalten. Der Bundesrat soll deshalb die zuständigen Gremien des Europarates darüber informieren, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil Folge zu geben.
Die Klimaseniorinnen kritisierten die RK-S am Mittwoch vor den Medien scharf. Das Urteil des EGMR sei für die Schweiz bindend und dürfe nicht ignoriert werden. Falls nötig werde der Europarat informiert. Vom Parlament verlangen die Klimaseniorinnen, dass es «seiner Verantwortung nachkommt».
SDA/oli
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