Wie asiatische Länder die Corona-Krise unter Kontrolle bringen
In Taiwan, Hongkong, Singapur und auch Südkorea steigen die Zahlen kaum noch. Und das, ohne das soziale Leben komplett einzufrieren.
Es war Anfang Februar, als eines Abends alle Handys in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, vibrierten. Eine Notfall-SMS der Behörden, eine Warnung, wie sie sonst nur bei einem schweren Erdbeben verschickt wird – doch nichts wackelte. Stattdessen ein Link zu einer Google-Maps-Karte: «Haben Sie sich an einem dieser Orte am 31. Januar aufgehalten?» Verzeichnet waren vor allem Sehenswürdigkeiten, die eine mit dem Coronavirus infizierte Touristin aus Wuhan besucht hatte. Sie hatte sich den Drachenbergtempel angesehen, war in der Nähe des Wolkenkratzers Taipeh 101 gewesen und auch bei den heissen Quellen in einem Nationalpark.
Welch ein Aufwand für einen einzigen Corona-Fall, dachten damals manche. Doch genau dieses Vorgehen gleich zu Beginn des Ausbruchs der Seuche hat dazu geführt, dass Taiwan trotz seiner räumlichen Nähe zu China bislang fast unbeschadet davongekommen ist. Die Bilanz: 59 Infizierte, ein Toter. Und die Schulen sind offen.
In Taiwan genauso wie in Hongkong, Singapur und inzwischen auch in Südkorea ist es gelungen, der Krise Herr zu werden, ohne das soziale Leben komplett einzufrieren. Stattdessen wurde mit vielen Informationen, vielen Virentests und vor allem schnellen Entscheidungen gearbeitet. Mehr als 100 Verordnungen hat das Central Epidemic Command Center in Taiwan in den vergangenen Wochen erlassen. Gegründet 2004 nach dem Ausbruch der Lungenseuche Sars, koordiniert die Behörde den Kampf gegen das Virus.
Bereits Anfang Januar wurde damit begonnen, Flüge aus Wuhan genauer zu inspizieren. Seit dem 6. Februar darf man aus China überhaupt nicht mehr einreisen. Es sei denn, man ist Taiwaner oder Inhaber einer Aufenthaltsgenehmigung. Dann muss man sich für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Um die Einhaltung zu überwachen, werden die Handydaten ausgewertet.
Hongkongs Bevölkerung drängte auf Abriegelung
Auch Hongkong hat die Grenzen frühzeitig dichtgemacht. Erst im Norden zur Volksrepublik, inzwischen darf niemand mehr aus Europa und den USA einreisen ohne Quarantäne. Das Resultat: 145 Infizierte und vier Tote. Es war vor allem die Bevölkerung, die die Regierung der ehemaligen britischen Kronkolonie dazu trieb, rasch abzuriegeln.
«Dass wir etwas tun müssen, ist uns am 22. Januar klar geworden, an jenem Tag wurde der erste Patient in Hongkong positiv auf das Coronavirus getestet», erinnert sich Winnie Yu, sie ist die Vorsitzende der Hospital Authority Employees Alliance, die Krankenhausgewerkschaft Hongkongs. «Wir haben deshalb begonnen, einen Streik zu organisieren.»
Anfang Februar traten etwa 4000 Krankenhausmitarbeiter für vier Tage in den Ausstand. Mit Erfolg, sie zwangen die Regierung, die Grenzen weitestgehend dichtzumachen. Protest regt sich dagegen nicht. Die Erinnerungen an Sars sind in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt.
Vor 17 Jahren starben 299 Hongkonger. Welche Gefahr von einem exponentiellen Wachstum ausgeht, muss man in der Stadt niemandem mehr erklären. Auch damals kam die Krankheit aus China. Es wurden Schulen geschlossen, «auf der Strasse gab es keine Autos mehr, keine Busse. Hongkong war eine Geisterstadt», erinnert sich Winnie Yu. Wer heute aus der Volksrepublik einreisen möchte, muss für zwei Wochen in Quarantäne. Statt täglich bis zu 300'000 Chinesen kommt nun nur noch ein Bruchteil davon in die Stadt.
Singapur mit strengen Quarantäne-Regeln
Doch so ist Hongkong erstaunlich lebendig geblieben. Fast alle Menschen tragen Schutzmasken, die Schulen und Kindergärten haben zwar geschlossen, die meisten Hongkonger gehen aber wieder zur Arbeit. Bars und Restaurants haben ganz normal geöffnet.
Das Gleiche gilt für Singapur. Der Stadtstaat ist wachsam, reagiert schnell und unterlässt keinen Versuch, jene konsequent zu isolieren, die mit Infizierten in Kontakt gekommen sind. Singapur hat nicht nur früh die Flüge aus den betroffenen Gebieten in China ausgesetzt, sondern auch strenge Quarantäneregeln für ankommende Reisende aus Risikogebieten durchgesetzt.
Ausserdem betreiben die Behörden bei jeder Neuinfektion das sogenannte Contact Tracing mit grösster Akribie: Das Aufspüren von Kontaktpersonen gelingt hier weitaus besser als anderswo, wie eine Studie belegt. Geschulte Einsatzteams kooperieren eng mit der Polizei, die im Stadtstaat über umfassende Vollmachten verfügt. Im Alltag hat sich ausserdem eingespielt, dass man überall Telefonnummer und Adresse über eine App registrieren lässt: sei es zu Besprechungen, Terminen oder auch nur für den Museumsbesuch.
Obgleich Singapur als globale Drehscheibe extrem gefährdet ist, hat es bislang nur 226 registrierte Infizierte, knapp die Hälfte wurde wieder gesund entlassen, noch ist niemand gestorben. «Es gibt hier nur sehr wenige Infizierte, von denen man nicht nachvollziehen kann, wo sie sich angesteckt haben», sagt der Virologe Ooi Eng Eong von der National University of Singapur.
Die meisten Fälle lassen sich miteinander verbinden. «Viel hängt davon ab, schnell zu sein, wenn die Zahl der Fälle noch gering ist», sagt Ooi und kommt dabei auf die Erfahrungen zurück, als Sars in Asien wütete. «Die Sars-Epidemie 2003 hat uns gelehrt, wie man sich am besten koordiniert.» So waren Notfallpläne für grössere Quarantäne-Zentren längst ausgefeilt, bevor Singapur seinen ersten Fall registrierte. Der massive Ausbau von Isolierstationen in Spitälern war ebenfalls eine Reaktion auf Sars, damals hatte der Stadtstaat zu wenige Plätze.
Solidarität stärken
Während die Behörden einerseits Disziplin einfordern, verwenden sie andererseits viel Mühe darauf, die richtigen Botschaften auszusenden und das Gefühl von Solidarität zu stärken. Beispielsweise wird die Arbeit des medizinischen Personals öffentlich gewürdigt und auch besonders entlöhnt. Ausserdem investiert Singapur grosse Summen in Kompensationen für jene, die in Quarantäne müssen und deshalb Einkommen verlieren. Zugleich wird der Bruch von Regeln hart geahndet. Wer falsche Angaben macht, dem drohen hohe Geldstrafen und Haft bis zu sechs Monaten. Das alles führt dazu, dass das soziale Leben zwar gedrosselt, aber doch nicht völlig eingebrochen ist. Auch hier sind die Schulen offen.
In Südkorea nehmen die Fallzahlen ebenfalls ab. Am Sonntag meldete das koreanische Zentrum für Seuchenkontrolle zum ersten Mal seit dem 21. Februar weniger als hundert neue Covid-19-Fälle, genauer gesagt nur 76. Das ist ein wichtiges Signal an eine Nation, die die Krise mit enormem Aufwand und viel Disziplin angenommen hat. Ein beispielloses Testprogramm und klare Ansagen ohne Zwang sind dabei die Säulen der Virusbekämpfung. Die Regierung der Hauptstadt Seoul lancierte zum Beispiel früh eine gross angelegte Kampagne zur richtigen Hygiene.
500 Testkliniken
Als die Fallzahlen drastisch stiegen, gab es zwar keine Ausgangssperren, aber eindringliche Empfehlungen von den Behörden, zu Hause zu bleiben, nicht zu demonstrieren, Menschenansammlungen insgesamt zu meiden. Sehr viele Südkoreaner folgten. Das öffentliche Leben kam nicht zum Erliegen, aber es wurde sehr ruhig. Mehr als 500 Testkliniken, darunter 40 Drive-in-Stationen für Proben am Steuer, haben bis Sonntag 268'212 Tests möglich gemacht. Die beeindruckenden Testkapazitäten sind eine Folge der Mers-Epidemie von 2015, die Südkorea in Panik versetzte.
Die Behörden verfolgten die Wege und Kontakte von Infizierten über 14 Tage zurück, indem sie Informationen aus Kreditkartennutzung, Mobiltelefonen und Überwachungskameras auswerteten. Verdächtige Personen bekamen kostenlose Tests angeboten. 75 Menschen sind in Südkorea bisher an Covid-19 gestorben – von 8162 bestätigten Infektionen. Am 23. März sollen die Schulen wieder öffnen. Präsident Moon Jae-in macht den Menschen Mut: Die Pandemie könne ein «unaussprechlicher Schlag für die koreanische Wirtschaft» werden. «Wir brauchen das Virus der Hoffnung.»
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