Erfolg für die FrauenbewegungWer wird Mexikos erste Präsidentin?
Regierungspartei und Opposition gehen mit einer Spitzenkandidatin in den Wahlkampf. Die beiden Anwärterinnen könnten kaum unterschiedlicher sein.
Die Präsidentschaftswahlen in Mexiko finden erst im Juni 2024 statt, doch die Frauenbewegung ist jetzt schon euphorisch. Die Nachfolge von Andrés Manuel López Obrador wird mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Frau antreten. Es wäre ein Novum in der Geschichte des lateinamerikanischen Staates – und ein starkes Signal in einem Land, in dem Gewalt gegen Frauen ein katastrophales Problem darstellt.
Am Mittwoch setzte sich Claudia Sheinbaum im Auswahlverfahren der linken Regierungspartei Morena gegen fünf Konkurrenten durch. Bereits in der vergangenen Woche kürte das zentristische Oppositionsbündnis Frente Amplio por México (Breite Front für Mexiko) die Senatorin Xóchitl Gálvez zur Spitzenkandidatin. Nicht mehr antreten darf der Amtsinhaber Andrés Manuel López Obrador, kurz Amlo, da Mexikos Verfassung nur eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren erlaubt.
Als Bürgermeisterin Profil gewonnen
Die klare Favoritin ist Claudia Sheinbaum. Sie gilt als politische Ziehtochter des amtierenden Präsidenten, der mit Zustimmungsraten von über 60 Prozent bei der Bevölkerung weiter beliebt ist. Die Tochter jüdischer Immigranten aus Bulgarien und Litauen war von 2000 bis 2006 Umweltdirektorin in Mexiko City, als López Obrador dort Bürgermeister war. 2018 wurde sie selber als Bürgermeisterin der Hauptstadt gewählt, wo die pragmatische Sachpolitikerin rasch an Profil gewann.
Unter Sheinbaum ist die Mordrate in der Megametropole deutlich gesunken. Weitere zentrale Agendapunkte der studierten Physikerin mit einem Doktortitel in Umwelttechnik waren der Umweltschutz und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs.
Den grössten Rückschlag ihrer Amtszeit erlitt sie im Mai 2021. Damals brach ein Viadukt der Metro ein, zwei Wagen stürzten auf die Strasse. 23 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Sheinbaum wurde vorgeworfen, notwendige Reparaturarbeiten verpasst zu haben. Im Juni dieses Jahres trat die 61-Jährige freiwillig zurück, um sich auf den Präsidentschaftswahlkampf zu konzentrieren.
Als Präsidentin würde sie Amlos Wirtschaftspolitik weiterführen: Ein Mix aus Umverteilungsprogrammen zugunsten der Ärmsten mit einer für die Linke ungewohnten Austerität. Diese trug dazu bei, dass der mexikanische Peso in jüngster Zeit erstaunlich stabil blieb.
Die Kritik, sie sei nur eine politische Marionette des Präsidenten, weist sie jeweils scharf als frauenfeindlich zurück. Zumindest die irrlichternde Corona-Politik Mexikos, als López Obrador auch während des Lockdown Anhänger umarmte und küsste, wäre unter der hochqualifizierten Wissenschaftlerin Sheinbaum undenkbar gewesen. Vom Noch-Präsidenten unterscheidet sie sich auch im Auftreten. Sie ist keine, die das Bad in der Menge sucht, sondern eher eine Technokratin mit bescheidenem Charisma.
Ganz anders präsentiert sich die Herausforderin Xóchitl Gálvez. Die 60-Jährige ist eine mitreissende Rednerin, die mit einem rabiaten Sinn für Humor auffällt. Im vergangenen Dezember betrat sie das Parlament in einem Dinosaurier-Kostüm, um gegen eine aus ihrer Sicht rückschrittliche Vorlage zu protestieren. Viral ging ihr Versprechen, eine Regierung ohne «huevones, rateros y pendejos» (Faulenzer, Diebe und Idioten) zu bilden.
Diese derbe Sprache kommt bei der einfachen Bevölkerung gut an. Genauso wie die Tatsache, dass sie in Mexico-Stadt oft mit einem E-Velo durch die Strassen fährt. Gálvez selber stammt aus einer armen Familie mit indigenen Wurzeln. Ihr Aufstieg vom Mädchen, das an der Strasse Street-Food verkaufte, zur erfolgreichen Unternehmerin und Politikerin beeindruckt viele. Obwohl sie die Sprache der Armen spricht, vertritt sie eine bürgerliche und unternehmerfreundliche Politik.
Gálvez steigt für eine Koalition dreier Parteien ins Rennen, die sich zusammengeschlossen haben, um gegen die dominante Morena bessere Chancen zu haben. Profitieren könnte sie auch von einem möglichen dritten Kandidaten. Der frühere Aussenminister Marcelo Ebrard unterlag in der internen Ausmarchung bei Morena gegen Sheinbaum.
Noch vor Bekanntgabe des Ergebnisses sprach er von Manipulation und forderte, die Wahl zu wiederholen. Es scheint möglich, dass er auch ohne Unterstützung der Regierungspartei antreten wird. Seine Wahl gilt als sehr unwahrscheinlich. Doch würde er wohl vor allem Sheinbaum Stimmen wegnehmen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.