Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Schulalltag in Mexiko
Kinder üben, wie man den Drogenkrieg überlebt

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Kinder werfen sich flach auf den Boden und halten sich schützend die Hände über den Kopf. Man hört Schüsse und die Stimmen von Lehrerinnen: «Singt, Kinder, singt!»

Willkommen im Sommerkurs der zentralmexikanischen Stadt Fresnillo, rund eine Viertelmillion Einwohner, gelegen im Bundesstaat Zacatecas. Hier üben schon Kindergärtler und Primarschülerinnen das Überleben im mexikanischen Drogenkrieg. Der Kurs heisst «Meine Ferien in der Bibliothek von Fresnillo», organisiert haben ihn die Verwaltung der öffentlichen Bibliotheken und lokale Sicherheitsbehörden in gemeinsamer Präventionsarbeit.

Was sollen Kinder tun, wenn sich vor ihrer Schule Mitglieder von Drogenkartellen gegenseitig bekämpfen oder wenn sich Kriminelle Gefechte mit Sicherheitskräften liefern wie in einem Bürgerkrieg? Und die Kleinen in höchster Gefahr sind, von einem Querschläger getroffen zu werden? Um dieses Szenario so realistisch wie möglich darzustellen, spielen die Erzieherinnen und Erzieher aufgezeichnete Schüsse und Salven von Maschinengewehren ab. Und singen sollen die Kinder, um sich zu beruhigen. Etwa ein Lied mit der Strophe: «Ein Elefant schaukelte auf einem Spinnennetz.»

In Fresnillo und Umgebung sind seit Jahresbeginn vier Kinder von Querschlägern getötet und fünf von der Drogenmafia ermordet worden. In keiner anderen mexikanischen Stadt fühlen sich die Bewohnerinnen und Bewohner so unsicher wie in Fresnillo. 97 Prozent geben an, sich nachts nicht mehr auf die Strasse zu trauen.

Knapp 3000 Kinder haben an dem Kurs teilgenommen, zu dem auch eine Übung gehörte namens «Wir retten Tito Robertito» – und zwar davor, entführt zu werden, während seine Mutter, die genauso fiktiv ist wie Tito selber, sich einen Moment lang von ihrem Handy ablenken lässt. 

«Das reale Mexiko»

Die Videoaufnahmen aus Fresnillo haben die mexikanische Öffentlichkeit aufgewühlt. «So weit haben wir es in diesem Land also gebracht», kommentierte der bekannte mexikanische Journalist Joaquín López-Dóriga auf Twitter. «Das ist das reale Mexiko – jenes, das man vom Nationalpalast aus nicht sehen kann.» Der Nationalpalast ist Sitz der mexikanischen Regierung in Mexiko-Stadt. 

Pädagogen und Psychologinnen streiten, ob die Kinder nicht erst recht traumatisiert werden.

Schulpsychologinnen und Pädagogen streiten sich, ob solch wirklichkeitsnah inszenierte Übungen etwas nützen. Oder ob sie die Kinder nicht erst recht traumatisieren, zumal wenn sie noch so klein sind. Die Verantwortlichen eines Kindergartens schreiben, die Kleinen hätten aufmerksam zugehört und grosses Interesse gezeigt.

Dimitrio Quezada, der Zuständige für öffentliche Bibliotheken, weist den Vorwurf zurück, wonach ein solcher Kurs dem Eingeständnis gleichkomme, dass die Regierung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen endgültig gescheitert sei. «Das Leben eines Kindes ist wichtiger als das Prestige der Regierung», zitiert ihn die spanische Zeitung «El País». Quezada sagt auch: «An unseren Bibliotheken müssen wir mehr unterrichten als nur die Fähigkeit, zu lesen.»